Elektrische Motoren und die Corona-Krise haben ein Hobby weiter befeuert, das in der Schweiz seit Jahren an Popularität gewinnt: Mountainbiken. Auch in und rund um Teufen sind die Bikes unterwegs. Allerdings nicht immer auf Strecken, die für Zweiräder vorgesehen sind.
Was hat sich «forsell» wohl gedacht? Schwierig zu sagen. Vielleicht hatte ihm das Abendlicht an dieser Stelle besonders gefallen. Oder er fährt am liebsten über möglichst schmale Pfade. Was auch immer den User mit dem Pseudonym «forsell» zu seinem Eintrag vor sechs Jahren bewegt hat – er trägt mindestens eine Teilverantwortung an diesem Artikel. Denn die blau gestrichelte Linie, die er auf der globalen Online-Plattform «OpenStreetMap» hinterlassen hat, führt heute noch zu Missverständnissen. Eine TP-Leserin berichtet in einem Online-Kommentar: Ein Biker, der auf dem engen Pfad unterwegs war, habe seine Durchfahrt mit dem Karten-Eintrag begründet. Und noch brisanter: Die Strecke ist auch auf dem Karten-Auszug auf der Website des etablierten WaldeggTrails ersichtlich. Woran liegt das? Was ist «OpenStreetMap»? Wo dürfen Biker überhaupt durchfahren? Was, wenn sie sich nicht an die Regeln halten? Und wie kommen Spaziergänger, Jogger, Hündeler und Biker in Zukunft aneinander vorbei? Die TP hat für dieses sonnige Wochenende nach Antworten gesucht.
Wikipedia für Karten
Im Juni 2015 ging für Adrian Gerber ein kleiner Traum in Erfüllung. Nach zwei Jahren Bauzeit, denen jahrelange Bemühungen um eine Bewilligung vorausgegangen waren, konnte der erste Abschnitt des «WaldeggTrails» eröffnet werden. «Schon damals hatten wir tausende Stunden investiert. Und der letzte Abschnitt ist noch immer nicht fertig», sagt Gerber. Er ist der Präsident des Vereins, der sich um den öffentlichen Trail kümmert. Freiwillig, unentgeltlich und oft gegen Widerstand. «Zwar sind sich alle umliegenden Gemeinden einig, dass der Trail die Waldwege entlastet. Trotzdem haben wir es oft nicht einfach, wenn es um Bewilligungen, finanzielle Unterstützung oder Hilfskräfte geht.» Insbesondere Umweltschutzorganisationen sind solche Trails ein Dorn im Auge. Er und sein Team sind aber weiterhin fest entschlossen, auch den letzten Abschnitt wenn möglich heuer noch fertigzustellen. Dafür stand der «harte Kern» vor dem Corona-Lockdown jeden zweiten Sonntag mit Schaufel, Säge und Pickel im Wald. Und die Arbeit wurde bereits wieder aufgenommen. Ab heute ist auf der oberste «Sektor A» wieder offen. Er war für Unterhaltsarbeiten vorübergehend geschlossen worden.
Verkehrsregeln im Wald
Unsere Wälder sind beliebt. Nicht nur wegen ihrer Schönheit. Sie sind dank eines gut ausgebauten Strassen- und Wegnetzes leicht zugänglich. Das gilt für Fussgänger und Velofahrer bzw. Biker. Aber auch hier gelten Verkehrsregeln. Zwar wird in der Praxis viel Wert auf Selbstverantwortung und Rücksicht – also gesunden Menschenverstand – gelegt. Trotzdem existieren auf Bundes- und Kantonsebene Vorschriften zum Verkehr im Wald. Die TP hat sich die rechtlichen Grundlagen von Hanspeter Saxer erklären lassen. Er ist bei der Kantonspolizei stv. Chef Regional- und Verkehrspolizei.
Das rechtliche Fundament bildet das Waldgesetz auf Bundesebene – verfeinert von den Kantonen. Per 1. Januar 2020 wurde der schweizerische Bussen-Katalog auf dieser Grundlage um zwei Tatbestände erweitert. Diese betreffen einerseits «das Befahren einer Waldstrasse, eines Waldwegs mit einem Motorfahrzeug» und andererseits «das Befahren (auch mit dem Fahrrad) eines gesperrten bzw. entsprechend signalisierten Wald-Bereichs». Für die Signalisation ist der Kanton zuständig. In beiden Fällen beläuft sich die Ordnungsbusse auf 100 Franken, ein weiterführendes Verfahren ist aber nicht ausgeschlossen. Etwas konkreter wird das kantonale «Gesetz über den Wald». Hier heisst es in Artikel 13: «Das Reiten, das Fahren und der Viehtrieb sind nur auf befestigten oder besonders signalisierten Wegen gestattet; vorbehalten bleiben Fahrten zur Bewirtschaftung des Waldes sowie bestehende Viehtriebrechte.» Und im Absatz darunter: «Der Forstdienst kann die notwendigen Massnahmen zum Schutze des Lebensraumes Wald treffen.»
Im Grundsatz gilt also: Das Befahren von befestigen Wegen und Strassen im Wald ist mit dem Fahrrad grundsätzlich erlaubt. Ausnahmen bilden entsprechend signalisierte Stellen (Fahrrad-Fahrverbot). Nicht erlaubt sind das Befahren des Waldes an sich (Wild-Biken) oder rücksichtsloses Verhalten anderen Waldbesuchern sowie der Tier- oder Pflanzenwelt gegenüber.
Von dem öffentlichen Angebot profitiert auch Teufen. Revierförster Thomas Wenk sagte im November 2019 zur TP: «Ich glaube schon, dass dieser Trail unsere Wälder und Wege etwas entlastet.» Aber der «WaldeggTrail» wird nicht nur gelobt. Wenn es im umliegenden Wald zu Konflikten zwischen Bikern und Spaziergängern kommt, sind dessen Betreiber oft die erste Adresse für Informationssuchende – aber auch für Kritiker. «Es kommt ab und zu vor, dass sich diesbezüglich jemand meldet. Das nimmt natürlich zu, weil immer mehr Biker unterwegs sind», so Adrian Gerber. Auch nach dem angesprochenen Kommentar auf tposcht.ch hatte sein Telefon geklingelt. Der Anrufer: Thomas Wenk. Er wollte wissen, wie es zum Vermerk der Bike-Strecke vom Ahorn dem Waldrand entlang Richtung Schäflisegg gekommen ist.
Die Erklärung: «OpenStreetMap» ist eine Website, die nach dem Prinzip «Weisheit der Masse» funktioniert. Genau wie auf Wikipedia kann jeder, der sich mit einer E-Mail-Adresse und einem Pseudonym registriert, einen Eintrag machen. Das können Orte (Restaurants, Attraktionen etc.), Routen oder Kommentare («Tiefgarage 1,95 Meter hoch») sein. Nach dem Speichern sind sie sofort online. Auf ihre Korrektheit werden sie erst später geprüft, wiederum durch die «Massen», die auf diese Karte zugreifen. Dieses Konzept hat «OpenStreetMap» zu einer globalen Grösse gemacht. Ihre Datenbank ist in gewissen Bereichen gar aussagekräftiger aus «Google maps». Und genau wie ein Ausschnitt von «Google maps» kann auch ein Teil der «OpenStreetMap» kostenlos in eine Website eingebunden werden. So geschehen auf waldeggtrail.ch. Ein mächtiges und wertvolles Tool. Es kann aber auch zu Problemen führen. Nämlich dann, wenn Nutzer Einträgen blind vertrauen, statt ihren Sinn zu hinterfragen. Das gilt auch für den Fall in Teufen. Denn ein Blick auf die kantonale Karte für Langsamverkehr zeigt: Dieser Pfad ist nicht für Biker gedacht.
Ein Platzproblem
«Im Grundsatz sind das Geoportal und darauf die Karte Verkehr / Langsamverkehr kantonal ausschlaggebend. Und was gar nicht geht, ist, wenn Biker auf einem Weg unterwegs sind, der zu eng fürs Kreuzen ist», sagt Förster Thomas Wenk. In diese Kategorie fällt auch der Waldrandweg vom Ahorn in Richtung Schäflisegg. Er ist für Fussgänger gedacht und entsprechend schmal. Es kommt allerdings immer wieder vor, dass Mountainbikes auf Strecken unterwegs sind, die nicht für sie gedacht sind. Dieses Verhalten lässt sich aber nicht bloss auf digitale Plattformen wie OpenStreetMap oder Strava zurückführen. Denn, wie Spaziergänger und Wanderer, fahren auch Biker oft einfach der Nase nach. «Am Ende ist die Selbstverantwortung entscheidend. Man sieht ja, welche Wege geeignet sind und welche nicht», sagt Adrian Gerber. Aber auch er weiss: Im Wald wird es zunehmend eng. Zwar wurden die Durchfahrtsfrequenzen auf dem WaldeggTrail seit dem Sommer 2017 nicht mehr gemessen – damals waren es durchschnittlich 45 pro Tag – aber die täglichen Beobachtungen zeigen, dass immer mehr Mountainbikes unterwegs sind. Auf dem Trail und auf anderen Waldwegen. «Das ist ein Trend, der seit Jahren zunimmt. Und Corona feuert das zusätzlich an. Ich sage deshalb schon lange: Es wird mehr offizielle Trails brauchen.» Wer heute mit dem Bike in den Wäldern um Teufen unterwegs ist, kommt fast nicht drum herum, Wege zu befahren, die nicht explizit als Bike-Routen ausgewiesen sind. Denn auf der offiziellen Karte für Langsamverkehr sind kaum solche Strecken eingezeichnet. Eine davon ist beispielsweise der Höhenweg von der Schäflis- auf die Waldegg. Die vielen Forststrässchen und gut ausgebauten Wanderwege fehlen fast gänzlich. Bis sich an diesem Bild etwas Grundsätzliches ändert oder gar weitere Trails wie der WaldegTrail entstehen, werden Jahre vergehen. Aus Sicht von Adrian Gerber ist deshalb die einzige Lösung: «Mit gesundem Menschenverstand und Rücksicht kommen wir alle gut aneinander vorbei. Anders geht es nicht.» tiz