Gehört Erbe abgeschafft?

10.04.2025 | Timo Züst

Noch bis zum 25. Mai ist im Zeughaus die Ausstellung «Drei Geschichten» zu sehen. Dafür ging das Zürcher Künstlerduo Michael Meier und Christoph Franz (an diesem Abend anwesend) anhand Teufen der Frage nach, ob das Erbe Einfluss auf die Baukultur hat. Über ebendieses «Erbe» wurde während der zweiten Rahmenveranstaltung am Donnerstagabend diskutiert. Mit dem Philosophen Stefan Gosepath aus Berlin und dem Schweizer Erbrechtsspezialisten Peter Breitschmid. Und so viel soll schon verraten sein: Eine Patent-Lösung fand sich leider auch an diesem Abend nicht.

Zeughaus-Kuratorin Lilia Glanzmann begrüsst zum zweiten Rahmenprogramm der Ausstellung «Drei Geschichten». Links von ihr: Erbrechtsspezialist Peter Breitschmid. Und rechts: Philosoph Stefan Gosepath. Fotos: tiz

«Du auch hier? Ist ja eigentlich nicht so dein Thema, oder?»

«Stimmt. Aber in unserem Alter muss man sich ja fast damit beschäftigen.»

Die zwei Gäste setzen sich, gleich geht es los. Der Titel des heutigen Anlasses im Zeughaus: «Gehört Erbe abgeschafft?» Eine offene Diskussionsrunde als Rahmenveranstaltung zur Ausstellung «Drei Geschichten» einen Stock tiefer. An diesem Donnerstagabend haben sich Zuhörende und Referenten im Dachgeschoss eingefunden – wenige Meter neben der Grubenmann-Dauerausstellung. Ein Teil des «kulturellen Erbes» Teufens, des Kantons, der Schweiz. Um diese Art von Erbe soll es aber nicht gehen. Das betont Stefan Gosepath in seinem Eröffnungsvotum: «Ich beschäftige mich mit dem individuellen Erbe. Nicht dem kulturellen Erbe oder mit der Frage, was für eine Welt wir unseren Nachkommen hinterlassen.» Er ist Philosoph und – wie sein Gegenüber – eine Koryphäe auf seinem Gebiet. Und – ebenfalls wie sein Gegenüber – wurde ihm bereits ein Wikipedia-Artikel gewidmet. Darin ist zu lesen, dass er Universitätsprofessor am Institut für Philosophie an der Freien Universität Berlin und Direktor der Kolleg-Forschergruppe «Justitia Amplificata: Erweiterte Gerechtigkeit – konkret und global» ist. Peter Breitschmid kommt eher von der «angewandten Gerechtigkeit». Der Erbrechtspezialist hat jahrzehntelange Gerichtserfahrung, prägte das Schweizer Erbrecht mit – zum Beispiel als Berater bei der Erbrechtsreform – und ist Professor für Privatrecht an der Universität Zürich.

Mein erster Erbfall war der einer brasilianischen Frau, deren Ehemann ‘Grubenmann’ geheissen hatte.

Peter Breitschmid

An Fachkompetenz mangelt es an diesem Abend also definitiv nicht. Und Peter Breitschmid hat sogar eine Geschichte zum «kulturellen Erbe» der Grubenmanns zu erzählen: «Mein erster Erbfall war der einer brasilianischen Frau, deren Ehemann ‘Grubenmann’ geheissen hatte. Sie wollte deshalb die Hälfte ihres Nachlasses dem Ursprungskanton ihres geliebten Ehemannes spenden.» Ob ein Teil davon irgendwie den Weg ins Zeughaus Teufen gefunden hat, ist allerdings nicht überliefert.

Aber so kompetent und eloquent die beiden Redner auch waren: Die eigentliche Frage bekamen sie kaum zu fassen. Stefan Gosepath (Foto) hatte zwar bereits während seines ersten Statements seine Vision einer «gerechteren» Erbregelung skizziert: Jeder Bürgerin, jedem Bürger steht eine gewisse «Erbmenge» zu. Mehr bekommen sie nicht. Wenn der Nachlass nun grösser als die zugelassene Erbmenge-Summe der Erbberechtigten ist, kann die Erblasserin den Restbetrag anderweitig verteilten – auch an gemeinnützige bzw. philanthropische Organisationen. Tut sie das nicht, wird das restliche Erbe als Steuer eingezogen. Damit soll auch die «Erbmenge» derjenigen finanziert werden, die von keinem Erblasser begünstigt werden. «Die Idee dahinter ist der Versuch, die Chancengleichheit zu verbessern und zu mehr Gerechtigkeit zu kommen. Mir ist klar, dass das nicht einfach zu erreichen ist. Aber das sollte uns nicht daran hindern, es zu versuchen.»

Damit kam er der Kernfrage, «Gehört Erbe abgeschafft?», an diesem Abend wohl am nächsten. In der nachfolgenden Diskussion erwies sich der disziplinarische Graben zwischen den beiden Rednern als etwas zu tief. Spannend, lehrreich und unterhaltsam war es trotzdem.

Wie viele Testamente hat Peter Breitschmid denn während seiner Karriere nun tatsächlich gesichtet? Das will Kuratorin Lilia Glanzmann während der Begrüssung wissen. Im Teaser der Veranstaltung stand «Tausende». Ob er Buch geführt hat? «Nicht wirklich. Aber vielleicht kommen ja heute noch ein paar dazu?» Peter Breitschmid entspricht so gar nicht dem Stereotypen eines trockenen, humorlosen Juristen. «Äxgüsi, Sie müssen wissen, ich bin teilweise ein Sarkast.» Er erzählt auch gerne. Zum Beispiel von einem Erbfall, bei dem drei Brüder ein gut situiertes Baugrundstück an der Zürcher Goldküste unter sich hätten aufteilen sollen. Der Jurist schätzt den damaligen Wert auf «solide neunstellig» und heute «eher zehnstellig». Ausserdem seien die drei finanziell bereits gut aufgestellt und über 70 gewesen. Und sowieso: Es ging um ein Detail. Für das Grundstück bestand ein rechtssicherer Gestaltungsplan, alles geregelt. Nur: Irgendwo musste halt die Zufahrt durch, eine wenig befahrenen Sackgasse. «Da sagt einer der drei – man hat ihm die Unzufriedenheit angesehen – doch allen Ernstes: Ich habe schon zu Weihnachten immer die kleinsten Geschenke bekommen.» Ungläubige Blicke, Lacher, Kopfschütteln.

Peter Breitschmid (Foto) erzählt aber nicht nur Unterhaltsames, es teilt auch bereitwillig Wissen und Erb-Tipps. Ein Beispiel ist der Artikel 11 des BGBB, des Bundesgesetzes über das bäuerliche Bodenrecht. Darin steht sinngemäss, dass der Hof an den Nachkommen geht, der (oder die) ihn weiter bewirtschaften will und dafür «geeignet scheint». Einer seiner wichtigsten Tipps: Das Vermögen auch mal direkt an die Enkel «durchreichen». Und ganz generell von den verfügbaren rechtlichen Mitteln Gebrauch machen. Mit Ausnahme der Enterbung. «Davon rate ich explizit ab. Die Hürden dafür sind sehr hoch. Und das ist der Bereich, in dem wir noch immer sehr ‘grusige’ Gerichtsverhandlungen führen.»

Auch bei der Kernfrage des Abends bleibt Peter Breitschmid ganz der Jurist. Der «Mechaniker», wie er sagt. «Ich bin Ihrer Meinung, Herr Gosepath: Es braucht mehr Gerechtigkeit. Aber die Frage ist, wie so etwas organisiert werden soll. Und wie disruptiv man in ein System eingreifen will, das zwar Mängel hat, aber grundsätzlich auch gut funktioniert.»

Diese Fragen stellen sich für Stefan Gosepath zwar auch – aber erst in einem zweiten Schritt. «Ich kann mir als Philosoph halt den radikalen Ansatz leisten. Und den braucht es vielleicht. Denn es steht fest, dass das Erbe, mindestens in Deutschland, zu rund 50 Prozent für die zunehmende Vermögensungleichheit verantwortlich ist.» Diese Vermögensspreizung sei eine Gefahr für die Demokratie. Denn viel Geld geht auch immer einher mit viel Macht. «Ich muss dazu ja aktuell keine Namen nennen. Sie hören sie jeden Abend in den Nachrichten.» Gleichzeitig führe die wachsende Vermögensungleichheit zu Parallelgesellschaften – an beiden Enden der Wohlstandsspirale.

Das Erbe ist, mindestens in Deutschland, zu rund 50 Prozent für die zunehmende Vermögensungleichheit verantwortlich.

Stefan Gosepath

Was also ist das Fazit des Abends? Testamente wurden, mindestens nach dem Wissenstand des Autors, keine gesichtet. Und die beiden Redner sind sich in vielen Punkten einig: Das Streben nach mehr Gerechtigkeit ist wichtig und richtig, kluge und gut ausgearbeitete Steuern können dafür ein wirkungsvolles Mittel sein, Erbschafften führen häufig zu Streit, die Psychologie ist bei der Erbregelung mindestens genauso relevant wie die monetäre Seite und es braucht ein Recht auf Eigentum und Freiheit. Mit oder ohne Erbe.

Und das letzte Wort? Das hatte der Philosoph: «Gleiches soll gleich und Ungleiches ungleich behandeln werden. Das sagte schon Aristoteles.»

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