Von Konrad Hummler, Teufen
Ohne sich dessen wirklich bewusst zu sein oder es ausdrücklich gewollt zu haben, steht Teufen derzeit vermutlich vor einem Jahrhundertentscheid. Es geht um nicht weniger als die Frage, wie behaglich für die nächsten dreissig, fünfzig oder auch mehr Jahre die Ortschaft hoch über St. Gallen gestaltet sein wird. Grund für die akute Entscheidungssituation ist die von den Anrainerkantonen beschlossene Durchmesserlinie der Appenzeller Bahnen mit dem Ruckhaldetunnel zwischen dem Bahnhof St. Gallen und dem Riethüsli. Die Appenzeller Bahnen werden die Frequenz der Züge steigern. Geplant ist ein Viertelstundentakt in beide Richtungen, was bedeutet, dass im Durchschnitt alle siebeneinhalb Minuten ein Zug durch das Dorf Teufen fahren wird. Ab 2016 wird das Realität.
Weil die Dorfdurchfahrt für die Bahn ohnehin schon prekär ist, planen die Appenzeller Bahnen, offenbar im Einvernehmen mit dem Teufner Gemeinderat, die engsten Stellen zwischen Bahnhof Teufen und Stofel durch eine doppelspurige Streckenführung zu entlasten. Das ist eine mögliche, wenn auch sehr minimalistische Lösung des Problems. Alternativen werden keine vorgelegt. Dies ist angesichts der Tragweite des „Umbaus“ der Teufner Dorfgestaltung eindeutig zu wenig.
Für schwierige, langfristig wirksame Entscheide lohnt es sich immer, eine gewisse Reihenfolge der Denkschritte einzuhalten, damit nichts vergessen geht oder zu wenig Gewicht erhält. Bewährt hat sich nach meiner Erfahrung die folgende Sequenz:
Genau in dieser Reihenfolge. Denn allzuoft wird, meist in weitgehender Unkenntnis über die Machbarkeiten, ja, oft auch ohne jegliche Vorstellung darüber, was eigentlich die wirklichen Zielsetzungen sein könnten, die Finanzierungsfrage zuerst erörtert. Damit landet man rasch einmal bei der schlechtesten und kurzfristig gesehen auch billigsten Lösung, die niemanden glücklich macht, sich langfristig rächt und infolge ewiger Nachbesserungen am Ende teurer wird. Solches droht nun auch in Teufen.
Was wäre denn unsere Zielsetzung für die Dorfgestaltung von Teufen, was könnte die Vision für unsere „Heimat“ sein? Ich will es einmal versuchen. Uns könnte zum Beispiel eine Ortschaft vorschweben, die in zehn, zwanzig Jahren dank guter Durchmischung von Wohnen und örtlichem Gewerbe ein funktionierendes Dorfleben aufweist. Eine Ortschaft, deren Erscheinungsbild auf die ausserrhodische Bautradition Bezug nimmt und sich damit klar vom Siedlungsbrei à la Oerlikon-Ost unterscheidet. Ein Dorf, vom Durchgangsverkehr und von der alles zerschneidenden Bahnlinie befreit, die einzigartige Lage für eine „Alpsteinpromenade“ zwischen Niederteufen und dem Dorfplatz nutzt. Eine Gemeinde, die dank sorgsamer Bodenpolitik Wachstum und dessen Konsequenzen in einem Gleichgewicht hält. Neunerprobe für eine langfristige Vision ist die Frage, ob wir uns vorstellen können, dass sich unsere Kinder in einer Ortschaft dieser Art wohl fühlen würden.
Gewiss, Visionen können auch illusionär sein. Aber bevor man sie zunichte macht, sollte man sich, schön in unserer Reihenfolge, mit der Machbarkeit auseinandersetzen. Zunächst einmal zu den Voraussetzungen. Sie sind hervorragend. Denn Teufen hat eine Umfahrungsstrasse, die den Durchgangsverkehr ganz und den Ziel- und Quellenverkehr weitgehend auffängt. Keine andere Ortschaft in unserem Kanton ist besser geeignet für eine deutliche Entlastung vom Automobilverkehr. Die Möglichkeiten und Chancen zur Verkehrsberuhigung blieben bis anhin weitgehend ungenutzt. Weshalb? Weil die Streckenführung der Bahn, auf dem Trassee von 1889 notabene, solche Massnahmen und mithin die Grundlage für eine bessere Dorfgestaltung a priori als nicht lohnend erscheinen liess.
Die Bahnfrage muss gelöst werden. Doppelspur: denkbar. Aber mit der Vision eines heimeligen Dorfes nicht vereinbar. Es würde eine Glatttalbahn durch Teufen brausen. Unfälle, wie bis anhin auch tödliche, wären weiterhin programmiert, wofür unsere Generation die Verantwortung zu tragen hätte. Niederteufen wäre auf alle Zeiten zweigeteilt. Tunnelführung Bahnhof Teufen – Stofel: Ebenfalls denkbar. Aber Niederteufen hätte nichts davon. Rascher in St. Gallen wäre man mit dem ÖV nicht. Es wäre also eine reine Teufner Teillösung, weit davon entfernt, auf überregionales Interesse zu stossen. Es gäbe aber auch noch den „grossen Wurf“, nämlich eine Tunnelführung ab Linde Teufen bis Riethüsli, verbunden mit einer Ortsbus-Linie für Niederteufen und Lustmühle. Die Zeitersparnis für die Bahn wäre beträchtlich. Ganz Teufen „oberhalb der Bahn“ erführe eine deutliche Aufwertung. Bisher Undenkbares würde plötzlich möglich, zum Beispiel – eben – die „Alpsteinpromenade“ mit einer Neuauflage des Café Spörri am einen, dem „Alten Zoll“ am andern Ende. Dreirad- und Rollator-gängig, wie es sich in Zukunft gehört. Die Angst vor Bahnunfällen wäre gebannt. Der teure Ruckhaldetunnel bekäme seine logische Fortsetzung, und das Appenzeller Mittelland und Innerrhoden erhielten eine valable Bahnverbindung nach St. Gallen.
Was wäre finanzierbar? Und was wäre durch wen zu bezahlen? Wir wissen es nicht. Die Entscheidungsgrundlagen fehlen. Wir wissen jedoch von der Durchmesserlinie, dass die Finanzierung bei überregionalem Interesse von Bund und Kantonen massiv mitgetragen wird. Es geht jetzt nicht darum, irgendwelche Personen oder Gremien mit Vorwürfen einzudecken. Vielmehr gilt es nun, das Verpasste schleunigst nachzuholen, damit eine echte Debatte en connaissance de cause stattfinden kann. Klar, die Finanzkraft von Teufen ist beschränkt, nicht zuletzt wegen der munteren Verschuldungspolitik der letzten Jahre. Der „grosse Wurf“ wäre ein Jahrhundertwerk von klar überregionaler Bedeutung, mit entsprechend breitabzustützender Finanzierung. Finanzierung und Amortisation müssten langfristig angelegt sein. Die derzeitig geltenden tiefen Zinsen sprechen eher für als gegen eine solche Investition. Es stimmt: Wer investiert, muss an anderen Orten sparen. Da Teufen weitgehend gebaut ist, sind die Voraussetzungen dazu durchaus gegeben.
Ein Wort an den Gemeinderat. Die Appenzeller Bahnen sind auf eine rasche Entschärfung des Engpasses in Teufen angewiesen. Vorschnelles Einlenken für eine Doppelspur entzieht der Gemeinde das Druckmittel, damit bessere Lösungen gefunden werden könnten. Insofern braucht es nun halt ein bisschen Powerplay, in aller Freundschaft.
Der Bau der Gaiserbahn im Jahr 1889 war visionär. Die Umfahrungsstrasse, welche 1973 eröffnet wurde, ebenfalls. Auch unsere heutige Generation hat die Möglichkeit, vorbildlich und weitsichtig zu handeln.
25.9.2013