Erich Gmünder
Als Theres Bleisch die Aufgabe als Leiterin des Fernblick übernahm, war sie alles andere als glücklich. Die gebürtige Toggenburgerin tat sich schwer mit dem Gedanken, in die Ostschweiz zurückzukehren. Als erstes machte sie eine lange Wanderung, vom Hohen Kasten bis zum Säntis, von weitem den Fernblick im Fokus. Das half: «Danach war ich wirklich in Teufen angekommen». Das ist nun 9 Jahre her. «Haus der Versöhnung» nennt sich der Fernblick heute.
Um Versöhnung geht es auch beim Peace Camp, das diesen Sommer zum 20. Mal durchgeführt wurde. Versöhnung versteht Theres Bleisch umfassend: «Es geht darum, uns mit unserer eigenen Geschichte zu versöhnen. Erst dann sind wir bereit, uns mit anderen Menschen, anderen Nationen oder Religionen zu versöhnen.»
Schicksalshafte Begegnung
Was Versöhnung bedeutet, erlebte sie am eigenen Leib. Aufgewachsen auf einem Bergbauernhof in Ebersol im Toggenburg mit sieben Geschwistern, zog es sie früh in die Ferne: Nach der Sekundarschule schnupperte sie zwei Jahre fremde Luft im Welschland. Danach erlernte sie in einem katholischen Institut in Melchtal den Beruf der Familienhelferin. Hier kam es zu jener schicksalhaften Begegnung, die ihr Leben verändern sollte. Sie hatte kurz zuvor als junge Frau eine schwierige Liebesbeziehung. Die Gespräche mit einer der Lehrerinnen ermöglichten eine heilsame neue Perspektive: Nicht gegen den Fehler kämpfen, sondern für das Fehlende da sein.
So kam sie in Kontakt mit der Gemeinschaft des Katharina-Werks in Basel, die ihr später verschiedene Aus- und Weiterbildungen im pädagogischen und spirituellen Bereich ermöglichte. Mit 30 legte sie die Gelübde ab. «Das mag nun nach klassischer Flucht wegen enttäuschter Liebe aussehen, war es aber nicht – ich habe mich in meinem Leben nicht nur einmal verliebt», erzählt Theres Bleisch schmunzelnd. Das Thema Familie und Kinder erhielt eine neue Dimension.
In einer familienähnlichen Gemeinschaft leben und immer wieder auch Jugendliche um sich zu haben: Im Fernblick lebt sie mit zwei Frauen vom Katharina-Werk in Wohngemeinschaft, das Peace-Camp und ein neues Projekt richten sich explizit auch an Jugendliche. Der Fernblick hat sich unter ihrer Leitung weiterentwickelt. «Einfach, weit, zugewandt», mit diesen drei Stichwörtern charakterisiert sie seine Ausrichtung. Die Einfachheit der Räume, die Weite des Blicks, welche sich positiv auf die Gäste auswirkt, und die Zugewandtheit, zu den Menschen, zur Welt, aber auch zu Teufen: Theres Bleisch schätzt ihre Wahlheimat, pflegt eine gute Nachbarschaft und schaut, dass die Kirche im Dorf bleibt – indem sie zum Beispiel möglichst alle Aufträge an das heimische Gewerbe vergibt.
Spiritualität leben
In ihren Kursen sind oft Menschen, mehrheitlich Frauen, welche in einer Übergangskrise neuen Lebenssinn suchen und dabei auf den spirituellen Weg stossen. Spiritualität heisst für Theres Bleisch persönlich mehr als Kirchenbesuch. Spiritualität heisst für sie Suche nach der eigenen tieferen Bestimmung und Aufgabe im Leben im Kontext der Zeichen der Zeit. Die habe sie hier gefunden: Orte der Zugehörigkeit schaffen, das liegt ihr am Herzen. Spiritualität umfasst die Suche nach etwas Höherem.
Theres Bleisch erzählt ein zweites Schlüsselerlebnis: Als sie fünf war, habe ihr Vater mit einem Wünschelrutengänger auf dem Bauernhof eine neue Wasserquelle erschlossen. Die Erfahrung, als das frische Quellwasser über ihre Kinderhände floss, lässt sie nochmals erschauern: Da habe sie eine Ahnung von etwas Grösserem erhalten. Zu ihrer Spiritualität passt, dass sie «räuchlet» – an bestimmten Tagen und wie ein Innerrhoder Bauer mit Weihrauch durch die Räume des Fernblicks geht.
Theres Bleisch
Jahrgang 1953, Erstberuf Familienhelferin, 1978 Eintritt ins Katharina-Werk, Ausbildung zur Hauswirtschaftslehrerin; 1980 Lehrerin und später Leiterin der Familienhelferinnenschule Melchtal; 1993 Co-Leitung und Kursleiterin im Lassalle-Haus Bad Schönbrunn in Edlibach – Zentrum für Spiritualität und soziales Bewusstsein; seit 2002 Leiterin Fernblick (60 Prozent), Leitungsmitglied im Katharina-Werk Basel (40 Prozent).
Foto: Erich Gmünder