Erika Preisig
Die Nachricht über die Vermietung des Ladengeschäfts an eine Immobilienagentur stiess überall im Dorf auf grosses Unverständnis. Auch in der Vergangenheit sorgten der Anbau und seine Mieter oft für erzürnte Gemüter. Ein Grund, einzutauchen in seine 80-jährige Geschichte.
Im Juni dieses Jahres schloss Heidi Solenthaler nach 13 Jahren ihr Ladengeschäft für Heimtextilien, Geschenkartikel und Outdoor- Bekleidung. Ihre hübsch dekorierten Schaufenster und das mit Geschmack ausgewählte Sortiment bescherten ihr Kundschaft aus der ganzen Region. Doch auch sie spürte in den letzten Jahren eine gewisse Flaute. Vor allem seit der Schliessung des Cafés Spörri fehlte die spontane Laufkundschaft.
WAKO-Sport 1975 – 2000:
Das «Skidorado» der Ostschweiz Am 13. September 1975 um 13.13 Uhr eröffnete Walter Koch, genannt WAKO, ein Sportgeschäft. Das war ein grosser Augenblick, denn zugegen waren damalige Grössen und Hoffnungsträger des Skisports: Edi Bruggmann, Heinz Gähler und August Broger. Walter Kochs Skifachgeschäft war in der ganzen Ostschweiz ein Begriff für gute Beratung und ausgezeichneten Service. Er brachte viele Eigenschöpfungen auf den internationalen Markt, z.B. einen Kunststoffkleber oder ein Skibindungs-Montagegerät sowie verschiedene Anlagen für den Skiservice, die auch immer wieder der Nationalmannschaft dienten. 1991 verlegte Wako das Wintersportsortiment an die Hechtstrasse 2, und Ende 1999 wurde der Laden im Dorf aufgelöst und dessen Sortiment im Hecht integriert.
Ein Schandfleck im Dorfbild
Der unpassende Flachdachanbau an die historische Häuserzeile gab immer wieder zu diskutieren. So auch nach dem Auszug der Migros, 1971, als die Liegenschaft zum Verkauf stand. Walter Schneider schreibt im Teufner Mosaik unter dem Titel «Dorfverschönerung in Sicht?»: … «es bleibt zu hoffen, dass auch hier eine Abbruch- Korrektur des Dorfbildes ermöglicht wird.» Seit seiner Erstellung sei dieser Anbau ein Fremdkörper. Schneider forderte im Namen vieler Bürger, die Gemeinde solle die Liegenschaft erwerben, um sie der Spekulation zu entziehen und den alten Zustand, nämlich den Garten, als Oase der Ruhe wieder herstellen. Dieser würde von vielen alten Leuten eifrig benützt werden: «Sie könnten den Verkehr auf der Strassengabelung und dem Bahnhofplätzchen, das Ein und Aus beim ‹Spörri› beaugapfeln.» Statt der Gemeinde kaufte Sepp Manser, der Mieter der Bäckerei, die Liegenschaft samt Anbau. Seine Umbaupläne wurden nicht realisiert.
1957 – 1971: Die Migros kommt nach Teufen
Welch ein Aufruhr brach aus bei den Gewerblern im Dorf, als bekannt wurde, dass die Migros das Haus gekauft habe, um im Anbau eine Filiale zu eröffnen. Die Ladenbetreiber versuchten dies mit allen Mitteln zu verhindern, sie fürchteten um ihre Existenz. Und natürlich richtete sich der Zorn gegen den Verkäufer, Fritz Wetter. Er wurde von der Bevölkerung regelrecht geächtet. So verbot ihm Ernst Sutter vom Ochsen, sein Restaurant zu besuchen, wo der Junggeselle bis anhin täglich sein Mittagessen eingenommen hatte. Wetter rechtfertigte seine Handlungsweise vor dem Gewerbeverein mit jahrelangen Verkaufsbemühungen, grossen Modeverlusten und Personalschwierigkeiten. Doch er stiess auf das Unverständnis seiner Kollegen und wurde an der Versammlung vom 1. November 1956 aus dem Gewerbeverein ausgeschlossen.
Fritz Wetter, Bekleidungs- und Schuhhaus 1933 – 1957
Fritz Wetter (1894 – 1984) wuchs im Schönenbüel auf. 1920 machte er sich in Teufen selbständig und führte während elf Jahren ein Reise- und Platzgeschäft der Textilbranche. 1931 wagte er es, trotz der Weltwirtschaftskrise das Haus der Liegenschaft Dorf 15 (heute Dorf 14) zu erwerben und einen eingeschossigen Ladentrakt mit Flachdach daran anzubauen, wo er 1933 sein Bekleidungs- und Schuhhaus eröffnete, um dieses 24 Jahre lang erfolgreich zu führen. Fritz Wetter war ein interessierter Zeitgenosse. Politik, Naturwissenschaften, Astronomie und Astrologie beschäftigten den Junggesellen, und die Freizeit galt dem Bergsteigen, Schiessen und Fotografieren. Er gehörte wohl zu Teufens ersten «Esoterikern», stand er doch mit den Sternen auf du und du. Niemals war er ohne sein Horoskop-Rad, einer Scheibe, auf der man die Konstellation der Sterne ablesen konnte, unterwegs. Bevor er einen Entscheid fällte, nahm er dieses hervor und befragte es. Er war auch sehr abergläubisch. Margrit Honegger, die bei Wetter als Verkäuferin arbeitete, erinnert sich: «Wenn wir zu Kriemler nach St.Gallen einkaufen gingen, durften wir kein Kleidungsstück erwerben, das die Zahl 13 trug.»
Fritz Wetter: Hans Höhener, im «Anker» aufgewachsen, erinnert sich
Ich kannte Fritz Wetter von Kindsbeinen an. Er war unser Nachbar, sozusagen vier Haustüren weiter hinten. «Faxe Wetter» nannten ihn die Erwachsenen. Und wir Kinder taten es ihnen gleich. Ein «kurliger» Mensch war er. Er galt als etwas zurückgezogen. Ein typischer Junggeselle, wie man sagte. Dennoch stets gut gekleidet. Er hatte ja ein Kleidergeschäft. Er war Geschäftsmann, man respektierte ihn, gewissermassen. Doch in seiner geradezu fantastischen Unbeholfenheit war er wohl sehr einsam. Man machte sich lustig, lächelte über ihn, hinter ihm. Und begegnete ihm mit «Herr Wetter». Wenigstens wir Kinder.
Und natürlich lachten wir damals, als «Bösi», der bekannte Teufener Dorffotograf und Papeterist, die älteren Dorfbuben filmte, wie sie die Strohhüte aus dem oberen Stock von Fritz Wetters Kleiderlager wie Frisbees über die Wiese zum «Stinkgässli», jenem kleinen, heute nicht mehr existierenden Kiesweg hinter der zweiten Häuserzeile im Dorf, schweben liessen. Wir hatten ein Riesengaudi – natürlich aus gebührender Distanz.
Für uns, die kleineren Buben, anerbot sich dafür Fritz Wetters Hausglocke. Eine geradezu ideale «Lüüti» für das «Glögglispiel». Wenn möglich, immer am Abend, bevor wir nach Hause mussten. Der Druckknopf hat gerade soviel Spielraum, dass ein Zahnstocher knapp, aber gut blockierend hinein passte und kaum mehr zu entfernen war. Das laute, grelle Läuten, das uns Buben gleichsam zu kleinen, lasterhaften Wiederholungstätern animierte, hatte es in sich. Denn irgendwann war für Fritz Wetter «gnueg Heu donne». Mit einem gut zwei Meter langen Stock verjagte er uns, rannte uns durchs Dorf nach, versteckte sich hinter Häuserecken, drohte, uns «grauenhaft abzuschwarten» … und wenn er uns heute nicht erwische, so halt morgen oder übermorgen. Jedenfalls kam ich spät nach Hause, brauchte zünftige Ausreden und lief tage-, ja wochenlang über Umwege vom «Anker» zur Post oder zum Bahnhof.
Jahre später, als Fritz Wetter im Altersheim Bächli war, plauderten wir manchmal, wenn wir uns begegneten. Einmal erklärte er mir, weshalb er oft rückwärts durch die Gegend spaziere. Der Mensch brauche den Ausgleich, sagte er mir, nachdem er sein ganzes Leben «vörschi gange» sei, benötige er das rückwärts Gehen für sein inneres Gleichgewicht. Fritz Wetter, ein liebenswürdiger Mensch, sympathisch «kurlig» – über Jahrzehnte einsam mitten im Dorf.
Quellen:
• Ortsgeschichtliche Sammlung, Archiv Walter Schneider.
• Säntis. Volksblatt des Kantons Appenzell und Umgebung. Amtliches Publikationsorgan der Gemeinde Teufen. Jahrgang 1956.