Halb neun Uhr morgens, im Grüt 12 ist es noch ruhig. Vor dem Brocki stehen bereits Kleiderständer, alte Kinderwagen, Teppiche, eine grosse Holztruhe. Eine halbe Stunde später öffnet der Laden. Und beim Gespräch am kleinen Tischchen mit Blick auf den Vorplatz wird sich gleich zeigen: Punkt neun kommt auch das erste Auto. Marianne Neff-Gugger aus der Lustmühle und Eli Frey aus Urnäsch haben einen warmen Kaffee vor sich stehen. Sie bilden zusammen mit Rahel Stieger das neue Leitungsteam des Brocki Gais. Bald ist es einen Monat her, seit sie das Brocki Gais wiedereröffnet haben – mit dem «alten» Team.
Es ist Black Friday-Woche: Vorweihnachtszeit-Shopping ist angesagt. Auch im Brocki gibt es Schnäppchen: 50 Prozent Rabatt gibt es heute auf Schirmständer, Glasschalen, Handtaschen und alle Hosen. Der grosse Unterschied: Alles hat bereits einmal gedient. Von der Kreislaufwirtschaft ist das ganze Team überzeugt. Aber all die Sachen sollen nicht nur unbedingt wiederverwendet werden. Sie sind oft auch einfach schön: «Wir haben so viele hübsche ‘Kommödli’, charmante Sessel, Retro-Lampen und anderes», sagt Frey. «Bei uns kommt es vor allem darauf an, die Möbel und Gegenstände augenfällig zu machen», fügt Neff an. Dann gehe es oft nicht lang, bis ein Stück einen neuen Besitzer oder eine Besitzerin findet.
Kleider verkaufen wir sehr gut. Und zwar vor allem an Junge.
Marianne Neff-Gugger
«Kleider verkaufen wir sehr gut. Und zwar vor allem an Junge», sagt Marianne Neff. Eli Frey ergänzt: «Das ist wieder im Trend. Es sind teilweise coole Stücke dabei und dazu ist es auch noch günstig.» Kleider-Verkäufe machen deshalb rund einen Drittel der Gesamtmenge aus. Einen weiteres Drittel sind Möbel. Den Rest bezeichnen die Frauen als «Verschiedenes». Im Brocki gibt es (fast) nichts, das es nicht gibt. Auf der Webseite steht: «Wir nehmen fast alles […] – ausser Matratzen und Bettgestelle, Skis und Skischuhe.» Die Infos richten sich an Aufräumende, Leerräumende, Hinterbliebene, Umziehende, Umstellende, Ausreisende. Die Liste liesse sich beliebig fortführen. Fakt ist aber: Das Brocki ist angewiesen auf die Warenspenden. Meistens werden diese in Gais vorbeigebracht. Das Team bietet auch an, daheim vorbeizukommen. Es macht aber keine vollständigen Räumungen, sondern sucht sich dann aus, was ins Brocki passt. «Für Wohnungs- und Rausräumungen arbeiten wir mit ‘Superchraft’ aus Appenzell zusammen», sagt Neff. «Die empfehlen wir dann immer.» Auch in Gais wird selektiert. Nicht alles, was jemand loswerden möchte, bekommt im Brocki eine zweite Chance. «Anfangs wollten wir alles einfach nehmen. Aber dann haben wir schnell gemerkt, dass das nicht geht.» Das Brocki und die Lager sind gut gefüllt. Die Annahmen müssen also mit Bedacht gemacht werden. Grosse Mengen sind schwierig, dafür fehlt schlicht der Platz. «Und bei schmutzigen oder kaputten Sachen ist auch klar, dass wir diese nicht der Kundschaft anbieten wollen.» Im Vergleich zu anderen Brockis würden sie immer noch viel annehmen, sagt Eli Frey.
Nach der Selektion wird dann ein Preis festgelegt. Die Preise sind fix. Es wird also nicht gehandelt. «Bei Liebhaber-Objekten kommt es manchmal vor, dass jemand findet, der Preis sei viel zu hoch oder zu tief», sagt Marianne Neff und lacht. «Dann lassen wir uns beraten und es wird gegebenenfalls angepasst.»
Das Brocki ist nicht nur ein Laden, sondern auch ein Treffpunkt. Das Team kennt die Kundschaft teilweise und immer wieder ergeben sich Gespräche. «Bei uns sind so viele Erinnerungen auf kleinem Raum, das macht etwas mit den Menschen», erzählt Neff. Und manch ein Kunde oder eine Kundin findet einen «Brocki-Schatz». Eine solche Schatz-Anekdote hat Eli Frey bereit: «Vor einer Weile war ein junger Mann da. Er hat einen hochwertigen und schönen Herrenmantel gefunden. Als er mit diesem zur Kasse kam, strahlte er so richtig.» Beide Frauen schätzen den Kontakt mit Menschen als zentralen Bestandteil ihrer Arbeit sehr. Auch um ihr Team von Freiwilligen kümmern sie sich gut. Die zehn bis zwölf Personen sind für den Verein eine wertvolle und wichtige Unterstützung. Die meisten haben bereits vor der Übernahme im Brocki gearbeitet.
«Derzeit geht es einfach mal darum, die Fixkosten zu decken», sagt Eli Frey. Sie macht auch die Buchhaltung. «Je nach Entwicklung werden wir dann weiterschauen.» Ideen gibt es viele. Nebst kreativer Gestaltungsideen, die fortlaufend umgesetzt werden, sind vor allem Events geplant. Die Feuertaufe dafür hat das Brocki schon bestanden: «Am Montag hat die Gemeinde Gais hier Goldvreneli an Lehr- und Studienabgänger verteilt.» Inmitten des Sammelsuriums wurde dann gegessen, getrunken und gefeiert. Und natürlich kann auch eingekauft werden, wenn einem zwischen «Cüpli» und Smalltalk eine alte Schallplatte oder ein Holzmöbel ins Auge springt. Das Catering bei Anlässen macht die Stiftung ComViva. Diese unterstützt das Brocki auch in anderen Bereichen: Bei Sortierarbeiten, der Erstellung von Preisschildern oder dem Anmalen von Tablaren. «So können wir noch mehr lokale Wertschöpfung generieren», freut sich Marianne Neff. Die Vision eines Treffpunkts, an dem man sich auch zum Plaudern trifft, wollen sie mit weiteren Events und vielleicht einem kleinen Bistro realisieren. Aber vorerst steht mal das Weihnachtsgeschäft an.
An der Kasse steht bereits die nächste Kundin. Die Frauen werden gerufen. Sie müssen die mitgebrachten Waren durchschauen und aussortieren. Ein erster Griff in den Korb und Marianne Neff sagt: «Also, dann schauen wir mal …»