Schwitzen für die Kamera

25.04.2020 | Timo Züst
René_Wyler
Als Leiter der Sportschule Appenzellerland hat René Wyler turbulente Wochen hinter sich. Foto: tiz Die Sportschule Appenzellerland betreut an die 200 Athletinnen und Athleten. Die Intensität ist dabei sehr individuell – von punktueller Beratung bis zu Rundumbetreuung. Für sie alle mussten nach dem Lockdown Trainingslösungen gefunden werden. Wie das funktioniert, erklärt Leiter René Wyler. Herr Wyler, wie oft kommen Ihre Athletinnen und Athleten im Normalfall ins Training? Das ist sehr unterschiedlich. Das liegt daran, dass nicht alle von uns betreuten Athleten die gleichen Leistungen beziehen. Aber es gibt einige Beispiele – wie Simon Ehammer oder Mirjam Mazenauer – für Sportler, die sonst bis zu sechsmal pro Woche hier trainieren. Findet davon seit dem Lockdown gar nichts mehr statt? Nein. Wir mussten sämtlichen physischen Treffen und Trainings absagen. Die Athleten dürfen unsere Infrastruktur auch selbständig nicht nutzen. Das gilt übrigens genauso für alle Aussenbahnen. Das heisst, Sie kommunizieren jetzt nur noch per Telefon? Wir telefonieren, mailen, arrangieren Videochats. Wir haben sozusagen auf Ferntraining und Fernberatung umgestellt (lacht). Beim Schulunterricht kann man sich das ja noch vorstellen. Aber wie soll das bei Sporttrainings funktionieren? Nun, einfach ist es nicht. Wir haben uns deshalb dazu entschlossen, für jeden Athleten und jede Athletin einen wöchentlichen, detaillierten und individuell zugeschnittene Wochenplan zu erstellen. Dieser berücksichtigt die jeweilige Situation und Trainingsphase. Ist das denn überhaupt möglich? Die Ausgangslage ist schliesslich bei jedem anders. Insbesondere bezüglich Infrastruktur, Trainingsgeräten oder Umgebung. Richtig. Diese Faktoren haben wir so gut wie möglich in Betracht gezogen. Dazu haben wir erfasst, was für Möglichkeiten die Athletinnen zuhause haben. Verfügen sie – wie beispielsweise Mirjam Mazenauer – über eine Art «Home-Gym», Gewichte oder andere Geräte, bauen wir das in den Plan ein. Falls nicht finden wir andere Lösungen. Zum Beispiel? Da gibt es diverse Ansätze. Einer ist, Gewichte durch Alltagsgegenstände zu ersetzen. Zum Beispiel durch mit Sand gefüllte PET-Flaschen. Aber hauptsächlich geht es darum, die passenden Übungen zu finden. Es gibt spezifische Sprungübungen, mit denen man einem Gewichtstraining sehr nahe kommt. Längerfristig ist das kein Ersatz, aber für eine Übergangsphase funktionieren sie gut. Und wie vermittelt ihr neue Übungen? Das aussagekräftigste Medium dafür ist das Video. Wir nehmen Anleitungsfilme auf und schicken diese den Athleten. Im Gegenzug filmen sie sich dann beim Ausführen. So können wir die Qualität sicherstellen, Verbesserungsvorschläge machen und Fortschritte messen. Ausserdem haben wir eine kleine «Wochenchallenge» als Motivation ins Leben gerufen. Das beste Video wird jeweils ausgezeichnet. Interaktiv also. Aber trotzdem: Insbesondere bei den Leichtathleten müssen die Bahnen doch schmerzhaft fehlen … Natürlich. Für das Gefühl, mit dem Nagelschuh auf der Bahn zu laufen, gibt es keinen 1:1-Ersatz. Wir haben deshalb auch versucht, eine Bahn für einzelne Trainings zu organisieren, waren aber erfolglos. Ein Ansatz kann sein, die High-Speed-Situation auf der Bahn mit leichten Abwärtssprints etwas nachzustellen. Diesen Rat haben wir unseren Leichtathleten gegeben. Der Lockdown kam im März. Da hätte eigentlich die Junioren-WM im Ski Alpin stattfinden sollen. Auch Nick Spörri wäre gestartet. Was geschah da? Er war bereits vor Ort, weit oben im Norden in Norwegen (Narvik). Während die WM schon lief, wurde dann alles abgesagt. Er konnte nicht einmal starten. Und das wäre natürlich sein Saisonhöhepunkt gewesen. Eine bittere Situation. Aber er ist nicht der einzige. Simon Ehammer wäre beispielsweise an das Mehrkampfmeeting Meeting in Götzis eingeladen gewesen. Dort startet die Weltspitze, ein wirklicher Ritterschlag für ihn. Und für Sandra Graf fällt die Olympiade aus – sie hatte dieses Jahr ihre erfolgreiche Kariere damit krönen wollen. Ich vermute, Sie könnten dies Liste noch lange weiterführen … Wie gehen die Athleten mit der Enttäuschung um? Unterschiedlich. Am Anfang befanden sie sich, wie wir wohl alle, noch etwas in Schockstarre. Dann kam eine Phase, in der es die meisten noch cool fanden. Nun hatten sie etwas mehr Zeit fürs Training und konnten sich auch endlich ihren individuellen Schwächen widmen. Aber langsam zerrt es schon an ihnen. Sie wollen ihre Gspänli wiedersehen und wieder richtig trainieren. Das Training ist der eine Teil, die Wettkämpfe der andere. Die Athleten bereiten sich im Winter jeweils auf die Saison vor. Jetzt hat diese eigentlich gar nicht begonnen. Die Leichtathleten starten normalerweise im Oktober mit dem Aufbautraining. Klar, viele absolvieren die Hallensaison und haben so wenigstens etwas Wettkampf-Feeling. Aber das ist nicht das gleiche wie die Aussen-Saison. Dass die Aufbauphase sich nun einfach für unbestimmte Zeit verlängert, ist hart für sie. Da ist viel Selbstmotivation gefragt. Die Unsicherheit, wann es wieder losgeht ist eine zusätzliche Belastung. Was glauben Sie? Hm, schwierig zu sagen. Ich hoffe, dass wir im Mai bereits wieder einige Trainings durchführen können. Natürlich mit den nötigen Sicherheitsmassnahmen. Wann aber effektiv die ersten Wettkämpfe stattfinden, ist wirklich schwierig zu sagen. Ich hoffe im August. Wie bringt man junge Athleten in so einer Zeit überhaupt in Wettkampf-Stimmung? Man versucht, ihre kompetitive Seite anzuregen. Das machen wir, indem wir Wettkampf-Situationen simulieren. Wir fordern sie heraus, geben ihnen konkrete Aufgaben wie: Schaffst du die 3 Kilometer in der Zeit X? Zwar fehlt die Konkurrenz nach wie vor, aber der Wille zu siegen bzw. die Challenge zu schaffen, wird auch so geweckt. Noch ein anderes Thema: Sie haben nebst der Betreuung der Athleten auch wirtschaftliche Aufgaben. Ist das Aufnahmeverfahren für das kommende Schuljahr schon abgeschlossen? Nach diesem Interview haben ich gleich noch ein Aufnahmegespräch. Aber das ist eines der letzten. Glücklicherweise sind wir damit schon fast durch. Aber auch wir spüren die Krise auf der finanziellen Seite. Zum Beispiel durch abgesagte Trainingslager. Wir müssen auch weiterhin mit Ausfällen rechne. Das ist für uns wie für viele eine grosse Belastung. tiz

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