Während überall die Glühweinstände locken und viele auf der Jagd nach den letzten Geschenken sind, läuft in den Appenzeller Bahnen ein Clip der Suchtberatungsstelle («sucht-ar.ch»). Warum ist der Zeitpunkt so passend für eine Kampagne? Diese und andere Fragen beantwortet der Leiter der Gesundheitsförderung AR, Markus Meitz.
Wie gefährlich sind Suchtmittel?
Generell muss unterschieden werden, ob sich eine Person noch im Wachstum befindet. Z.B. kann Kiffen im frühen Jugendalter die kognitiven Fähigkeiten (Wahrnehmung und Verarbeitung) dauerhaft einschränken. Die Entwicklung des Gehirns ist bei Jugendlichen noch nicht abgeschlossen und kann darunter leiden. Ein exzessiver früher Konsum kann auch die späteren Lebenschancen schmälern. Der Jugendschutz mit dem Verkaufsgesetz soll dem entgegenwirken. Der Kauf und die Abgabe von Tabak- und Nikotinprodukten werden national ab Sommer 2024 neu geregelt. Das ist wichtig, denn Nikotin macht sehr schnell abhängig.
Auch der Gebrauch von psychoaktiven Substanzen ist nie gänzlich harmlos oder vorhersehbar. Jede Person reagiert anders auf einen Substanzen-Konsum. Sehr schwierig kann es beispielsweise werden, wenn die Dosis zu hoch gewählt wird oder der Körper und die Psyche die Substanz nicht toleriert.
Ein Mischkonsum von mehreren Substanzen oder zusammen mit Alkohol kann auch gefährlich werden. Wer trotzdem Suchtmittel konsumieren möchte, soll sich vorgängig so gut wie möglich informieren (Dosis und Wirkung). Interessant ist die Feststellung, wonach Jugendliche Medikamente im Vergleich zu illegalen Drogen als sicherer und reiner wahrnehmen und sich folglich in einer (falschen) Sicherheit fühlen. Unsere Empfehlung für einen sinnvollen Umgang mit Suchtmitteln: Nie gleichzeitig Medikamente mit Alkohol, Cannabis oder anderen Drogen einnehmen. Zu beachten ist auch: Beruhigungs- und Schlafmittel machen sehr schnell abhängig.
Herr Meitz, warum diese Kampagne während der Adventszeit?
Wir haben den Clip der Beratungsstelle für Suchtfragen bewusst in der Vorweihnachtszeit geschalten. Er soll Reisende zum Thema Konsum, Abhängigkeit und Sucht sensibilisieren. Wir sind Ansprechpartnerin bei Sucht- und Coachingfragen für Direktbetroffene sowie für Angehörige. Eine zweite kurze Clipwelle folgt im Januar 2024, um das Bewusstsein für unsere Hilfestellung zu schärfen.
Geht es den Menschen in dieser Zeit schlechter als sonst?
Pauschal kann man das nicht sagen. Die Vorweihnachtszeit kann aber für manche Personen eine besondere Herausforderung sein, weil dies eine Zeit der Stille und des Nachdenkens ist. Draussen ist es früh dunkel. Der Substanzen-Konsum wird auch oft als Bewältigungsstrategie eingesetzt, um Themen wie Einsamkeit, Krankheiten, Stress oder Konflikte auszuhalten um kurzfristig eine Linderung zu erfahren oder vergessen zu können. Aber eben nur kurzfristig, da das Schadenspotential und die Abhängigkeit mitwachsen.
Gibt es gegen Ende Jahr einen Anstieg bei der Zahl von Hilfesuchenden in der Beratung?
Jedes Jahr ist anders. Auffallend steigen Anmeldungen zur Hilfesuche aber meist nach dem Jahreswechsel. Die Konsummenge zum Beispiel beim Alkohol lässt sich durch die Feiertage gut kaschieren, da der Alkohol an Festtagen grosszügiger konsumiert und angeboten wird. Es ist in dieser Zeit schon fast normal, überall anzustossen oder das Trinken zu zelebrieren.
Aber die Festtage sind halt irgendwann vorbei.
Genau. Und wenn der Alltag zurückkommt, fallen grössere und regelmässige Konsummengen wieder auf. Oder es sind die klassischen Vorsätze, endlich mal etwas gegen den erhöhten Konsum zu unternehmen. Es bleibt aber spekulativ, und wir erfahren die Gründe meist erst aus dem Gespräch.
Vor allem Alkohol ist an vielen Orten präsent. Glühweinstände locken an jeder Ecke. Was empfehlen Sie Menschen, die dem Alkohol aus dem Weg gehen wollen?
Für Personen mit einem problematischen Konsum oder mit einer gesetzlichen Auflage, z.B. bei einem Führerscheinentzug, ist ein freiwilliger oder unfreiwilliger Verzicht eine grosse Leistung und eine tägliche Herausforderung – auch beim Einkaufen. Man kann sich schützen, indem man solche Situationen bewusst vermeidet, einen Umgang erlernt oder nach Alternativen sucht. Heutzutage gibt es attraktive alkoholfreie Getränke als Alternativen. Wer also anstossen will, kann dies auch alkoholfrei tun.
Gerade bei Familienessen entsteht oft der Druck, Alkohol zu trinken. Wie kann man elegant ablehnen?
Viele Menschen haben Probleme mit dem Nein-Sagen. Es gibt aber auch akzeptierende Aussagen wie: «Das ist wirklich grosszügig von dir, aber ich trinke heute keinen Alkohol.» Eine zusätzliche Begründung kann für noch mehr Akzeptanz sorgen: «Schöne Idee, aber mir ist heute nicht nach Alkohol.» «Nein danke. Ich möchte morgen fit sein», «Ich bin mit dem Auto hier und trinke nichts, wenn ich fahre» oder «Ich habe in letzter Zeit zu viel Alkohol getrunken». Dies sind nur einige Beispiele. Die Person gegenüber ist bei solchen Aussagen oft positiv beeindruckt.
Im Januar üben sich dann dafür viele in Enthaltsamkeit. Ist der «Dry January» sinnvoll?
Der «Dry January» setzt das Ziel, den ganzen Januar über keinen Alkohol zu konsumieren. Das kann eine gute Gelegenheit sein, sein Konsummuster zu durchbrechen oder eine neue Erfahrung zu machen. Generell sollte man für Unterstützungsangebote offen sein – dann sind die Erfolgschancen am grössten. Dabei können wir helfen.
Ein weiteres, sehr präsentes Thema im Advent ist der Konsum von Gütern. Die meisten kaufen dann mehr ein als sonst. Ab wann spricht man denn von einer Kaufsucht?
Eine Kaufsucht ist nicht mit gelegentlichen Frustkäufen zu vergleichen. Der Drang, immer wieder Käufe zu tätigen, kann bei einer Kaufsucht nicht mehr kontrolliert werden. Dieser Kontrollverlust ist gekennzeichnet durch die ständigen Gedanken an das Kaufen. Anfangs wird es noch als lustvoll erlebt.
Und dann?
Mit der Zeit dient es einer bestimmten Funktion wie der Beseitigung von negativen Gedanken und Gefühlen. Das heisst, es werden auch Sachen gekauft, welche gar nicht benötigt oder ungeöffnet und ungebraucht gestapelt werden. Es bildet sich ein Teufelskreis, und die Käufe werden immer mehr. Exzessives Kaufverhalten kann zur Schuldenfalle führen. Gemäss einer Umfrage sind in der Schweiz rund 5 Prozent der Bevölkerung kaufsüchtig.
In welchen Situationen ist man bei Ihnen an der richtigen Stelle? Wer kann sich wann melden?
Wir unterstützen die Bevölkerung von Appenzell Ausserrhoden bei Konsum- und Suchtfragen. Unsere Fachstelle unterstützt aber nicht nur Betroffene, sondern auch Menschen aus deren Umfeld. Denn bei einer Suchterkrankung leiden Nahestehende oft stark mit. Wir unterstehen der Schweigepflicht, und die Beratungen sind für die Bevölkerung von Appenzell Ausserrhoden kostenlos. nek
Kontaktmöglichkeiten der Beratungsstelle für Suchtfragen Ausserrhoden:
- telefonisch unter 071 791 07 40
- per E-Mail an suchtberatung@ar.ch
- per WhatsApp unter 076 725 13 41
- Anonym über die Online-Beratung
