Thomas Fuchs
«Extra-Blatt. Krieg zwischen Oesterreich und Serbien», verkündete am Sonntag, 26. Juli 1914 ein Extrablatt der Appenzeller Zeitung, nachdem tags zuvor Österreich- Ungarn seine Armee mobilisiert hatte.
Keine Mittel für eine Spezialausgabe hatte die Teufner Lokalzeitung «Säntis», die nur dienstags und freitags erschien. Sie titelte am 28. Juli: «Der Krieg unvermeidlich!»
Nachdem am Freitag darauf der Schweizer Bundesrat zum Schutze der Neutralität die Mobilmachung der Armee anordnete, hatte das kantonale Zeughaus in Teufen von einem Tag auf den andern eine wichtige Rolle zu übernehmen.
Herausforderung für das Zeughaus
Die Zeughausverwaltung erhielt am frühen Morgen des 31. Juli 1914 ein Geheimschreiben der eidgenössischen Kriegsmaterialverwaltung mit der Mitteilung, dass aufgrund der politischen Lage in Europa eine baldige Mobilmachung der Armee nicht ausgeschlossen werden könne. Noch am selben Freitag traf ein Telegramm ein, das den entsprechenden Beschluss des Bundesrates meldete. Und noch am selben Abend wurden in allen Gemeinden rote Plakate ausgehängt, welche die allgemeine Mobilmachung auf den 3. August verkündeten.
Der Mobilmachungsbefehl brachte den Zeughausverwalter in arge Nöte, stand ihm doch in diesem Moment nebst den in der Schneiderei beschäftigten Berufsarbeitern nur der Bürogehilfe zur Verfügung. Vom übrigen Personal befand sich einer im Urlaub, der andere im Militärdienst, der dritte war kurz zuvor entlassen worden.
Sofort wurden die Arbeiten angegangen und Feuerwehrleute zur Bewachung des Zeughauses aufgeboten. In der Nacht vom Freitag auf den Samstag (31. Juli/1. August) wurde das gesamte Korpsmaterial für die appenzellischen Füsilierbataillone 83 und 84 und das Schützenbataillon 7 nach Herisau, dem Sammelplatz dieser Einheiten, transportiert.
In Teufen selber bereitete man sich auf das Einrücken des Landwehr-Infanteriebataillons 161 und des Feldlazaretts 16 am Montag vor. In den Schulhäusern und anderen geeigneten Räumlichkeiten wurden provisorische Kantonnemente eingerichtet.
Am 1. August mussten die Pferdebesitzer mit Ross und Wagen auf dem Zeughausplatz in Teufen erscheinen, wo über die Dienstfähigkeit ihrer Tiere entschieden wurde. Ebenso kamen viele Wehrmänner ins Zeughaus, um deponierte oder fehlende Ausrüstungsteile zu beziehen. Am Nachmittag übernahmen aufgebotene Landsturmtruppen den Wachtdienst von der Feuerwehr.
An der abendlichen 1. Augustfeier waren weder Musik noch Gesang zu hören, sondern einzig die Kirchenglocken. Nach ihrem Verstummen «gingen die Menschen langsam auseinander und eine bleierne Ruhe legte sich über das Dorf, alles war unter dem Banne einer unheilschwangeren Zukunft».
Vereidigung des Infanteriebataillons 161
Am Dienstag, 4. August, war Einrücken: Die jüngeren Wehrmänner im Auszugsalter begaben sich nach Herisau, die Landwehrler nach Teufen. Die Vereidigung des kriegsmässig ausgerüsteten Landwehr-Infanteriebataillon 161 erfolgte am Tag darauf vor dem Zeughaus. Unter den Klängen des Fahnenmarsches trat um 16 Uhr der Fähnrich mit der Bataillonsfahne aus dem Zeughausportal und schritt in das Karree, das die gut 1400 in Achtungsstellung verharrenden Männern bildeten.
In die atemlose Stille hinein sprach Landammann Johann Jakob Tobler (1854–1936) folgende Worte: «Offiziere, Unteroffiziere und Soldaten! Die Stunde ist ernst. Das Vaterland ruft euch. Ihr folgt diesem Ruf willig, tapfer und in freudiger Pflichttreue. Die zu Hause bleiben, werden stets euer gedenken in Liebe und Dank und in der Zuversicht und festen Hoffnung, dass es den wackern Schweizertruppen gelinge, die vollständige Neutralität des Landes zu wahren. Seid unbesorgt um die Eurigen. Die Behörden und alle guten Bürger, welche nicht mit euch ziehen können, werden es sich zur heiligen Pflicht machen, überall da die Hilfe einzusetzen, wo Hilfe nottut und möglich ist. Eure einzige Sorge sei jetzt die appenzellische Waffenehre, das Vaterland, das Schweizerland.»
Anschliessend folgte der Fahneneid. Um die neunte Stunde des folgenden Tages (Donnerstag) setzte sich das Bataillon 161 im strömenden Regen Richtung St.Gallen in Marsch. «Wehende Tüchlein, nasse Augen, tieftraurige Gesichter an allen Fenstern. Stumm, ernstgestimmt, stampft – Takt – Takt – eine Kompagnie um die andere waffenklirrend vorüber» – so die Erinnerung des Gefreiten Schwalm aus Herisau.
Der Einsatz führte die Männer nach Zernez, von wo aus sie zur Bewachung der italienischen und österreichischen Grenze im Gebiet Ofenpass-Münstertal eingesetzt wurden. Am Nachmittag des 16. September erfolgte die Rückkehr nach Teufen, am Samstag darauf (19. September) die Entlassung.
Bis Ende November dagegen dauerte der Aktivdienst der Appenzeller Auszugs-Bataillone 83 und 84 im Jura. Erneut zum Aktivdienst gerufen wurden die 161er vom 12. Juli bis 28. August 1915, 28. August bis 4. November 1916, 1. Oktober bis 18. November 1917 und 28. Januar bis 23. Februar 1918.
Besondere Massnahmen in Teufen
Die Mobilmachung bedeutete einen Eingriff in fast jede Familie und war eine emotionale Erfahrung für alle. Sie bot aber auch ein öffentliches Spektakel, das sich vom bisherigen Leben absetzte. Das Leben der Leute veränderte sich nachhaltig. Während sich die mobilisierten Männer schlagartig in einem uniformierten Soldatenleben wiederfanden, hatten viele Frauen zusätzliche Aufgaben zu Hause zu übernehmen.
Wer einrücken musste, verlor seinen Zahltag und manchmal auch seine Stelle. Es gab keinen Wehrpflichtersatz. Als notunterstützende Sofortmassnahmen richtete der Teufner Gemeinderat sofort einen «unentgeltlichen Arbeitsnachweis» (Arbeitsvermittlungsstelle) und in Zusammenarbeit mit Freiwilligem Armenverein und Frauenarmenverein eine Zentralstelle für Notunterstützung ein. Diese gab Lebensmittelgutscheine ab und beschaffte einen Eisenbahnwagen voll Kartoffeln aus Holland. Bis Ende Oktober unterstützte sie 331 Personen.
Weiter liess die Forstkommission die Gemeindewälder durchforsten, um Brennholz an Bedürftige abgeben zu können.
Wie schnell die Not um sich griff, zeigte sich beim Brockenzimmer, das der Samariterverein Teufen seit Mai 1913 betrieb. «Die durch den Krieg geschaffene Notlage macht sich bei den Armen unserer Gemeinde besonders drückend fühlbar. So war denn auch der Andrang in unserem Brockenzimmer so gross, dass wir uns entschlossen, dasselbe zwei Mal in der Woche, je Montag und Donnerstag, offen zu halten. Leider gehen aber in letzter Zeit die Gaben spärlich ein und konnten dieselben der grossen Nachfrage nicht mehr genügen. Wir sahen uns deshalb gezwungen, zum Einkauf von Lager-Restbeständen zu schreiten und bedürftigen Armen die nötigsten Kleiderstücke zum halben Preise abzugeben, indem wir den Erlös eingegangener verkaufter Gaben wieder zum Ankaufe billiger Artikel verrechneten.»
Quellen: Appenzeller Zeitung, 1914; Säntis. Volksblatt für den Kanton Appenzell und dessen Umgebung, 1914; Die Grenzbesetzung 1914–1918 von Soldaten erzählt. Erlenbach/Zürich 1933, S. 12–14; Grenzbesetzung 1914/15 Infanterie- Bataillon 161.