Ein Stück Sek fällen

24.02.2022 | Timo Züst
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Lernender Markus Räss bringt die grosse Fichte mit Motorsäge und Keil zu Fall. Fotos: tiz

Noch wird am unterirdischen Teil des neuen Sekundarschulhauses gearbeitet. Auch wenn das «Mock-Up» der Fassade bereits einen Eindruck der Zukunft vermittelt – man kann man sich das neue Gebäude bisher kaum vorstellen. Ein Besuch im Teufner Wald zeigt aber: Hier wird bereits das Holz für die Fassade geschlagen.

Das «Achtung» ist laut – aber auch melodiös. Markus Räss ruft es häufig. Es ist nicht für seine Kollegen gedacht, mit ihnen ist er via Funk im Pamir verbunden. Auch nicht für die Lokalpresse, die in einigen Metern Abstand hinter einer grossen Weisstanne Schutz gesucht hat. «Der Warnruf gehört dazu. Falls sich Zivilisten in der Nähe befinden.» Der 18-Jährige wartet einige Sekunden, lässt seine «Stihl» aufheulen und setzt zum letzten Schnitt an. Noch bleibt der Baum aber stehen. Erst beim Nachhelfen mit dem Keil beginnt sich die mächtige Fichte zu neigen. Schliesslich kracht sie mit einem dumpfen Knall zu Boden. Der feuchte Waldboden trägt die Vibration des Aufpralls bis zu den Zuschauern. Der Baum liegt, wie er soll: In Richtung der Seilwinde oben auf der Fortstrasse. «Gut gemacht», lobt Revierförster Thomas Wenk. Das Fällen war die Aufgabe des Lernenden (2. Jahr), das Anzeichnen ist Chefsache. In diesem Fall ist die richtige Auswahl besonders wichtig. Denn die 30 Fichten, die das Forstamt Teufen hier im Oberfeld-Wald schlägt, werden einen Teil des Fassaden-Holz für das neue Sekundarschulhaus liefern. Damit das gelingt, müssen die Bäume strenge Voraussetzungen erfüllen.

Komplexe Planung

Das ungeschulte Auge erkennt kaum etwas auf den Seiten, die Martin Zoller gerade durchblättert. Sie beinhalten Zeile um Zeile Material- und Verarbeitungsbeschriebe sowie Längen-, Flächen- und Volumenmasse. «Ah, das habe ich gesucht. So sollen sie geschnitten werden.» Der Leiter Hochbau deutet auf eine Art Planskizze. Sie zeigt den Querschnitt eines Baums und darin eingebettet die Bretter, die daraus geschnitten werden sollen. «Natürlich haben Ingenieur und Sägewerk ihr Bestes gegeben, um so viel wie möglich aus den Stämmen herauszuholen. Aber Verlust gibt es immer.» Besonders dann, wenn das fertige Produkt «Fassadenqualität» haben muss. Um die Abschnittmenge trotzdem so klein wie möglich halten können, sollen die unschöneren Bretter als «Konstruktionsholz» eingesetzt werden. «So kommt das Teufner Holz in jedem Fall dem neuen Schulhaus zugute», so Zoller. Dass er sich so detailliert mit Produktion und Materialursprung der Fassadenelemente auseinandersetzt, ist ein Sonderfall. Normalerweise wäre das Aufgabe des Holzbau-Unternehmers. Aber hier ist alles etwas anders. Denn die Fassade des neuen Schulhauses soll komplett aus lokalem Holz gefertigt werden. So versprach es der Gemeinderat vor der 24,39 Mio. Franken Abstimmung vor ziemlich genau zwei Jahren (9. Februar 2020). Nicht nur die Hochbau-Abteilung der Gemeinde hat damit einen ungewöhnlichen Auftrag gefasst, auch der Forst fällt selten Holz für ein lokales Bauprojekt. «Das ist das zweite Mal in meiner Karriere. Das erste war die Alterssiedlung ‘Hof Speicher’», sagt Revierförster Thomas Wenk. Für ihn und sein Team ist es eine besonders befriedigende Arbeit. «Unsere Vorfahren haben sich um den Wald gekümmert. Deshalb können wir nun diese schönen 80 bis 100 Jahr alten Bäume fällen und verbauen. Gleichzeitig wächst das Holz von Morgen bereits nach.»

 

Qualitäten B und C

Die Fichte ist gerade erst zu Ruhe gekommen, als Markus Räss bereits wieder die Motorsäge anwirft. Bevor der Stamm nach oben gezogen, entastet und abgelängt wird, entfernt er die gefährlichen, übergrossen «Zahnstocher» am Wurzelstock, die sich beim Abbruch des Stamms gebildet haben. «Das ist sehr wichtig. Daran kann man sich bei der Weiterverarbeitung rasch verletzen.» Es ist eine gute Fichte. Vermutlich können daraus vier 5-Meter-Stücke geschnitten werden. Entscheidend ist aber nicht nur die Länge, sondern auch der Durchmesser und die Qualität. Thomas Wenk zückt ein Stück Papier aus der robusten Arbeitshose. Es ist eine Kopie der Seite 28 des Fachbuchs «Schweizer Handelsgebräuche für Rohholz». «Diese Tabelle ist ziemlich übersichtlich. Hier seht ihr die Merkmale der jeweiligen Qualitätsklassen.» Davon gibt es bei Fichte und Tanne vier: A, B, C und D. Für die Sek-Fassade muss Thomas Wenk B- und C-Bäume finden. Das bedeutet unter anderem: Ein zentraler Kern, kein Drehwuchs, keine Krümmung, so wenig Äste mit so kleinem Durchmesser wie möglich, eine durchschnittliche Jahrringbreite von max. 6 Millimeter (bei «B» zwingend / bei «C» teils grösser erlaubt) und vor allem eine geringe «Abholzigkeit».

«Ein 17er, sehr gut», murmelt der Revierförster und greift zur Spraydose. Der pinke Strich auf dem Stamm der Fichte bedeutet: bitte fällen. Die «17» steht für den BHD, den Brusthöhendurchmesser. Dieser wird hangseitig in ca. 130 Zentimeter Höhe mit einer sogenannten Kluppe gemessen. «Diese alte Holzkluppe hat eine Stufen-Skala. 17 ist etwas über 80 Zentimeter.» Das reicht für die Sek, die Stammstücke müssen pro 5 Meter einen Mindestdurchmesser von 50 Zentimeter aufweisen. So hat das dünne Stammende die geforderten 45 Zentimeter noch. Aber der stattliche Umfang allein reicht nicht für die Auswahl: «Hier stimmt jetzt alles. Der Baum ist gerade, die Äste fangen erst weit oben an und es ist vollholzig.» «Vollholzig», erklärt der Fachmann später, bedeutet, dass die Stammdicke gegen oben wenig abnimmt. Anders gesagt: Die «Abholzigkeit» des Baums ist gering genug für die Klasse «B».

Transparente Verarbeitung

Bis zum Frühling wird das Forstamt Teufen an die 300 Kubikmeter Holz für das neue Sekundarschulhaus fällen, bereitstellen und markieren. Bis zu 20 Prozent davon können hier im Oberfeld-Wald geerntet werden. Der Rest stammt aus anderen Gemeindewäldern Teufens oder des Appenzeller Mittellands. Ein Transportunternehmen bringt die Bäume später in das Sägewerk im Hinterthurgau. «Der ganze Verarbeitungsprozess ist für uns nachvollziehbar – vom Baum bis zur fertigen Fassade», sagt Martin Zoller, während er durch den steilen Hang hoch zurück zur Strasse steigt. Es ist rutschig. Vorsicht ist geboten. Für eine laute Frage zurück über die Schulter in Richtung Lehrling reicht der «Schnuff» trotzdem: «Würdest du wieder Forstwart lernen?» Markus Räss muss nicht lange überlegen: «Sicher!»  tiz

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