Die Wirte Niklaus (Chläus) Dörig und Patrick Eugster (rechts) geniessen einen Kaffee am Stammtisch. Auch im Innenraum der «Waldegg» gilt seit Kurzem die Zertifikatspflicht. Foto: tiz
Chläus Dörig von der «Waldegg» ist ein leidenschaftlicher Mensch. Das gilt für seine Berufung als Gastronom und seine Werte. Die Einschränkungen für sein Gewerbe im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie geben ihm zu denken. Und er ist keiner, der mit seiner Meinung hinter dem Berg hält. Diese Offenheit wurde ihm kürzlich zum Verhängnis, als das SRF ihn für eine Rundschau-Reportage unangekündigt besuchte. Eine Woche später sitzt die TP mit den Waldegg-Wirten Chläus Dörig («grosser Chef») und Patrick Eugster («kleiner Chef») zusammen und fragt: Wie geht es euch eigentlich?Ich will die Frage zuerst stellen, die eigentlich auch für die SRF-Reportage entscheidend gewesen wäre: Haltet ihr euch an die 3G-Regeln?Patrick Eugster: Natürlich. Wir haben die Regeln von Anfang an umgesetzt. In unseren Innenräumen gilt «3G», unsere Mitarbeitenden tragen Maske und wir weisen mit Plakaten auf diese Vorschriften hin. Das war auch schon beim Besuch des SRF so.
Chläus Dörig: Als das SRF hier war, hatten wir sowieso nur eine Car-Gruppe im Innenraum. Alle anderen Gäste sassen auf der Terrasse. Und die Car-Reisenden waren bereits auf 3G geprüft worden.
Am Samstagmittag bin ich hier vorbeispaziert. Das Wetter hat gestimmt, die Terrasse war voll. Die Gäste kommen wohl trotz kritischem SRF-Beitrag.Patrick: Zum Glück! Aber dieser Andrang ist gleichzeitig unsere grösste Herausforderung. Bei einem Ausflugs-Restaurant wie der «Waldegg» ist die Planung grundsätzlich immer schwierig. Seit Corona ist es noch krasser geworden: Ist es schön, werden wir komplett überrannt, regnet es, kommt fast niemand. «3G» macht die Sache noch komplizierter.
Chläus: Und dann sind da noch die vielen Absagen. Seit der Ankündigung von «3G» haben sich schon mehrere Bankett-Gesellschaften abgemeldet. Das tut natürlich weh. Und wir machen uns insbesondere Sorgen um das Weihnachtsgeschäft.
Habt ihr Ausweichmöglichkeiten?Patrick: Wir werden versuchen zu tun, was wir seit Beginn der Pandemie machen: Neue Konzepte ausarbeiten, kreative Lösungen finden. Aber natürlich ist das teilweise auch etwas lächerlich. Ein Unternehmen, das hier das Weihnachtsessen abhalten wollte, verschiebt es nun einfach in die Firmenräume und lässt uns das Catering machen. Dort braucht es ja unter 30 Leuten kein «3G».
Chläus: Und egal, wie kreativ wir werden: Sobald die Kälte kommt, werden uns Gäste fehlen.
Musstet ihr seit der Einführung der Zertifikatspflicht schon Stammgäste wegweisen?Patrick: Das zum Glück noch nicht. Aber davor habe ich schon einen gewissen Respekt. Man weiss ja, wie das ist. Die Gäste kennen den «Chef» und dann kommen Sprüche wie: «Ach, tu nicht so. Ich bin’s doch. Wenn der Kontrolleur kommt, dann verschwinde ich einfach durch die Hintertür.»
Immerhin könnt ihr als Wirte auf Bern verweisen. Das Ganze ist ja nicht eure Idee …Chläus: Das schon. Aber deshalb löst sich der Frust der Gäste nicht einfach in Luft auf. Sie sehen in dem Moment hauptsächlich einen Wirt, der ihnen den Aufenthalt in der Beiz verwehrt. Und das stört mich auch. Es wäre deutlich erträglicher, wenn diese Vorschriften alle betreffen würden. Aber in den Warenhäusern oder dem ÖV ist ja nach wie vor alles beim Alten. Man plagt wieder die, die schon während er ganzen Pandemie geplagt wurden.
Nun, die Argumentation diesbezüglich ist, dass sich die Menschen in den Lebensbereichen, in denen nun die Zertifikatspflicht gilt, am häufigsten anstecken. Und gleichzeitig sollen mehr Menschen zum Impfen motiviert werden. Ihr bildet Berns Hebel.Patrick: Das ist schon verständlich. Aber dann sollte die Verantwortung nicht beim Wirt, sondern beim Gast liegen. Ähnlich wie damals bei der Polizeistunde, als der Gast in der «Galgenfrist» bis kurz vor 1 einen Fünfliber zahlen musste.
Chläus: Und wenn wir schon als Hilfspolizisten eingespannt werden, sollte uns dieser Aufwand wenigstens vergütet werden. Davon hat bisher noch niemand gesprochen.
Wie könnte so eine Vergütung aussehen?Patrick: Da gäbe es mehrere Möglichkeiten. Sicher müsste es branchenspezifisch sein – nicht wie die Kurzarbeit. Und endlich einmal etwas Unbürokratisches. Vielleicht ein MWST-Erlass.
Die Zertifikatspflicht scheidet die Geister. Die einen finden sie gut und hoffen, dass damit die Impfquote schnell steigt. Andere stören sich sehr daran. Wie ist die Stimmung bei euren Gästen? Gibt es noch eine «Mitte»?Patrick: Schon, aber eher selten. Es bilden sich mehr und mehr zwei Lager: die Gegner der Massnahmen und die Befürworter, die auch auf die Impfung drängen.
Welche Rolle nimmt man da als Wirt ein?Chläus: Am besten hätte man gar keine Meinung. Wenn man sich kritisch äussert, wird man schnell als «Querulant» hingestellt. Das haben wir ja grad gesehen.
Patrick: Man muss schon etwas differenzieren zwischen der privaten Meinung und dem, was man beruflich bzw. in der Beiz so bespricht. Als Wirt heisse ich alle Gäste willkommen – also auch alle Meinungen. Da kann ich mich nicht einem Lager anschliessen. Aber ich habe grosses Verständnis für die Frustration von Chläus.
Warum?Patrick: Er hat die «Waldegg» nach dem Brand 1981 sozusagen aus dem Nichts aufgebaut – mit unglaublich viel persönlichem Risiko und Engagement. In den letzten zwei Jahren wurden uns immer und immer wieder Vorschriften gemacht, die teilweise kaum oder nur sehr mühsam umsetzbar waren. Und eine Zeitlang mussten wir ganz schliessen. Das sind tausende kleine schmerzhafte Stiche. Klar, dass man da irgendwann die Nerven verliert.
Gastronom zu sein ist per se kein einfacher Job: Die Arbeitszeiten sind fordernd, das Risiko ist gross und finanziell ist es auch nicht die attraktivste Branche. Wie zufrieden bist du noch?Patrick: Du hast recht. Das ist ein Job, den man leben und lieben muss. Sonst funktioniert es nicht. Ich mache meine Arbeit nach wie vor sehr gerne. Aber eines hat mir während Corona schon sehr zu denken gegeben: Wir sind wohl der unwichtigste Teil der Gesellschaft.
Wie meinst du das?Patrick: Nun, wir waren immer die letzten, die wieder öffnen durften. Alles andere war schon längst wieder erlaubt, nur die Restaurants waren noch zu. Anders gesagt: Uns braucht es wohl nicht zum Überleben, alles andere schon. Das hat mich schon beschäftigt.
Das ist wohl ähnlich wie mit der Kultur.Patrick: Genau. Wir wissen eigentlich, dass sie wichtig ist und wir sie brauchen. Genau wie die Gastronomie und den menschlichen Austausch. Aber während der Krise wurde uns das Gefühl vermittelt, dass wir nicht «systemrelevant» sind. Das ist eine schmerzhafte Erkenntnis.
Machst du dir Sorgen um die Zukunft der Gastronomie?Patrick: Ich bin hoffnungsvoll. Ich hoffe, dass uns diese Pandemie aufzeigt, wie wichtig der persönliche Austausch am Stammtisch ist. Und ich hoffe, dass wir dazu zurückkehren, wenn die ganze Sache vorbei ist. Aber natürlich ist die Art, wie mit der Krise umgegangen wird, nicht gerade eine Werbung für die Branche. Hoffentlich fehlen uns in den nächsten Jahren deshalb nicht junge Talente.
Ich vermute, fast jeder kann eure Frustration etwas nachvollziehen. Was für eine Rolle spielt dabei die Tatsache, dass bei der Corona-Politik keine klare Strategie erkennbar ist? Oder anders gefragt: Was für eine Strategie würdest du vorschlagen?Chläus: Für mich ist das entscheidend. Wir wissen seit zwei Jahren nicht, woran wir sind. Niemand kann uns sagen, wie es weitergeht oder wie lange. Und eine richtige Lösung ist nicht erkennbar. Mehrere unserer Angestellten hatte Corona. Einige davon waren richtig krank, obwohl sie doppelt geimpft waren. Eine der Geimpften hat es sogar schlimm erwischt. Zum Glück sind inzwischen alle wieder gesund. Aber das gibt einem zu denken. Mein Ansatz wäre deshalb ein Ausbau der Intensiv-Infrastruktur. Unmöglich ist das sicher nicht.
Letzte Frage: Wie gerne zahlst du deine nächste «Billag»- bzw. «Serafe»-Rechnung?Patrick: Ach, ach (lacht). Naja, das SRF wollte einen Beitrag machen, der polarisiert. Deshalb kamen sie hier vorbei und haben das Ganz so zusammengeschnitten. Das Appenzellerland wurde mal wieder ins altbekannte, urchige und rebellische Klischee gedrückt. In anderen Bereichen würde man das diskriminierend oder rassistisch nennen. Aber in diesem Fall ist das wohl okay. tiz