Lukas Pfiffner
Dankbarkeit und Wehmut waren bei ihr zu spüren. Miryam Mazenauer wurde kürzlich von den Verantwortlichen und zahlreichen Sportlern und Sportlerinnen der Organisation Appenzellerland Sport verabschiedet. Ganz wörtlich ihr halbes Leben hat die 23-jährige Kugelstösserin aus Bühler in der Teufner Trainingsbasis um René Wyler verbracht – zuerst in der Sportschule, nachher im Sportleistungszentrum. Und seit einem Jahr arbeitete sie in einem Teilpensum auf der Geschäftsstelle sowie im Athletikbereich von Appenzellerland Sport. «Ich durfte mit ganz besonderen und tollen Leuten zusammen sein.»
Nun der Wechsel nach Stuttgart. Kontakte gab es zu Konkurrentinnen und Betreuern aus dem süddeutschen Raum schon vor über zwei Jahren. Sie hielt sich mehrmals (wie auch Simon Ehammer) für drei, vier Trainingstage dort auf. In diesem Frühling nahm sie mit der Gruppe des Verbands-Stützpunktes an einem Trainingslager teil. «Nachher wusste ich: Mit dem Abschluss meines Studiums an der Pädagogischen Hochschule vollziehe ich den Wechsel.» René Wylers Sportlerherz habe Freude gehabt, als sie ihm den Entscheid mitgeteilt habe. «Sein Geschäftsführerherz weniger, weil er nun eine Mitarbeiterin ersetzen muss.»
Spartenfremde Unterstützung
Vor vier Jahren wechselte sie auf die anspruchsvolle Drehstosstechnik. «Ich habe die Möglichkeiten in der Schweiz ausgereizt. Wenn ich nun nach Deutschland gehe, entferne ich mich von der Komfortzone und lasse mich auf Neues ein.» Stuttgart gilt in der Diskus- und Kugelstossszene als eines der «Mekkas» der weiteren Region. Um die Dimensionen zu erklären, bringt Mazenauer ein Beispiel: «Am Bundesstützpunkt Stuttgart sind mehrere Trainer angestellt. Das Pensum des Schweizer Kugel-Nationaltrainers beträgt gerade einmal zehn Prozent.» Über ein Jahrzehnt hat sie von René Wyler und seinem Team enorm profitiert. Aber sie möchte nun einen Schritt weitergehen. Aussergewöhnlich ist der Umstand, dass sich in den vergangenen Monaten auch ein spartenfremder Sportler in die Thematik des Kugelstossens eingearbeitet hat: ihr Freund Marco Forrer. Der Eishockeyprofi und Psychologiestudent wechselte im Frühling vom HC Thurgau zum HC La Chaux-de-Fonds. «Zum Beispiel haben wir Trainings per Facetime-Anrufe durchgeführt und in Videoaufnahmen die Bewegungsabläufe analysiert.»
Mindestens für ein Jahr
Ihre wichtigste Bezugsperson in Stuttgart wird Peter Salzer sein, Trainer des Landesverbandes Baden-Württemberg. Dieser hat sich auch im Behindertensport einen sehr guten Ruf erworben. So trainieren unter ihm zum Beispiel erfolgreiche Kleinwüchsige. In diesen Tagen ist Mazenauer mit der Wohnungsbesichtigung in der schwäbischen Metropole beschäftigt. Wenn sich nichts finden liesse, könne sie am Stützpunkt in einem Zimmer logieren, erzählt sie. Sie stelle sich mindestens für ein Jahr auf professionelles Training ein. «Ich bin daran, Stiftungen und Sponsoren um Unterstützung anzuschreiben, damit ich mein Leben finanzieren kann. Zudem lässt sich eventuell die Idee realisieren, in einem Teilzeitpensum einer Büroarbeit nachzugehen.» Die Schweizer Lizenz wird sie behalten.
Zwischenstation heisst China
In diesem Jahr die 17 m zu erreichen, fände sie schön. «Dreimal 16,51 m reichen.» Seit dem Mai hat sie in Meilen, Basel und Olten genau so weit gestossen. Wer in der ewigen Bestenliste der Schweizer Kugelstösserinnen auf Platz drei liegt und seit drei Jahren an Schweizermeisterschaften in der Halle und im Freien unbesiegt ist, darf ambitionierte Ziele für 2024 formulieren. Das eine lautet: Den Landesrekord von 18,02 m knacken. Das andere: sich für die EM in Rom qualifizieren. Sie hat die Schweiz schon an Nachwuchs-Wettkämpfen und an der Team-EM vertreten. Eine neue Destination und eine neue Grössenordnung eines Anlasses lernt sie bald kennen: Am 26. Juli fliegt Mazenauer nach China. Sie figuriert im Leichtathletik-Kader für die Sommeruniversiade in Chengdu. Dabei handelt es sich sozusagen um die Olympischen Spiele der Studenten und Studentinnen. «Ich möchte unter den ersten acht klassiert sein.» Und nachher heisst es: Hallo Stuttgart.