Während der Zeit zwischen Weihnachten und dem Dreikönigstag (Rauhnächte) hat das Räuchern im Appenzellerland Hochsaison. Zwar ist der Brauch in Inner- präsenter als in Ausserrhoden. Aber auch in Teufen werden böse Geister ausgeräuchert. Die passenden «Stöckli» findet man in der Drogerie Michel.
Was ist denn das? Vielleicht eine Leckerei? Die Reaktionen der Kundschaft auf die ausgestellten «Stöckli» reichen von Verwunderung bis freudiges Wiedererkennen. «Einige wissen sofort, worum es sich handelt. Sie kaufen denn auch meist eins», sagt Geschäftsführer Hanspeter Michel. Die rund vier Zentimeter hohen, schwarzen Kegel werden in aufwändiger Handarbeit hergestellt. Ihr Zweck: zu verbrennen. Es sind «Weihrauchstöckli». Teil einer alten Tradition, die im Appenzellerland – insbesondere in Innerrhoden – bis heute gepflegt wird. Während der zwölf Rauhnächte zwischen Weihnachten und dem Dreikönigstag werden Haus und Hof «ausgeräuchert». Meist an Heiligabend, Silvester und in der Nacht vom 5. auf den 6. Januar. Der Rauch soll böse Geister vertreiben und die Hausbewohner vor «Öbel ond Oofall» schützen. «Als wir vor knapp 12 Jahren die Drogerie übernahmen, kannten wir diesen Brauch überhaupt nicht. Unser Vorgänger Urs Wetzel hat uns dann sein wohlgehütetes Rezept vererbt», erzählt Hanspeter Michel. Keine Selbstverständlichkeit. Denn für die genaue Zusammensetzung und Zubereitung der Stöckli hätten sich auch andere Drogisten interessiert. Aber trotz Rezept ist die Herstellung nicht einfach. «Dahinter steckt ein ganzer Tag Handarbeit. Und es ist nie ganz sicher, ob sie richtig schön gleichmässig abbrennen. Gewissheit hat man erst nach dem Trocknen und dem ersten Anzünden.»
Nachfrage und Zukunft
Weihrauch, Myrrhe und Benzoe
Die Stöckli bestehen aus fünf Hauptzutaten – und einem Naturleim. Am wichtigsten sind die Harze. Sowohl der wohlbekannte Weihrauch und die Myrrhe als auch das eher unbekannte Benzoe. Letzteres ist eine Harzmischung verschiedener Storaxbäume, die in Ostasien, Südamerika und Mexico heimisch sind. Ausschlaggebend ist die Qualität. «Die Harze sind für den intensiven Geschmack verantwortlich und damit das Herz der Stöckli. Sie müssen deshalb so rein wie möglich sein.» Weihrauch, Myrrhe und Benzoe können aber noch mehr, als bloss gut zu riechen. Alle drei wirken entzündungshemmend, unterstützen das Immunsystem und – speziell Benzoe – mindern das Bakterienwachstum. «Natürlich kommt in Rauchform nie so viel von der Wirkung an, wie beispielsweise beim direkten Verstäuben von Ätherischen Ölen. Aber die Wirkstoffe sind vorhanden», so Hanspeter Michel. Für die Zubereitung wird das harte Harz zu feinem, mehlartigem Staub zermahlen. Anschliessend folgt die Vermischung mit den anderen beiden Bestandteilen: reines Holzkohlenpulver und Kaliumnitrat. Ersteres sorgt für die nötige Substanz und Brennbarkeit der Stöckli – gleichzeitig verleiht es das satte Schwarz. Das Kaliumnitrat oder Bengalsalpeter (Salpeter genannt) dient als Brandförderer und sorgt dafür, dass die Kegel nach dem Anzünden nicht wieder erlöschen. «Wie bei allen Rezepten kommt es auf das exakte Mischverhältnis an. Das zu treffen, ist allerdings nicht einfach, da man nach dem Zufügen des Kohlepulvers nur noch ‘schwarz’ sieht.» Dieser Teil der Herstellungsprozesses dauert drei bis vier Stunden. Erst danach folgt der «heikle» Teil.
«Guetzlen» mal anders
«Meistens hören wir dazu ein Hörspiel oder ein paar Folgen ‘Das Schreckmümpfeli’ von SRF», erzählt Hanspeter Michel schmunzelnd. Er spricht vom letzten Arbeitsschritt auf dem Weg zu den fertigen Weihrauchstöckli. Um den kümmern sich er und Claudia Michel höchstpersönlich. Auch hier kommt es wieder auf die richtige Mischung an. Der mehligen Masse aus Weihrauch, Myrrhe, Benzoe, Holzkohlepulver und Kaliumnitrat wird nun etwas «Tragant» beigefügt. Diese Bezeichnung steht für das geschmacksneutrale Pflanzenharz des Bocksdorns (auch «Tragant»). Es dient schon seit Jahrhunderten als natürlicher Klebstoff. Auch heute ist es noch im Einsatz – beispielsweise bei der Produktion handgerollter Zigarren. Die Aussenhülle aus Tabakblättern wird damit verklebt. Im Fall der Weihrauchstöckli fungiert der Tragant als Bindemittel. Nur dank ihm wird aus dem Mehl eine Art mürber Teig, den Hanspeter und Claudia Michel von Hand zu Schlangen formen können. «Das ist eine heikle Arbeit. Die Masse darf nicht zu dicht und nicht zu mürbe sein. Sonst lässt sich der Teig nicht richtig formen.» Ob sie Erfolg hatten, wissen die beiden erst rund sechs bis sieben Wochen nach der Produktion. So lange brauchen die Stöckli, bis sie bei Raumtemperatur vollständig ausgetrocknet sind. Wie sieht es heuer aus? «Dieses Mal haben wir es ganz gut getroffen. Die Kegel verbrennen gleichmässig und der Rauch riecht sehr intensiv.» tiz