Ginge es nach der Regierung, gäbe es in Ausserrhoden in Zukunft deutlich weniger Gemeinden. Foto: Archiv
Im Kantonsrat wird im Februar über Gemeindefusionen diskutiert. Grund dafür ist eine Initiative der IG Starkes Ausserrhoden, die Fusionen durch eine Anpassung der Kantonsverfassung ermöglichen und fördern will. Viel weiter geht der Gegenvorschlag der Regierung, der aus heute 20 nur noch 4 Ausserrhoder Gemeinden machen will (radikalste Variante). Auch die Gemeindepräsidienkonferenz hat sich nun zu Wort gemeldet: Sie fordert den Kantonsrat auf, das Geschäft zurückzuweisen. Es seien noch zu viele Fragen offen. Mehr darüber weiss der Präsident des Gremiums, Reto Altherr.
Herr Altherr, ich muss fragen: Antworten Sie als Teufner Gemeindepräsident oder als Vorsteher der Gemeindepräsidienkonferenz?
Grundsätzlich rede ich in diesem Fall für die Konferenz. Falls ich bei einer Frage den Hut wechseln müsste, würde ich das sagen.
Nun, wenn sich ein Gremium, das aus Gemeindepräsidenten besteht zu Fusionen äussert, scheint die Antwort schon im Vorhinein klar: Ihr müsst ja fast dagegen sein.
Sind wir aber nicht. Wir haben uns bereits im Jahr 2018 intensiv mit den Ausserrhoder Strukturen beschäftigt und kamen zum Schluss, dass es mittel- und längerfristig Anpassungen braucht. Schon damals sprachen wir uns dafür aus, dass der Art. 2 der Kantonsverfassung geändert wird, damit Gemeindefusionen möglich sind. Wir sind nicht gegen Fusionen, sondern gegen den Weg, der nun eingeschlagen wird.
Mit diesem Weg sprechen Sie den Gegenvorschlag der Regierung zur Reduktion auf vier Gemeinden an?
Genau.
Stören Sie sich am meisten daran, dass die Fusionen «von oben» angeordnet werden oder am radikalen Ansatz?
Weder noch. Am meisten stört uns die Tatsache, dass der Vorschlag zu viele Fragen offen lässt. Am häufigsten wird zwar über die Finanzen diskutiert, aber es gibt noch viele andere Aspekte, die es zu berücksichtigen gilt. Seien sie nun organisatorischer, infrastruktureller oder kultureller Natur. Eine Fusion ist eine sehr komplexe Angelegenheit. Dieser Vielschichtigkeit muss die Regierung Rechnung tragen. Uns fehlt eine Vision und ein Beschrieb, mit welchen Massnahmen und Mitteln sich diese erreichen lässt.
Konkret erhoffen Sie sich vom Kantonsrat eine Zurückweisung des Antrags. Das bedeutet: Der Regierungsrat muss nochmal über die Bücher.
Das und die Erstellung eines Planungsberichts. So können Bevölkerung und Kantonsrat die Überlegungen des Regierungsrates nachvollziehen. Klar: Alle Fragen können in so einem Bericht natürlich nicht beantwortet werden – aber jede Antwort ist wertvoll.
Gemeindepräsident Reto Altherr spricht hier als als Vorsteher der Gemeindepräsidienkonferenz. Foto: Archiv
Vergangene Woche wurde die Initiative für «Selbstbestimmte Gemeinden» lanciert. Sie will verhindern, dass Fusionen ohne Zustimmung der Basis angeordnet werden können. Wie ist diesbezüglich die Meinung bei den Gemeindepräsidenten?
Von oben angeordnete Fusionen sind grundsätzlich immer schwierig. Eine Zwangshochzeit resultiert selten in einer glücklichen Ehe. Wir vertreten die Meinung, dass eine Fusion dem Willen und den Bedürfnissen der Stimmbürger in den jeweiligen Gemeinden entsprechen soll. Aber bei der Frage, ob Fusionen angeordnet werden sollen oder nicht, gibt es verschiedene Meinungen.
Sie sagten bereits, dass es in Ausserrhoden Strukturanpassungen braucht. Können die zukünftigen Herausforderungen nur mit Fusionen bewältigt werden?
Da gibt es mehrere Ansätze. Ein gutes Beispiel sind die Verwaltungen. Deren Aufgaben werden immer komplexer, deshalb kann eine intensivere Zusammenarbeit in vielen Fällen Sinn machen. Und die heutige Situation zeigt auch, dass wir Ausserrhoder uns nicht vor Kooperationen scheuen – denken Sie nur an den Forst oder die Sozialwerke im Mittelland. Anders gesagt: Fusionen können situativ Sinn machen, zwingend nötig sind sie aber nicht – sicher nicht überall.
Eine Fusion ist auch kein Allheilmittel. Die strukturschwachen Gebiete behalten ihre Probleme auch in einem neuen Gebilde. Sie werden immer auf Unterstützung angewiesen sein.
Absolut. Betrachtet man den Vier-Gemeinde-Vorschlag der Regierung wird klar: Im Vorder- und Mittelland kann es aufgehen, das Hinterland wird aber nach wie vor auf den Finanzausgleich angewiesen sein. Die Infrastruktur, die Steuerkraft und die Verkehrsanbindung ändert sich wegen einer Fusion schliesslich nicht von heute auf morgen.
Apropos Finanzausgleich: Wie gefährlich wäre ein deutlich höherer Steuerfuss in Teufen für den Kanton?
Hier bewegen wir uns im spekulativen Bereich. Aber, wenn potente Steuerzahler aus Teufen bzw. dem Kanton abwandern, verlieren alle. Denn das Geld fehlt uns im interkantonalen Finanzausgleich.
Noch eine Frage an Sie als Gemeindepräsident: Wie fanden Sie eigentlich den Titel des Tagblatt-Kommentars zur neuen Initiative «Es drohen Teufner Verhältnisse»?
Nicht sehr originell. Ich verstehe den Verweis auf die Ortsdurchfahrts-Diskussion. Dort laufen mehrere Prozesse gleichzeitig, was die Sache komplex macht. Aber der Titel suggeriert auch, dass wir hier schlechte Verhältnisse haben. Das ist nicht der Fall. Ich kann mit Befürwortern und Gegnern der Doppelspur ein Bier trinken – ohne, dass wir streiten. Und abgesehen von der einzigartigen Ortsdurchfahrts-Diskussion ist sich Teufen meistens einig. Das sehen wir auch bei den klaren Abstimmungsergebnissen.
Aber: Genau wie der Teufner Gemeinderat bei der ODT-Diskussion kommt dem Regierungsrat bei der Fusions-Frage auch eine grosse Informationspflicht zu.
Auf jeden Fall. Das wollen wir mit unserem Rückweisungs-Antrag auch bewirken. Wir haben die BDO-Analyse, die zum gleichen Schluss kommt, dem Regierungsrat übrigens schon am 2. November des vergangenen Jahres überreicht. In der Hoffnung, dass er das Geschäft zurückzieht. Nun hoffen wir auf den Kantonsrat. tiz
Der Gegenvorschlag
Die Volksinitiative «Starke Ausserrhoder Gemeinden» wurde am 20. März 2018 eingereicht. Die Initiative will die Namen der Gemeinden aus der Verfassung streichen und so den Weg für Fusionen ebnen. Nach der Rückweisung der Initiative an den Regierungsrat durch den Kantonsrat nach der ersten Lesung Anfang 2020 (Gültigkeitserklärung / Forderung Gegenvorschlag) hat die Exekutive im November 2020 drei Varianten in die Vernehmlassung geschickt. Der Regierungsrat favorisiert dabei die Variante 1. Sie will eine Reduktion von heute 20 auf 4 Gemeinden. Das Resultat wäre beispielsweise eine Gemeinde «Vorderland», «Mittelland», «Hinterland» und «Herisau». Die Variante 2 ist etwas weniger konkret formuliert. Auch hier ist eine Reduktion der Gemeinden angezeigt. Allerdings von 20 auf 4 bis 16. Und die Variante 3 lehnt sich schliesslich stark an die eingereichte Volksinitiative an. In diesem Fall würden die Namen der Gemeinden aus der Verfassung gestrichen und der Grundsatz vermerkt werden, dass der Kanton Gemeindefusionen administrativ und finanziell unterstützt. Das hatten auch die Initianten gefordert. Dieser Gegenvorschlag wird nun im Februar im Kantonsrat behandelt.