Bildreportage: Lukas Pfiffner
Vom sechsjährigen Max Frei, der aus Altersgründen noch nicht an einem Fest «richtig» schwingen darf, bis zum 16-jährigen Remo Nüesch, der im Training hilft: Teufen stellt zahlreiche Nachwuchsschwinger. Ein Augenschein beim Schwingclub in Gais.
Die Heimat der Schwinger liegt zuoberst in der Leichtathletikhalle, neben dem Schulhaus im Dorfzentrum von Gais. Im Hintergrund des Turnraums sind Unihockeytore aufgestellt. Einer, der soeben eintritt, trägt ein Shirt der Schweizer Fussballnationalmannschaft. An der Wand hängt ein Zeitungsausschnitt mit dem Porträt eines Pfeilbogenbauers. Der Sägemehlplatz ist durch einen Vorhang abgetrennt und kurz nach sechs Uhr an diesem Donnerstagabend noch völlig unbeachtet.
«Bis vor kurzem war ich ja selber noch jung», sagt Beat Langenegger und lacht. Er ist 20 Jahre alt und seit dem November Jungschwingerleiter im Schwingclub Gais. Einmal pro Woche findet das Nachwuchstraining statt. Rund zwei Dutzend Buebeschwinger und Jungschwinger treffen sich jeweils für knapp zwei Stunden in Gais. Rund die Hälfte ist in Teufen wohnhaft. «Über die Brüder kommen die Kontakte und das Interesse zustande. Über Kollegen in der Schule. Oder über die Eltern», erzählt Beat Langenegger.
Die Jüngeren werden in Fahrgemeinschaften mit Autos gebracht, Ältere legen die Wege zwischen Teufen und Gais mit dem Töffli oder mit dem Roller zurück. In den vergangenen drei, vier Monaten seien etwa sechs Neue im Training erschienen, berichtet Langenegger. «Manche unserer Mitglieder trainieren zusätzlich anderswo im Appenzellerland.» In Appenzell, Herisau und Wolfhalden sind weitere Schwingvereine zu Hause.
«Kollege» Schwingerkönig
Nach und nach treffen die Nachwuchsschwinger in der Halle ein, die Sandros und Marcos, Ryans, Silvans
und Flavios aus Teufen. Mit Linus und Tobias und mit Kevin Zeller, dem 14-Jährigen. Er trägt ein auffälliges grünes Trikot mit dem Aufdruck «Königscamp». Dieses Trainingslager für Nachwuchsschwinger wird jeweils in den Sommerferien von einer Marketingagentur ausgeschrieben. Kevin kann einen richtigen Schwingerkönig als Kollegen bezeichnen. Er ist nämlich mit Matthias Sempach in einem Fernsehspot aufgetreten, in dem für Teigwaren geworben wird.
«Ein Vorbild»
Remo Nüesch aus Teufen, 16 Jahre alt, ist selber Schwinger und hilft im Nachwuchstraining. «Remo ist Ansprechperson und so etwas wie ein Vorbild für viele der Jungen. Sie schauen zu ihm hoch», sagt Beat Langenegger über den jungen Mann in Blau-Weiss. Was den Zimmermann-Lehrling an diesem Sport am meisten fasziniert? Während des Kampfes trete man hart gegeneinander an, aber nachher habe man es gut miteinander.
Remo hat im Winter zusätzlich im Schwingklub Herisau trainiert. «Bei uns Schwingern ist das recht unkompliziert. Man kann mittrainieren, obwohl man sich dann auf den Plätzen wieder als Widersacher gegenübersteht.» Sich trotz kräftigem Körperbau flink bewegen zu können, sei für einen Schwinger keine schlechte Eigenschaft, sagt Remo Nüesch.
Seine Schützlinge arbeiten eben daran. Zunächst wird allerdings nicht gegriffen und gezogen. Geworfen wird – aber nicht ein Gegner, sondern ein Schaumstoffball. Sitzballspiel zum Aufwärmen ist angesagt, kombiniert mit Liegestützen und Klappmessern. Die Abläufe wirken eingespielt, wenig muss erklärt werden.
Stafetten und Hüpfsprünge wechseln sich ab. Remo begibt sich auf den Boden – Kräftigungsübungen stehen an. Die Anweisungen erfolgen in zackigem Ton. Kevin Zeller wischt sich den Schweiss von der Stirn und atmet tief durch.
Der Jüngste ist erst 6 Jahre alt
Absolut ruhig und diszipliniert geht es zu und her. Die Intensität wird erhöht. Beat Langenegger wässert mit einem Schlauch derweil das Sägemehl. An einer Wand neben dem Schwingplatz hängt eine Geburtsanzeige von Viola. Sie ist im Herbst geboren (46 cm, 2720 g), als Tochter von Michael Bless, einem der Gaiser Aushängeschilder (187 cm, 112 kg).
Deutlich näher bei den Massen des Mädchens als bei jenen des fleissigen Kranzgewinners ist Max Frei. Der hat Jahrgang 2011 und ist der jüngste Teufner in der Trainingsgruppe. An einem Buebe-Schwingfest darf der Sechsjährige noch nicht teilnehmen. Erst im übernächsten Jahr wird er aktiv schwingen dürfen. Seiner Motivation und seiner Bewegungsfreude tut dies keinen Abbruch. «Es ist läss», deutet er dem Journalisten an.
Die Knaben und Jugendlichen rüsten sich mit den Hosen aus, einige stülpen sich einen Ohrenschutz über den Kopf. Wer einen Ohrenschmuck trägt, deckt ihn beim Training mit Klebeband ab, um Verletzungen vorzubeugen.
«Alle Köpfe ins Sägemehl!»
«Etwa eine Stunde halten wir uns immer im Sägemehl auf», erzählt Beat Langenegger. Sehr gewissenhaft erfolgt die Vorbereitung «vor Ort». Drehungen im Nackenbereich sind wichtig, die Handgelenke werden langsam und rasch bewegt.
«Alle Köpfe ins Sägemehl!» Ein Alltagsauftrag offenbar. Einige der Nachwuchsathleten schaffen fast perfekte Kopfstände mit senkrechten Beinpositionen, andere haben die Knie oder die Füsse noch im Sägemehl. Späne im Haar? Nicht der Rede wert für einen, der ein grosser Schwinger werden will.
«Brücke, los!» Der fotografierende und notierende Besucher wundert sich über Dehnfähigkeit und Ausdauer. Die Hälfte der Zielvorgabe von drei Brückenminuten ist schon erreicht. «Hebe! Hebe!», ruft Beat Langenegger. Zur Ablenkung beginnt einer der Jünglinge einen Witz zu erzählen. Der nächste folgt. Noch einer. Und irgendwann sind die drei Minuten tatsächlich vorüber.
«Die Jungen lernen rasch»
Womit der polysportive Teil abgeschlossen ist und die Konzentration der Repetition und dem Üben der Schwünge gilt. Für dieses praktische Techniktraining gesellen sich jeweils weitere Helfer und Leiter zur Gruppe. Diesmal zum Beispiel Thomas Kuster. Flanke, Stand, Boden: Die Ausgangspositionen werden demonstriert, probiert, korrigiert.
«Wir schauen auf die Grösse. Es spielt sich gut ein, wer mit wem ungefähr in derselben Gewichtsklasse sinnvollerweise übt», erzählt Beat Langenegger, bevor er mit seinem Leiterkollegen «greift». Nahezu andächtig steht die Trainingsgruppe im Kreis, gibt Rückmeldungen, stellt Fragen. Und es wird weiter besprochen, gegriffen, gestaunt.
«Ja, ja, ins Sägemehl kommen auch die Neulinge rasch. Das Ziehen selber ist beim ersten Mal noch etwas schwierig», ergänzt der Leiter. «Die Jungen sind aber motiviert und lernen rasch.»
An einem Anschlagbrett sind die speziell wichtigen Daten der ganz Grossen und ganz Starken aufgeführt. Unter anderem: «1./2.7. Appenzeller Kantonal, Teufen.» Max, irgendwann auch einmal ganz gross und ganz stark, blickt kurz darauf. Er dreht sich wieder Richtung Sägemehl und strahlt.