Literarischer Spaziergang

30.10.2023 | TPoscht online
Lesegesellschaft_Vormittag (26)

Ursula von Burg

Kaum waren die Einladungen versandt, war der Anlass auch schon ausgebucht. Knapp 40 Personen durften schliesslich mit auf die Kulturreise der Lesegesllschaft, die diesmal ganz in der Nähe stattfand.

Bei schönstem Herbstwetter begann der Tag mit einer ganz besonderen Stadtführung durch St. Gallen. Angekündigt als literarischer Spaziergang zeigte sich bald, dass der Journalist und Autor Richard Butz neben literarischen Texten und Gedichten auch ein immenses historisches Wissen besitzt und viele Geschichten und Anekdoten mitbrachte. Das machte den Rundgang zu einer abwechslungsreichen und anschaulichen Zeitreise.

St. Gallen blüht und wächst

Wussten Sie, dass im aufstrebenden St. Gallen anfangs 20. Jahrhundert ein Industriearbeiter einen Tageslohn von sieben Franken hatte, es aber in St. Gallen bereits 42 Millionäre gab? Oder dass sich St. Gallen aufgrund der Blüte der Textilindustrie früher als andere Städte ein Theater und ein professionelles Orchester leisten konnte? In dieser Zeit wuchs die Stadt so stark, dass es Pläne gab, den Bernegg-Hügel bis auf die Höhe des Tals der Demut abzutragen und auf der gewonnenen Fläche ein neues Quartier zu bauen. Schon damals hatte das Wachstum viel mit Immigration zu tun, es zogen in diesen Jahren vor allem Italiener zu. Das Restaurant Facincani zum Beispiel existiert bereits seit 1927. Dort spielt eine der schönsten Geschichten aus dem Fundus von Richard Butz: der arbeitslose Paul Brander, alias Don Camillo, verbrachte seine Tage regelmässig in einer Ecke des Restaurants vor einem Einerli. Um sich das nächste Glas leisten zu können, notierte er seine Gedanken auf kleine Zettel und verkaufte diese für einen Franken. «Der Hund bellt auch bei guter Post» stand da, oder «Nie mitten im Fussgängerstreifen zu denken beginnen». Mit diesen fast schon philosophischen Aphorismen wurde aus dem Randständigen ein stadtbekanntes Original, das sogar im Stadtarchiv Erwähnung fand.

Literatur und Lyrik

Was die literarischen Leckerbissen betrifft, servierte Richard Butz bekannte und unbekannte Namen. Von Franz Kafka, Fred Kurer, Franz Hohler und anderen gab es Zitate, Texte und Lyrik zu hören. Mit einem höchst romantischen Gedicht kam sogar ein Teufner zu Ehren: Georg Thürer, Professor an der HSG für Literatur und Geschichte. Dass dieser nicht nur Besitzer der Villa Thürer, sondern auch ein Dichter und Lyriker war, wussten wohl die wenigsten. Aus neuerer Zeit ist den Teufnern eher die unrühmliche Geschichte um das Schicksal des Thürerparks im Gedächtnis.

Die letzte Station der Kulturwanderung war die Tonhalle. Mit Wissenswertem zur Kunst im Stadtpark und einem Gedicht der unbekannten Dichterin Betty Scherz verabschiedete sich der Stadtführer vom begeisterten Publikum. Wer Lust auf mehr solche Kulturspaziergänge hat, dem seien die «Neun Streifzüge durch das literarische St. Gallen» von Richard Butz empfohlen, mit Fotos von Regina Kühne (Verlag VGS, St.Gallen).

Das «neue» Theater

Nach einer Erholungspause beim Mittagessen im Restaurant Concerto war der Nachmittag der Besichtigung des renovierten Theaters gewidmet. Eines gleich zu Beginn: Die Zuschauer werden von den Veränderungen nicht viel merken und manch einer wird sich fragen, wofür denn die 50 Millionen ausgegeben wurden. Die Erklärungen auf diese Frage gab uns der langjährige technische Leiter des Theaters, Georges Hanimann.

Mehr Platz

Teuer war vor allem die Schaffung der zusätzlichen Räume für den Betrieb des Theaters. Sie befinden sich im unauffällig angefügten Anbau:  Probenräume für Chor und Ballett, Garderoben, ein Schminkraum, usw. Im Untergrund wurden die dicken Betonmauern der Zivilschutzanlage aufgeschnitten, um Platz zu schaffen für die Requisiten- und die Beleuchtungswerkstatt. Anstatt kleiner, gefangener Räume stehen jetzt Werkstätten mit Tageslicht durch Oberlichter zur Verfügung. Die Arbeitsverhältnisse konnten entscheidend verbessert und die betrieblichen Abläufe vereinfacht werden.

Vieles unverändert, Akustik neu

Die Renovation des geschützten Bayard-Baus aus den 60er Jahren orientierte sich am Originalzustand. Im Eingangsbereich und Foyer wurde zwar vieles ersetzt, gereinigt und energetisch ertüchtigt. Das Aussehen durfte aber nicht verändert werden. Auch im Zuschauerraum ist auf den ersten Blick kaum Neues zuerkennen. Die Sitze wurden neu bezogen – mit Stoffen der Firma Tisca in Bühler. Wer sich aber die Wände genau ansieht, wird fündig: herabhängende Paneele und viele kleine Lautsprecher sind eindeutig neu. Um die Akustik zu verbessern, wurde ein elektro-akustisches Raumsimulationssystem eingebaut. Das funktioniert wie ein Dolby Surround System (wie z.B. im Kino). Man darf gespannt sein, wie sich das neue System im Sprechtheater und bei den Musikproduktionen bewähren wird.

Theater in Zahlen

Umbauzeit 3 Jahre 2 Monate Umbaukosten, inkl. Provisorium 50 Mio Zusätzlicher Platz durch Anbau 750m2 Plätze 716 (vor dem Umbau 741) Mitarbeiter 250 Höhe des Bühnenturms 32.5 m Jahresbudget 40 Mio. Franken

Hinter den Kulissen

Zahlen und Fakten sind das eine. Das Erlebnis, hinter die Kulissen zu sehen etwas ganz anderes. Der Zuschauerraum wirkt von der Bühne aus viel kleiner, die Bühne hingegen ist riesig. Vor allem die Höhe des Turms mit den schweren, über den Köpfen aufgehängten Bühnenbildern ist fast schon bedrohlich zu spüren. Er gibt der Bühne eine Dimension, die der Zuschauer nie wahrnimmt. Auch das Wirrwarr an Gängen, Treppen und Räumen auf den verschiedenen Ebenen hinter der Bühne ist nicht zu durchschauen. Kein Wunder gibt es zur Orientierung Wegweiser und farbige Türen in den Treppenhäusern. Wir waren jedenfalls froh, hat uns Herr Hanimann am Schluss wieder zielsicher ins Foyer zurückgeführt.

Der Dank für den interessanten Tagesausflug gebührt den beiden kompetenten Führern, Richard Butz und Georges Hanimann, aber auch der Lesegesellschaft. Sie hat mit der Programmgestaltung offensichtlich ein Bedürfnis erkannt und den Teilnehmenden einen wunderbaren Kulturtag ermöglicht.

 

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