
Thomas Fuchs, Leiter der ortsgeschichtlichen Sammlung von Teufen
Mit dem Waffenstillstand von Compiègne am 11. November 1918 fand der Erste Weltkrieg ein Ende. Während dies in der Westschweiz gefeiert wurde, war in der Deutschschweiz kaum Begeisterung zu spüren. Für den Grossteil der Leute wurde der Alltag von der allgemeinen Not bestimmt, so auch in Teufen.
Der bevorstehende Generalstreik, die knappen und teuren Grundnahrungsmittel, die rasch zunehmende Arbeitslosigkeit, die Grippe- Pandemie und die immer noch angeordneten Mobilmachungen trübten die Stimmung.
Landesstreik
«In unserer Gemeinde hat man vom Generalstreik nicht viel gemerkt. Kein einziges Privatgeschäft ist uns bekannt, wo nicht gearbeitet wurde. Einzig unsere Strassenbahn fuhr vom Dienstagnachmittag an nicht mehr und wer nach Gais oder St.Gallen wollte, der musste, wenn er kein Velo hat, zu Fuss gehen, wie ehedem, als noch keine Bahn fuhr. Tageszeitungen erschienen keine mehr und viele sind um unser Blättli froh gewesen.» So bilanzierte die Teufner Lokalzeitung «Säntis » am 15. November 1918 mit einer gewissen Genugtuung. Das nur zweimal in der Woche erscheinende Blatt sprang in den zeitungslosen Streiktagen mit zwei «Sonder-Bulletins» in die Bresche. Leider sind diese nicht mehr vorhanden.
Mit dem Landesstreik vom 12. bis 14. November 1918 jährt sich eine der schwersten innenpolitischen Krisen der modernen Schweiz zum hundertsten Mal. Im Generalstreik entluden sich die sozialen Spannungen, die sich durch das grosse materielle Elend breiter Bevölkerungskreise im Verlauf der Kriegsjahre aufgebaut hatten. Er traf ein tief gespaltenes Land.
Im Appenzellerland wurde einzig bei den Eisenbahnen sowie in den Fabriken und den Buchdruckereien in Herisau gestreikt. Da Kundgebungen stattfanden, bot der Regierungsrat Militär zum Schutz der öffentlichen Gebäude auf. Konflikte blieben aus. Die Ankunft von Eisenbahnzügen in Herisau am späten Abend des zweiten Tages bedeutete eine erste Aufweichung der Streikfront. Die Züge wurden von Ingenieuren gefahren und von Militär begleitet.
Bei der Arbeiterschaft bewirkte der Generalstreik eine starke Mobilisierung. In Herisau etwa konnte die Arbeiterunion ihre Mitgliederzahl mehr als verdreifachen. In Teufen kam es zur Umbenennung des Arbeitervereins in Sozialdemokratische Partei. Auf der politischen Gegenseite bemühte sich Säntis- Verleger Heinrich Stadelmann um den Aufbau einer Teufner «Mittelstandsbewegung». In anderen Gemeinden bildeten sich Bürgerwehren.

Grosse Not
Mitte Januar 1918 ergab eine Erhebung der Kartoffelvorräte in Teufen 72’430 kg. Notwendig gewesen wäre das Vierfache. Ein beschränktes Quantum konnte die Lebensmittelkommission danach beschaffen. Sie rief zudem zum vermehrten Eigenanbau im nächsten Frühling auf und stellte Saatkartoffeln und Pflanzland zur Verfügung. Mitte März referierte der Direktor der Strafanstalt Gmünden in der Linde über den Kartoffelanbau. Sein Vortrag wurde im «Säntis» abgedruckt. Im Herbst organisierte die Gemeinde «Flurwachen» zum Schutz vor Felddiebstählen.
Weil der Import immer schwieriger wurde, spitzte sich im Frühling 1918 die Lage in der Schweiz aufgrund der hohen Auslandabhängigkeit bei Grundnahrungsmitteln und Brennstoffen dramatisch zu. Diese Produkte wurden rationiert, ihre Preise kontrolliert und verbilligt. Die Kantonsregierung schuf neue Amtsstellen wie das Milch-, Brot- und Fettamt, die Anbau-, die Brennstoff- und die Fürsorgekommission. Da sich auch die Situation in der Textilindustrie zunehmend verschlechterte, begann im letzten Kriegsjahr für die Ostschweiz eine lang anhaltende Wirtschaftskrise. Die Gemeindekrisenkasse Teufen erklärte auf den 1. November 1918 offiziell «die Krisis».

Die Kriegsjahre waren geprägt von einem massiven Anstieg der Lebenskosten, besonders in der zweiten Kriegshälfte. Von 1914 bis 1919 stieg der Landesindex der Konsumentenpreise von 100 auf 250 Punkte. Da die Löhne nicht mithielten, waren in den Jahren 1917/18 immer mehr Leute auf die so genannte Notstandshilfe angewiesen.
1918 bezog ein Sechstel der Schweizer Bevölkerung Unterstützungsleistungen, im Kanton St.Gallen gar ein Drittel. Im Appenzellerland dürfte es wie in St.Gallen ausgesehen haben, Zahlen fehlen. Die Notstandhilfe musste auch nach dem Krieg aufrechterhalten werden. Sie belastete Kantons- und Gemeindefinanzen stark.

Von November 1917 bis Oktober 1918 hiess die Notunterstützungskommission Teufen 533 Gesuche gut. Unterstützung erhielt sie von den örtlichen Armenvereinen und vom Kanton. Für 7500 Franken gab sie Brennholz, Kohlen, Brot, Milch, Kartoffeln, Spezereien und Schuhe ab oder übernahm Mietzinskosten. Für weitere 47’391 Franken konnte sie 105’044 kg Brot, 194’811 Liter Milch und 4127 Liter Petrol verbilligt abgeben. Ab Oktober betrieb sie zudem eine Suppenküche.

Spanische Grippe
Die verheerende Grippepandemie des Jahres 1918 hatte ihren Ursprung nicht in Spanien, sondern im frühen März in den USA. Um den 10. Juli 1918 erreichte die so genannte Spanische Grippe auch Teufen. Nach den Sommerferien blieben die Schulen deshalb für drei Wochen geschlossen. Noch verlief die Krankheit aber meistens harmlos.
Nach einem vorübergehenden Rückgang in der zweiten Augusthälfte kehrte die Grippe sehr viel aggressiver zurück. Der Kanton verbot deshalb grössere Versammlungen. Von Mitte Oktober bis Mitte November blieben die Schulen und die Kirchen geschlossen. Beerdigungen durften nur noch «still» im kleinen Kreis stattfinden. Auch der Teufner Jahrmarkt wurde abgesagt. Gegen Ende Oktober beklagte man auch in Teufen erste Todesopfer. An Weihnachten waren in den Gottesdiensten weder Chorgesang noch Abendmahlspendung gestattet. Die beliebten Silvesterfeiern in den Kirchen wurden ebenfalls verboten. Erst im Frühjahr 1919 flaute die Pandemie ab.

Fast ein Viertel der Teufner an Grippe erkrankt
In der Schweiz erkrankten von Juli 1918 bis Juni 1919 insgesamt etwa zwei Millionen Personen, 24’449 starben (0,62% der Gesamtbevölkerung). 60 Prozent der Toten waren zwischen 20 und 40 Jahre alt, ein bislang ungeklärtes Phänomen. In Teufen verzeichnete man bis Ende 1918 1054 Grippefälle (bei rund 4800 Einwohnern). Zwischen dem 20. Oktober 1918 und Ende Januar 1919 starben siebzehn Personen an der Krankheit. Eine unbekannte Zahl von Teufner Einwohnerinnen und Einwohnern erlag zudem ausserhalb der Wohngemeinde der Grippe.
Besondere Betroffenheit löste in Teufen das Ableben von zwei Militärdienstleistenden aus: Gemeinderat Eugen Egger (1886–1918), «Prinzipal» der Stickereifirma Egger, Preisig & Co., starb am 24. November in Uster, Jakob Kürsteiner (1887–1918) am 23. Dezember in Neuhausen am Rheinfall. Letzterer wurde in Teufen mit militärischen Ehren beerdigt.