Schulter an Schulter

25.10.2024 | Timo Züst

Am 24. November stimmt die Schweiz über vier eidgenössische Vorlagen ab: zwei Änderungen im Obligationenrecht (Untermiete / Kündigung wegen Eigenbedarf), eine Änderung im Bundesgesetz über die Krankenversicherung (Einheitliche Leistungsfianzierung) und den Nationalstrassen-Ausbauschritt 2023. Zu reden gibt vor allem die Autobahn-Vorlage. In der Ostschweiz wird intensiv für ein «Ja» geweibelt. Am Mittwoch trat in St. Gallen die Ostschweizer Regierungskonferenz (ORK) vor die Medien, am Freitag ein bürgerlicher AR-Schulterschluss in Teufen. Warum dieser Aufwand?

Der bürgerliche Schulterschluss posiert mit dem Autobahn-Puzzleteil in Teufen (v.l.): Patrick Kessler (FDP), Florian Indermaur (die Mitte) und Max Slongo (SVP). Fotos: tiz

Eigentlich hätte die Medienkonferenz im «Anker» am Mittwoch stattgefunden. Der SVP-Kantonsrat Max Slongo hatte die E-Mail schon am 9. Oktober verschickt. Er lud stellvertretend für die «im Kanton Appenzell Ausserrhoden tätige Mitte, FDP und SVP» ein. Man hat sich im Vorfeld der Abstimmung vom 24. November zu einem bürgerlichen Schulterschluss entschieden. Das Ziel: ein wuchtiges «Ja» zum «Bundesbeschluss über den Autobahnausbau 2023 für die Nationalstrassen» (STEP). Doch ihnen kam ein anderer Schulterschluss in die Quere.

Eine Woche später lud nämlich auch die Ostschweizer Regierungskonferenz (ORK) zum Pressetermin in den Hofkeller. Ausgerechnet an jenem Mittwochmorgen. Dort sprachen sich die Regierungen von Glarus, Thurgau, Schaffhausen, St. Gallen sowie Appenzell Inner- und Ausserrhoden für ein «Ja» zum Autobahnausbau aus. Graubünden war zwar aus Termingründen nicht vor Ort; dessen Regierung liess aber verlauten, man sei auch dafür. Für Ausserrhoden war Regierungsrat Dölf Biasotto (Bau und Volkswirtschaft) nach St. Gallen gekommen. Und er machte deutlich, wie sehr sein Kanton von einem funktionierenden Nationalstrassennetz in St. Gallen abhängig ist. «Ausser- und Innerrhoden liegen wie die Zeichnung eines Bärs in der Landschaft, mit dem Kopf in Richtung Bodensee. Und dort, wo seine Halsschlagader wäre, ist eben genau die Autobahn.» In gewissem Sinne sei die Autobahn also lebenswichtig. Auch weil «100 Prozent der Ausserrhoder Güter über die Strassen transportiert werden müssen. Und die Rettung ist ebenfalls auf der Strasse unterwegs». Wie seine Tischnachbarinnen und -nachbarn hofft Dölf Biasotto deshalb auch ein klares «Ja».

Zwei Tage vor der Medienkonferenz in Teufen sprachen die Ostschweizer Regierungen im Hofkeller über das gleiche Thema: Hier empfiehlt der AR-Regierungsrat Dölf Biasotto ein ‚Ja‘ am 24. November.

Diese Einigkeit dämpfte den Ärger über die Terminkollision bei Max Slongo (Herisau / SVP) und dessen Schulterschluss-Kollegen Patrick Kessler (Teufen / Vizepräsident FDP AR) sowie Florian Indermaur (Waldstatt / die Mitte) vermutlich etwas. Sie liessen sich von der medialen Präsenz des Themas auf jeden Fall nicht beeindrucken. Und beantworten erst einmal die wichtigste Frage von allen: Worum geht es eigentlich?

Unterhalt und sechs Nadelöhre

Patrick Kessler kennt sich aus mit Verkehr. Nicht nur, weil er seit dem Frühling 2023 den Touring Club AR (TCS) präsidiert. Er war 25 Jahre lang Geschäftsführer des Verband des schweizerischen Versandhandels («handelsverband.swiss») und vertrat Teufen acht Jahre lang im Kantonsrat. Und obwohl er sich selbst als «hardcore» Zug- und Velofahrer bezeichnet, setzt er sich nun für ein «Ja» zum Autobahnausbau ein. «Wichtig ist erst einmal: Es geht am 24. November nicht nur um einen Ausbau, sondern auch um den Unterhalt der Nationalstrassen. Und der ‘Ausbau’ bezieht sich auf die Beseitigung von sechs Nadelöhren – keine Netzerweiterung. Bisher mussten wir über solche STEP-Programme auch noch nie abstimmen.» Dafür ist ein Referendum verantwortlich. Ergriffen hatte es eine Allianz aus 29 Organisationen – darunter der VCS, mehrere Umweltorganisationen, Pro Velo sowie die Grünen und die SP.

SP Ausserrhoden sagt «Nein»

Auch die SP von Appenzell Ausserrhoden hat sich bereits mit der Abstimmung vom 24. November beschäftigt. Die Delegierten trafen sich diese Woche zur Versammlung und beschlossen mit grosser Mehrheit die «Nein»-Parole zum Autobahnausbau. Die Begründung hier im Wortlaut der Medienmitteilung: «Die unverhältnismässige teure Verschiebung der Engpässe auf den Nationalstrassen ist keine zukunftsfähige Lösung, um unseren Verkehr nachhaltiger zu gestalten.  Die SP AR anerkennt zwar den Handlungsbedarf in Teilprojekten wie Herisau mit der stark belasteten Alpsteinstrasse. Sie gewichtet aber den Klimaschutz entschieden höher. Ein Ausbau der Autobahninfrastruktur spricht dem Klimaschutz entgegen, da kein Auto auf der Autobahn startet und somit längerfristig Mehrverkehr generiert wird.»

Aus Ostschweizer Perspektive ist diese Abstimmung von besonderer Bedeutung. Denn von den 4.9 Milliarden Franken, die bei einem «Ja» für den Autobahnausbau investiert werden sollen, fliessen über 1.3 Milliarden hierher. Konkret geht es dabei um den Fäsenstaubtunnel in Schaffhausen und die dritte Röhre des Rosenbergtunnels in St. Gallen inkl. Zubringer Güterbahnhof. Und dieses letzte Projekt ist es auch, auf das Patrick Kessler ein besonderes Augenmerk legt. «Ein Ja zu diesem Ausbauschritt bedeutet zwar nicht automatisch, dass der Liebegg-Tunnel – und damit ein Ende des ewigen Staus auf der Teufener Strasse – kommt. Aber ein ‘Nein’ heisst, er kommt sicher nicht.» Für ihn ist klar: Die Verkehrsbelastung für die Anwohnenden der Teufener Strasse in St. Gallen ist heute viel zu hoch. Und auch für Ausser- und Innerrhoden ist das Nadelöhr ein Nachteil. «Das Pförtnerprojekt im Gebiet Liebegg ist auch keine Lösung. Das ist nur Symptombekämpfung.»

Aber nicht nur auf der Teufener Strasse stockt es in der Schweiz. «Insgesamt wurden im Jahr 2023 auf Nationalstrassen rund 48’000 Staustunden registriert. Darunter leiden der MIV und der Gütertransport. Die Beseitigung dieser sechs Nadelöhre ist deshalb eine sinnvolle und verhältnismässige Massnahme», sagt Max Slongo. Mit diesen sechs Engpässe sind nebst Rosenberg und Fäsenstaub vier weitere Projekte gemeint: pro Fahrtrichtung eine Spurverbreiterung der A1 zwischen Genf und Nyon und bei Bern zwischen Wankdorf-Schönbühl sowie Schönbühl-Kirchberg, plus der Neubau des Rheintunnels in Basel (A2).

Bei einem ‘Nein’ käme nicht nur der Liebegg-Tunnel nicht. Auch eine mögliche Umfahrung für Herisau würde um Jahre nach hinten geschoben.

Nur 74 Fussballfelder

Aus Mittelländer Sicht liegt das Nadelöhr also bei der Teufner Strasse. Aber auch das Ausserrhoder Hinterland hat mit extremen Verkehrsbelastungen zu kämpfen. Die Alpsteinstrasse ist die meistbefahrene im Kanton. Im Jahr 2023 wurde dort laut Tiefbauamt ein DTV (Durchschnittlicher Tagesverkehr) von bis zu 17’600 registriert. Der Rekordtag war der 7. Juli 2023 mit 21’376 Fahrzeugen. «Deshalb ist diese Abstimmung für uns doppelt wichtig. Bei einem ‘Nein’ käme nicht nur der Liebegg-Tunnel nicht. Auch eine mögliche Umfahrung für Herisau würde um Jahre nach hinten geschoben und sogar grundsätzlich gefährdet», sagt Max Slongo. Derzeit sind für diese Umfahrungen vier Varianten im Gespräch. Wobei die umfangreichste (Tunnel von Waldstatt bis Gossau) wohl nur noch pro forma mitaufgeführt ist. Am chancenreichsten ist ein Kurztunnel vom Gebiet Langelen bis zur Industriestrasse. «Wenn wir als Ostschweiz am 24. November nun ‘Nein’ sagen, verschlechtert das unsere Verhandlungsposition massiv.»

Die Zusammenfassung im «Anker» übernimmt Florian Indermaur. Die Argumente lassen sich in drei Kategorien einteilen:

Überlastung: «Die Prognosen des Bundes gehen von einer weiteren kleinen Zunahme aus, bevor der MIV abnimmt. Wenn wir nicht noch deutlich mehr Stau und Ausweichverkehr riskieren wollen, müssen wir die Nadelöhre beseitigen.»

Landverbrauch: «Für diesen effektiven Autobahnausbau werden nur 0.53 Quadratkilometer oder 74 Fussballfelder benötigt. Davon sind 10 Fussballfelder wertvolle Fruchtfolgeflächen – und diese müssen kompensiert werden.»

Finanzierung: «Die Kosten dieses Ausbaus sind über den Nationalstrassen- und Agglomerationsverkehrs-Fonds (NAF) finanziert. Dabei handelt es sich um gebundene Ausgaben. Sie könnten also nicht einfach für etwas anderes investiert werden. Und das Geld ist vorhanden.»

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