Ist der Krieg nur der Anfang?

19.09.2025 | Timo Züst

Es ist bald 25 Jahre her, als der damalige Geheimdienstchef Peter Regli vom Bundesrat in einen frühen Ruhestand geschickt wurde. Allzu viel Ruhe verbreitet der 81-Jährige im Pfarreizentrum Stofel am Donnerstagabend aber nicht. Das ist auch nicht sein Ziel. Vielmehr will er alarmieren und zum Nachdenken anregen – indem er die aktuellen geopolitischen Spannungen schonungslos beleuchtet. Dazu gehört auch der Krieg in der Ukraine. In Teufen stösst dieses Thema auf besonders viel Resonanz.

Peter Regli sieht die Kamera beim Vorbeigehen sofort. Vermutlich die alten Geheimdienst-Instinkte. «Sind Sie von den Medien?» Der Angesprochene nickt. «Eine kurze Warnung: Ich werde eine geballte Ladung bringen und etwa 1 Stunde und 10 Minuten reden. Aber die Stichworte auf den Folien sollten helfen.» Der Lokaljournalist verspricht, sich zu bemühen. Und der ehemalige Chef des Nachrichtendienstes des Bundes (NDB) setzt seinen Weg in Richtung vorderste Reihe fort. Dort steht Stefan Staub, bereit für die Begrüssung. Der Diakon und Armeeseelsorger nimmt dabei eine Frage gleich vorneweg: «Warum organisiere ich so ein Referat? Ich könnte euch ja auch einfach von der Liebe Gottes erzählen, oder? Stimmt, könnte ich. Sollte man auch. Aber man sollte die Welt auch so anschauen, wie sie ist.» Es ist nicht das erste Mal, dass Peter Regli hier spricht. Vor siebeneinhalb Jahren war er schon einmal hier. Damals prophezeite er nichts Gutes: den Ukraine-Krieg. «Man warf dir Schwarzmalerei vor. Heute wissen wir, dass du richtig lagst. Nur schon deshalb wollte ich dich nochmal einladen. Auch wenn du gesagt hast, dass du keine frohe Botschaft verbreiten wirst. Das sei mein Job.»

Trump und Putin

Smartphones sind an diesem Abend hoch im Kurs. Sie werden ständig gezückt, um die PowerPoint-Folien zu fotografieren. Während seines gut 70-minütigen Referats zeigt Peter Regli diverse Karikaturen, Collagen und Zitate, die didaktisch meist ziemlich genau ins Schwarze treffen. Das gilt auch für die allererste Folie. Ein Spruch auf einer Leuchtreklamen-Tafel in den USA: «Gab es je eine Zeit, in der man einfach von ‘dem Idioten’ sprechen konnte und alle wussten sofort, wer gemeint ist?» Um diesen «Idioten», den 47. Präsidenten der USA, ging es während der ersten halben Stunde. Um ihn und das «Projekt 2025». «Davon wissen die wenigsten in der Schweiz. Es handelt sich um 500-seitigen Plan einer rechtskonservativen Stiftung. Das Ziel ist die Abschaffung der amerikanischen Demokratie zugunsten eines Alleinherrschenden», erklärt Peter Regli. Anschliessend arbeitet er sich chronologisch durch die ersten Monate von Donald Trumps zweiter Amtszeit und hebt dabei wichtige Daten hervor: das Telefonat mit Putin am 12. Februar, die Abstimmung der UN-Vollversammlung am 24. Februar, Selenski im «Oval Office» am 28. Februar oder die Präsentation der berüchtigten «Zolltafel» am 2. April. Dabei zeichnet Peter Regli überzeugend das Bild eines amerikanischen Präsidenten, der ein autokratisches System mit ihm treu ergebenen Untergebenen, einer korrumpierten Justiz und gezähmten Medien aufbaut. Vor allem aber betont er immer wieder: «Trump tanzt nach Putins Pfeife. Alle Ultimaten, die Trump bisher ausgesprochen hat, liess er verstreichen ohne zu handeln. Putin weiss deshalb: Er kann machen, was er will.»

Die neue Weltordnung

Es ist die wohl «wichtigste» Folie des Abends. Sie zeigt sechs Staatsoberhäupter. In der Mitte: Xi Jinping (China) und Narendra Modi (Indien). «Die zwei werden in den nächsten Jahren der Welt zeigen, wo Bartli den Most holt.» Auf den anderen Fotos: Donald Trump (USA), Wladimir Putin (Russland), Kim Jong-un (Nordkorea), Mohammed bin Salman (Saudi-Arabien) und Abdel Fatah El-Sisi (Ägypten). «Diese und andere Diktatoren oder Autorkaten repräsentieren zusammen rund 43 Prozent der Weltbevölkerung. Und ihnen schwebt eine neue Weltordnung vor. Eine, in der Macht über Recht steht.» Daran, so Peter Regli weiter, arbeiten diese Staaten, ihre Militärs und Geheimdienste schon lange. Dazu gehöre nicht nur der schon seit 1305 Tagen andauernde Angriffskrieg Russlands in der Ukraine, sondern auch die sogenannte «Hybride Kriegsführung». Auf der entsprechenden Folie sind Stichworte wie Beeinflussung, Drohung, Spionage, Cyberoperationen oder Anschläge zu finden. «Auch die zunehmende Extremisierung der Politik muss uns grosse Sorgen machen.» Für Peter Regli ist klar: Russland wird sich nicht mit der Ukraine zufriedengeben. «Deshalb müssen wir alle anerkennen: Die Ukraine kämpft nicht nur für ihre eigene Freiheit, sondern für die Freiheit von uns allen.»

Wie weiter?

Eine geballte Ladung war es wirklich, das Referat von Peter Regli. Nur: Viel Neues war da nicht dabei. Die Weltordnung ist ins Wanken geraten. Das wissen auch die Menschen in der wohlbehüteten Schweiz – Peter Regli spricht von einer «CH-Blase der Glückseligkeit». So bleibt am Ende die Frage: Was nun? «Irgendwann fragt immer jemand, was wir denn jetzt tun können. Die Antwort ist eigentlich ganz einfach: Si vis pacem, para belum. Wenn du Frieden willst, bereite den Krieg vor. Das ist unsere Aufgabe als Schweiz und Europa.»

Gruss von der Front

Der grosse Saal des Pfarreizentrums Stofel ist an diesem Abend bis auf den letzten Stuhl besetzt. Dieser Ansturm war zu erwarten. Genau wie die Anwesenheit einiger Ukrainerinnen und Ukrainer. Sie hatte Peter Regli zu Beginn des Abends speziell begrüsst – auf Ukrainisch. Auch der Abschluss des Abends ist ukrainisch: Armeeseelsorger Michael Kolomychenko richtet ein paar Worte an die Anwesenden. Er fliegt schon am nächsten Tag zurück in die Ukraine, zurück an die Front. Dort hilft er den Soldaten und Soldatinnen beim Aufrechthalten ihrer psychischen Resilienz. «Es ist ein Ruf, der uns zum Durchhalten motiviert. Ein Ruf, den man in sich spüren muss, sonst kann man diese Aufgabe nicht erfüllen. Es ist ein Kampf von Gut gegen Böse. Das Böse ist omnipräsent und riesig – wie Goliath. Das Gute ist klein aber mutig – wie David. Wir müssen wie David sein und dürfen nie aufgeben. Denn ein Leben ohne Freiheit ist kein Leben.» Anschliessend bedankt er sich bei Teufen und «seinem Bruder» Stefan Staub für die wertvolle Unterstützung. Dieser ergreift dann zum Abschluss dann doch noch das Wort und gibt den Anwesenden etwas Hoffnung mit auf den Heimweg: «Lasst euch von diesen Bedrohungen nicht entmutigen. Das war nicht das Ziel des heutigen Abends. Viel mehr geht es darum, dass wir offen bleiben – im Kopf und im Herzen. Hoffnung gibt es immer.»

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