Erika Preisig
Am 12. März wird der dem Teufner Lokalhistoriker und Ansichtskartensammler anlässlich einer Feier vor geladenen Gästen der Tüüfner Bär überreicht. Mit uns zusammen blickt er auf sein Leben und seine Leidenschaft.
Auf der ersten Seite des Albums sehen wir die Buchenmühle, wo alles begann: Am 6. September 1934 das Leben unseres Preisträgers und viele Jahre später seine Sammlertätigkeit. Denn diese Postkarte seines Geburtshauses war die erste der Sammlung mit inzwischen über 2000 Ansichtskarten.
Kindheit in Buchenmühle und Goldimühle
Eine schöne Jugend habe er gehabt in der Bäckerei seines Vaters in der ehemaligen Mühle am Goldibach, erzählt Werner Holderegger. In dieser Backstube, wo es warm war, spielte sich das Familienleben ab. Dunkles Brot und Nussgipfel und auf die Festtage Eierzöpfe mussten Werner und seine Schwester Rosmarie mit der Chrenze austragen, das Bord hinauf in den Schlatterlehn und ins Tobel. Dagegen war der Schulweg ins Dorf der reinste Spaziergang. «I wäss no», erzählt er, «als Signal, dass die Schulreise stattfindet, hisste Abwart Kern auf dem Kirchturm jeweils eine Fahne. Die Leute hatten ja kein Telefon. Und wir, die wir den Kirchturm natürlich von unserem Haus aus nicht sahen, rannten hinauf zum Lindenhügel und wieder zurück, um entweder den Proviant oder die Schultafel einzupacken.»
Als Werner zwölf war, wurde die Buchenmühle verkauft und Holdereggers konnten, 700 Meter bachabwärts in der Goldi- oder Rodunersmühle das Brot backen. In diesem riesigen Haus wohnten noch andere Familien, die Besitzerin Julie Roduner und diverse Untermieter, doch es gab nur einen einzigen «Abtritt» (WC) und zwei Küchen!
Vom Bäcker zum «Wasserwart»
Nach der Konfirmation, 1950, begannen Werners Jahre «i de Frönti». Erst die Lehre als Bäcker im entfernten Niederuzwil, gefolgt von der RS und der ersten Stelle in der Bäckerei Schefer in Arth Goldau. Doch schon wenige Monate später sah man ihn auf dem Velo über den Sattel und den Ricken Richtung Heimat fahren. Wegen einer Mehlallergie musste er sich vom Bäckerberuf und von Arth Goldau verabschieden. «Je näher ich dem Appenzellerland kam, umso freier konnte ich schnuufe », erzählt er.
Zuhause fand er Arbeit bei der SGA, der Appenzellerbahn. Zuerst als Streckenarbeiter, dann als Stationswärter und schliesslich 1956-1959 als Kondukteur. Davon, dass Werner im Herzen ein Bähnler geblieben ist, zeugt sein grosses Wissen über die Geschichte der Gääserbahn.
«Wääsch no», sagt Werner zu seiner Frau, «ich hatte damals 528 Fr. Monatslohn. Zu wenig, um eine Familie zu ernähren.» Im Anker gab es nämlich eine Serviertochter aus Untervaz – Marcella Lipp. – «Jo, denn isch mer halt ebe öpperemol dai iikehrt.» 1960 heirateten die beiden und nodisno wurden ihnen vier Kinder geschenkt.
Werner wechselte zur Telephondirektion in St. Gallen als Magaziner. Noch heute weiss er die Nummern der Stangen und Kabel, die er einst an Pfingsten mit Marcella als Abfragerin für die Prüfung gebüffelt hatte. Doch so richtig glücklich wurde Werner nicht beim Telephon. Der Kontakt zu den Leuten fehlte ihm.
Und so kam ihm die Anfrage aus dem Gemeindehaus wie gerufen. Eine Stelle bei der Wasserversorgung war zu vergeben. Und endlich war Werner in seinem Element. Zusammen mit seinem Chef Walter Hohl und mit Werner Strübi kümmerte er sich ums Teufner Wasser. Die ganze Welt hätte er wohl mehr als einmal zu Fuss umrunden können, so viele Kilometer legte er zurück auf seinen Ablese-Touren.
So kannte er bald jeden Weg, jedes Haus und jeden Menschen in Teufen. Seine Aufgabe war das Ablesen der Wasseruhr und das Kontrollieren der Wasserleitung mittels eines Hörröhrchens. Die Rechnung schrieb er gleich vor Ort. «Das werden insgesamt wohl um die 50 000 gewesen sein in all den Jahren», hat Werner ausgerechnet. Oft habe so ein Fraueli geradezu auf ihn gewartet, damit er eine neue Lampenbirne einschrauben oder ein loses Brett wieder festmachen helfe. Mit viel Freude versah Werner Holderegger auch die Aufgabe als Gerätewart der Feuerwehr.
Der Wanderweg-Pionier
Ganz eng verknüpft mit Werner Holdereggers Tätigkeit als wandernder Wasserableser war sein Engagement für die Wanderwege. Von 1981-1994 war er für den Verein Appenzell Ausserrhodischer Wanderwege (VAW) als Wanderleiter unterwegs. Als Obmann für das Mittelland nahm er sämtliche Routen neu auf und war zuständig für die Neumarkierung und den Unterhalt der Wege. Wer macht sich schon Gedanken darüber, wie mühsam z.B. das Aufstellen von Wegweisern in unwegsamen Gebieten ist? Doch Werner, mit seinen 55 Kilo zwar ein schmaler Wurf, schaffte es, jede Tafel an ihren Ort zu pflanzen. Ganz sein lassen kann er es auch heute nicht. Noch verwaltet er das Material und pflegt den Wanderweg von der Einsamkeit zum Kloster Wonnenstein.
Der Postkartensammler Werner Holderegger erlebte auf seinen Gängen durch das Dorf, wie sehr es dem Wandel unterworfen war. Neue Quartiere entstanden, viele Wirtschaften, Läden und Gewerbebetriebe gingen ein. Er erschrak, wie schnell doch die Erinnerung an Häuser und Quartiere verblasst. Mit seiner Postkartensammlung konnte er diesen grossen Veränderungen etwas Sichtbares entgegensetzen. Damit nicht genug, bis heute hält er alle baulichen Veränderungen fotografisch fest und notiert in einer mittlerweile langen Liste die vielen verschwundenen Betriebe. So wurde er zum inoffiziellen Protokollführer unseres Ortsbildes und bewahrte es vor dem Vergessen.
Sein grosses Wissen über unser Dorf und seine prachtvolle Sammlung machten ihn schon bald zum beliebten Referenten. An Jahrgängertreffen, Vereins- und Gemeindeanlässen, bis heute über 60 Mal, zeigt er seine Dias und erzählt, gewürzt mit Anekdoten, in seinem urchigen Tüüfner Dialekt, frei, ohne Gedankenstützen, vo früener. Und alle staunen über sein phänomenales Gedächtnis.
Der Ehrenplatz für den Tüüfner Bär in Holdereggers Stube ist schon bestimmt. Jeden Tag wird sich der Preisträger und seine Familie daran erfreuen. Und wir freuen uns mit ihm, wandern weiter in die Zukunft hinein, erholen uns manchmal auf einem Bänkli vom hektischen Alltag und blättern nostalgisch in Werner Holdereggers Ansichten vom «alte Tüüfe».
Eingegangen seit 1930:
37 Wirtschaften
18 Bäckereien
6 Metzgereien
18 Steinbrüche
1950 gab es in Teufen noch 17 Milchmänner.
Die Würdigung:
Der fünfte «Tüüfner Bär» geht an Werner Holderegger
Die Gemeinde ehrt den Lokalhistoriker und Ortskenner. weiterlesen…
TPoscht online | 1. 03. 2013 | Gemeinde, Kultur | Keine Kommentare