Plötzlich sieht er nur noch Flammen

03.02.2019 | Timo Züst
Markus Habermacher
So viel Unglück, aus so wenig Metall. Eine solche Konservendose hatte Markus Habermacher am 9. Mai 2018 in den Händen. «Diese hier war sogar schon in Gebrauch», sagt er. Fotos: tiz Timo Züst «Feuerwehrmann bei Übung verletzt.» Das war der Titel der Medienmitteilung der Kantonspolizei Appenzell Ausserrhoden. Verschickt wurde sie am 10. Mai 2018. Einen Tag nachdem der Gerätewart der Feuerwehr Teufen Bühler Gais fast sein Leben verloren hätte. Der 9. Mai 2018 ist ein Mittwoch wie jeder andere. Markus Habermacher ist gut gelaunt. Er hat allen Grund dazu: In eineinhalb Wochen werden seine Frau und er nach Ecuador in die Ferien fliegen. Alles ist gebucht: Flug, Hotels, Reiseziele vor Ort. Noch ist es aber nicht soweit, an diesem Mittwoch ist Markus Habermacher am Arbeiten. Als Material- und Gerätewart bei der Feuerwehr Teufen Bühler Gais (TBG). Seit 14 Jahren ist er schon dabei. Der gelernte Maschinenschlosser kennt die Feuerwehr in- und auswendig. Zu seinen Aufgaben gehören nicht nur der Unterhalt und die Reparatur der Fahrzeuge, er kontrolliert auch das Einsatzmaterial und hilft bei kantonalen Kursen und Übungsvorbereitungen. So auch an diesem Mittwoch. Alles wie immer, alles Routine. Bis plötzlich alles anders ist. Aus dem Nichts Heute geht es um die Simulation eines dreifachen Löschangriffs. Markus Habermacher erklärt: «Das ist ein Flüssigkeitsbrand. Zum Beispiel Öl oder Flüssiggas. Dafür werden drei Löschmittel eingesetzt: Wasser zum Kühlen, Schaum und Pulver zum Löschen.» Eine Routineübung. In der Regel wird sie einmal pro Jahr durchgeführt, manchmal auch weniger. Der Teufner Materialwart hat schon Dutzende davon vorbereitet. Ein Problem gab es nie. Er und seine drei Kollegen machen an diesem Abend vor dem «Bächli» also alles wie immer. Ein wichtiger Bestandteil ist die «Anzünd- Konserve». Noch einmal Habermacher: «Das ist eine klassische Konservendose. Darin kommen Sägemehl und Brandbeschleuniger. Später wird damit das Feuer gelegt.» Es ist kurz nach sieben Uhr abends. Die Temperaturen sind mild. Markus Habermacher trägt ein T-Shirt während er die Dose hält, in die sein Kamerad Brandbeschleuniger füllt. Die Schutzausrüstung liegt ein paar Meter entfernt – für später. Klar: Er hätte sie eigentlich schon tragen sollen. Aber er fühlt sich sicher, schliesslich hat er das schon hundert Mal gemacht. Er setzt die Flasche ab. Der erfahrene Materialwart schaut nach: «Noch etwas.» Wieder Nachfüllen. Wieder ein Stopp. «Noch ein bisschen.» Der Kamerad schüttet erneut etwas nach. «Und dann hat sich mein Leben verändert », sagt Habermacher sieben Monate später. Diese Veränderung raste in Form einer gewaltigen Stichflamme auf ihn zu. Der Inhalt der Konservenbüchse hatte sich entzündet. Die Flammen dehnten sich explosionsartig durch die einzige Öffnung aus. In seine Richtung. Richtige Reaktion «In unseren Schulungen wird gesagt: Wer in Flammen steht, muss sich hinlegen und wälzen. So sollen die Flammen gelöscht werden.» Markus Habermacher weiss heute: Wenn du nur noch Flammen siehst, dir das Feuer den Sauerstoff zum Atmen raubt und das Wenige an Luft, das du einatmest viel zu heiss ist – dann legst du dich nicht auf den Boden. «Meine erste Reaktion war loszugehen. Ich wollte die Flammen aus meinem Gesicht kriegen.» Sein Glück: Die Kameraden reagierten richtig. Sie dirigierten ihn mit Rufen, löschten und kühlten ihn mit Wasser. Dann musste alles schnell gehen. Als erster war Marc Kleber vor Ort. Er ist diplomierter Rettungssanitäter beim «144» und zuständig für Appenzell Ausserrhoden. Stationiert in Teufen, war er in wenigen Minuten da. «Am Telefon wurde etwas von einer Verbrennung an der Hand gesagt. Was ich dann aber sah, hatte damit überhaupt nichts zu tun», erzählt er. Kleber erkannte sofort, wie ernst die Lage war. Und bestellte die Rega. Habermacher sollte auf direktem Weg in das Unispital Zürich geflogen werden. «Ich habe noch versucht, ihm eine Infusion zu stecken. Aber bei verbrannter, harter Haut ist das sehr schwierig.» Daran kann sich auch Markus Habermacher noch erinnern: «Und später im Auto musste ich doch den Schmuck ausziehen, oder?» Er blieb bei vollem Bewusstsein, fast bis zur Ankunft im Spital in Zürich ca. 45 Minuten nach dem Unfall. Das nächste Mal kam er erst am Samstagabend zu sich.
Beim Brandhaus des Ausbildungszentrums Bächli geschah der Unfall. Lange Unsicherheit Verbrennungen werden medizinisch in drei Hauptkategorien unterteilt: erster, zweiter oder dritter Grad. Wobei die dritte Stufe am gefährlichsten ist. Dann ist die Verbrennung so stark, dass alle Hautschichten inklusive der Nerven zerstört wurden. Markus Habermachers Diagnose: 42,8 Prozent seines Körpers erlitten Verbrennungen des zweiten oder dritten Grads. «Lange war nicht klar, ob ich überleben würde. Das sagten die Ärzte mir und meiner Frau ganz offen.» Erst zweieinhalb Wochen nach dem Unfall, als er von der Intensiv wegverlegt wurde, dachte er zum ersten Mal: «Ich habe es geschafft.» Der Grund für diese lange unsichere Phase liegt in der Natur einer Brandverletzung. Denn eigentlich ist sie eine gewaltige, offene Wunde. Das grösste Risiko ist deshalb eine Infektion. Im Normalfall kämpfen sich Menschen mit so grossen Verletzungen wie Markus Habermacher während der Heilphase deshalb durch vier bis fünf Infektionen und zwei bis drei Blutvergiftungen. «Ich hatte keine Blutvergiftung und nur eine Infektion. Da hatte ich also Glück.» Und auch bei etwas anderem spricht er von Glück: bei der Lage der Verbrennungen. Erwischt hat es die Arme, die Seiten des Oberkörpers und den Rücken. Das Gesicht blieb verschont. Da sprachen die Ärzte lediglich von einem starken Sonnenbrand. Schwieriger Weg zurück Heute trägt Markus Habermacher wieder Feuerwehrkleidung. Nur dem aufmerksamen Beobachter verraten die Kompressionsstrümpfe an Armen und Händen, dass er sich mitten in einer langwierigen Genesungsphase befindet. Er arbeitet bereits wieder zu 50 Prozent. Ein Erfolg, die Ärzte hatten damit erst im Sommer 2019 gerechnet. Doch von Normalität ist er noch weit entfernt. «Ich bin vier Mal pro Woche in Therapie. Zweimal Physio, zweimal Ergo.» Das Ziel: Habermacher soll seine Hände und Arme wieder wie vor dem Unfall einsetzen können. Er hat schon viel erreicht, noch fehlt aber einiges an Kraft und Beweglichkeit. Und auch wenn das geschafft ist, ist die Sache noch nicht ganz ausgestanden. Denn die Ausheilung verbrannter Haut ist unmöglich vorauszusagen. «Der Prozess kann bis zu sieben Jahre dauern. Gut möglich, dass es irgendwann noch einen kosmetischen Eingriff braucht.» Trotzdem: Heute überwiegt das Positive. Er kann sich wieder bewegen, Autofahren, spazieren, arbeiten. Und im Sommer vielleicht sogar mit seinem geliebten Motorrad eine Ausfahrt machen. «Das ist mein Ziel. Das will ich erreichen.» Etwas anderes hat er bereits erreicht: eine bewusstere Wahrnehmung. Ein psychologisches Trauma hat der Unfall nicht ausgelöst, sogar das Hantieren mit Feuer löst keine Angst aus. «Aber etwas hat sich schon verändert. Ich denke heute anders. Ich weiss jetzt: Es könnte jederzeit vorbei sein.» Am meisten spüre er das im Kontakt mit seiner Frau Daniela. «Die Zeit zusammen ist jetzt anders, intensiver.» Und deshalb ist auch klar: Die Ecuador-Ferien sind verschoben, nicht aufgehoben.

Ein Fragezeichen

Ein solches Unglück löst einiges aus: eine Untersuchung der Staatsanwaltschaft, einen Einsatz des psychologischen Dienstes (Betreuung des Verletzten und der Kameraden), eine Anpassung der Vorschriften. Im vorliegenden Fall konnte die Polizei, genauer der kriminaltechnische Dienst, die Brandursache nicht zweifelsfrei bestimmen. Eine mögliche Ursache dafür könnte ein Funke, ausgelöst durch eine statische Aufladung, sein. In Verbindung mit den perfekten, äusseren Umständen wie Temperatur, Luftzufuhr und -feuchtigkeit könnte das den Brand verursacht haben. Schuld daran ist niemand. Zu diesem Schluss kamen alle Beteiligten. Deshalb hat die Staatsanwaltschaft den Fall auch abgeschlossen. Folgen wird der Unfall wohl aber trotzdem haben. Denn wenn so ein Unfall bei der Feuerwehr passiert, werden meist bald darauf neue kantonale Vorschriften erlassen. Bei der TBG intern ist das bereits erfolgt.

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