Vom Wellnesshotel zum Sonderschulheim

16.03.2016 | TPoscht online
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Kinderheilstätte Bad Sonder – die Liegehalle. Foto: Archiv Bad Sonder.

Matthias Jäger

Im Rahmen der Veranstaltungsreihe zu Aspekten der Teufner Geschichte lud die Kulturkommission am 14. März zur Begegnung im Bad Sonder. Im Gespräch mit Martin Brunner und Thomas Schwemer brachte Hanspeter Spörri einer Gruppe von etwa 20 Interessierten das unbekannte Bad Sonder näher.

Einst mit Schwebebahn erschlossen

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Erbaut 1832, war das Bad Sonder bis 1914 Hotel für eine eher gehobene, vorwiegend deutsche Kundschaft. Mit Beginn des 1. Weltkrieges brach das Geschäft ein. Hotelgäste machten Internierten Platz. Die Tuberkulosenliga St. Gallen erwarb das Gebäude 1918 und richtete eine Heilstätte für Kinder ein. Erschlossen wurde es damals mit einer Schwebebahn aus dem Gebiet der Turnhalle Dorf. Heute ist das Bad Sonder ein St. Gallisches Sonderschulheim.

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Das Podium in der Aula von Bad Sonder. Fotos: Ralph Senn

50 Mitarbeitende für 58 Jugendliche
Ob und wie der Geist des Wellness Hotels im heutigen Betrieb noch zu spüren sei und nachwirke, eröffnete der Moderator die Gesprächsrunde.
Es sei das Ziel, dass sich die heute 58 Jugendlichen tatsächlich wohl fühlen und ihren Weg ins Leben finden. Die Voraussetzungen dazu seien gegeben, so Thomas Schwemer, der Gesamtleiter. Das Bad Sonder habe das Glück, über eine gute Infrastruktur und genügend Ressourcen zu verfügen.

50 Mitarbeitende teilen sich 38 Stellen. Im Schulbereich arbeitet eine Lehrperson zusammen mit einer Lernassistenz mit einer Gruppe von 9-10 Jugendlichen. Die Schulassistentinnen und Schulassistenten haben eine äusserst wichtige Rolle, auch wenn sie als Praktikantinnen und Praktikanten oder Zivildienstleistende oft selber noch jugendlich seien.

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Gehören zum Dorf: Jugendliche vom Bad Sonder sammeln für „Jeder Rappen zählt“. Foto: zVg.

Leben in Wohngruppen
Das Internat ist heute kein Massenbetrieb mit Speisesaal mehr, sondern besteht aus verschiedenen Wohngruppen. Diese sind möglichst klein und selbständig organisiert. Sie haben eine eigene Küche und versorgen sich selber. So gehen die Jugendlichen auch regelmässig ins Dorf einkaufen.
Das war nicht immer so. Noch 1968, als Martin Brunner, der ehemalige Gesamtleiter, als Lehrer ins Bad Sonder kam, wurden die etwa 50 Jugendlichen von zwei Lehrpersonen und einer Krankenschwester betreut. Der ganze Rest des Personals, einschliesslich des Heimleiters, war berufsfremd oder ungelernt.

Von „Schwererziehbaren“ zu „Zappelphilipps“

Die Professionalisierung und die pädagogische Positionierung als Sonderschulheim erfolgten erst in den 80er-Jahren. Vorher dominierte der Gedanke des Versorgens. Hanspeter Spörri, der Moderator, erinnerte sich denn auch, dass das Bad Sonder in seiner Jugend im Dorf einen eher zweifelhaften Ruf genossen habe, dass von Schwererziehbaren die Rede gewesen sei, und dass die Drohung im Raum gestanden hätte, man werde in ein solches Heim versorgt, wenn man nicht gut tue.

Vorbereitung auf Lehrstellenmarkt

Im Zug dieser Entwicklung veränderte sich auch die Zusammensetzung der Bewohnerinnen und Bewohner. Waren in früheren Jahren Kinder teilweise über viele Jahre im Bad Sonder, konzentriert sich das Angebot heute auf Jugendliche im Oberstufenalter. Auf dem Lehrstellenmarkt stehen diese in Konkurrenz zu Jugendlichen aus Regelklassen. Das heisst, dass sie inhaltlich und leistungsmässig dasselbe Niveau erreichen müssen. Heute erfolgt die Einweisung ausschliesslich über den schulpsychologischen Dienst.

Diagnose als Eintrittsticket

Die typischen Diagnosen veränderten sich im Lauf der Zeit. Der Begriff „schwererziehbar“ verschwand schon lange. Viele seien “Zappelphilipps”, sagt Thomas Schwemer. Die habe es schon immer gegeben, lange bevor das Phänomen mit der Diagnose POS oder ADHS einen Namen bekam. Markant zugenommen hat die Diagnose Asperger Autismus. Der Schulabsentismus, also Kinder, die teilweise über Monate hinweg nicht mehr in der Schule auftauchen, sei ein völlig neues Phänomen. Das habe es so vor 5 Jahren noch nicht gegeben.

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Pausenbetrieb. Foto: zVg.

58 Einzelfälle
Für die Institution ist die Diagnose das Eintrittsticket, und für die Eltern sei sie oft entlastend. So bekomme ihr Problem einen Namen, führt der Gesamtleiter weiter aus. Für die Schulung hingegen sei die Diagnose weniger wichtig. Pädagogisch habe man 58 Einzelfälle und es gehe in jedem Einzelfall unabhängig von einer Diagnose darum, an den Stärken anzuknüpfen und Wege zu finden.
Was denn mit denjenigen passiere, die auch im Bad Sonder nicht mehr tragbar seien, so eine Frage aus dem Publikum. Da es in der Ostschweiz keine geschlossenen Schulheime gibt, gibt es kaum Möglichkeiten, Jugendliche wegzuweisen. Alternativen gibt es erst, wenn jemand kriminell wird. Ansonsten ist die letzte dramatische Massnahme, jemanden vorzeitig auszuschulen.

Bezug zum Dorf
Das Bad Sonder ist eine private Einrichtung, untersteht aber der Bildungsdirektion des Kantons St. Gallen. Wichtige Bezugspunkte zu Teufen als Standortgemeinde sind die Bibliothek, die Turnhalle, sowie die Gebäude als beliebte Objekte für Feuerwehrübungen. Administrativ werden Jugendliche aus den beiden Appenzell aber als ausserkantonale behandelt.

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Der anregende Abend schloss mit einem Apéro und vielen persönlichen Gesprächen.

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