Matthias Jäger
Obwohl fast täglich in den Medien, ist Nordkorea weitgehend unbekannt. Man hat ein Bild vom kleinen Machthaber mit dem eigenartigen Haarschnitt, man liest und hört von Atom- und Raketentests, von Sanktionen, Gulags und Versorgungsproblemen. Aber eigentlich weiss man nichts über dieses abgeschlossene Land.
Auf diesem Hintergrund zog der Morgekafi mit Gast vom 5. Januar mit über 30 Besuchern ungewöhnlich viele Interessierte an. Seniorissimo kann aber auch nicht jeden Tag mit einer so kompetenten Referentin zu einem so aussergewöhnlichen Thema aufwarten.
Alltag und Normalität
Käthi Zellweger blendet die Politik nicht aus, aber ihr Interesse gilt den Menschen und ihren Bemühungen, wie sie sich in einem schwierigen Umfeld ihren Alltag organisieren, ihn bewältigen, und so ihre Normalität schaffen.
Nordkorea ist mit 120’000 km2 etwa dreimal so gross wie die Schweiz, und hat etwa 24 Millionen Einwohner. Die Bevölkerung ist ethnisch und sprachlich weitgehend homogen. Nordkorea ist stark urbanisiert, und etwa 60% der Bevölkerung wohnt in urbanen Zentren.
Nach dem Ende der japanischen Besetzung (1910-1945) wurde Korea am Ende des Zweiten Weltkrieges durch die Siegermächte geteilt. Diese Teilung existiert bis heute weiter, auch wenn sie nie formalisiert wurde. Eine der undurchlässigsten Grenzen ist denn auch keine international anerkannte, sondern noch immer «nur» eine Waffenstillstandslinie.
Der Koreakrieg hinterliess ein weitgehend dem Erdboden gleichgemachtes Land, und die japanische Besetzung einen kollektiven Hass. Während der japanischen Besetzung war sogar der Gebrauch der koreanischen Sprache verboten.
Nordkorea wurde fast vollständig neu gebaut. Mit Koesang, nahe an der Waffenstillstandlinie, verfügt Nordkorea über eine einzige grössere Stadt mit erhaltenem historischem Kern.
Gesellschaftliche Prägungen
Die heutige nordkoreanische Gesellschaft ist geprägt durch drei grosse Einflussfaktoren,
a) den Konfuzianismus,
b) den Kommunismus, und
c) einen ausgeprägten Personenkult.
Im Zentrum des Personenkultes steht Kim Il-sung, der Grossvater des aktuellen Machthabers. Die Bevölkerung verehrt ihn. Er steht dafür, dass er den Nordkoreanern nach der japanischen Besetzung ihre Identität wieder zurückgegeben hat, dass er das Land nach der Zerstörung durch den Krieg neu baute, und dass er funktionierende Bildungs- und Gesundheitssysteme aufbaute. Neben der Popularität des Grossvaters verblasst diejenige von Kim Jong-il, dem Vater.
Der aktuelle Machthaber versucht sich popularitätsmässig an seinen Grossvater anzulehnen. Im Unterschied zum Vater, bei dem die Stärke der Armee im Zentrum stand, stellt Kim Jong-un das Nuklearprogramm und die wirtschaftliche Entwicklung ins Zentrum seiner Bemühungen. In den letzten Jahren wurden im Alltag trotz der Sanktionen Fortschritte gemacht. Die Lebensmittelsituation ist verbessert, kleine Freiheiten werden zugelassen, und langsam wächst eine neue Mittelschicht heran. Diese äussert sich z.B. in der Präsenz von Mobiltelefonen, Solarzellen an den Balkonen und privaten Taxis in den Städten.
Damit gelingt es Kim Jong-un, zentrale Bedürfnisse der Bevölkerung zu befriedigen: Bei dieser stehen Konsumgüter, das Gesundheitswesen, ein funktionierendes Bildungssystem, und warme Wohnungen in den kalten und harten Wintern oben auf der Prioritätenliste.
Entwicklung der Nahrungsversorgung
Äusserlich wollen die Bilder, die Käthi Zellweger von ihrem Nordkorea zeigt, nicht so recht ins Bild passen, das man sich von einem Armenhaus macht. Die urbanen Zentren, in denen 60% der Bevölkerung leben, sind Städte mit modernen Hochhäusern. Das höchste Gebäude in Pyongyang hat 73 Stockwerke. Das unterstreicht eine Entwicklung, die in den letzten Jahren tatsächlich stattgefunden hat.
Nach dem Ende der Sowjetunion hatte sich die Situation verschlechtert. Ein Tiefpunkt wurde Mitte der 90er-Jahre erreicht, als Überschwemmungen die ohnehin angespannte Nahrungsmittelsituation vollends aus dem Gleichgewicht brachte und zu Hungersnöten führte.
Heute versorgen 3000 Kooperativen die Bevölkerung über ein staatliches Verteilsystem mit Nahrungsmitteln. Die Versorgung genügt kalorienmässig, aber nicht in Bezug auf die Ausgewogenheit. Es fehlen Fette und vor allem Vitamine. Die Produktion ist insgesamt wenig mechanisiert, weitgehend manuell, und sie leidet unter den Sanktionen vor allem in Bezug auf Dünger und Brennstoffe.
Auf diesem Hintergrund gewinnen Hausgärten, in Städten zunehmend auch Balkongärten, und entsprechender Tauschhandel an Bedeutung. Das alles, also sowohl privat bewirtschaftete Hausgärten als auch Tauschhandel, ist toleriert. Geld und eigentliche Bauernmärkte spielen eine zunehmend wichtige Rolle.
Hoher Bildungsstand
In Nordkorea ist Analphabetismus kein Thema. Es gehen wirklich alle Kinder und Jugendlichen zur Schule. In dieser Hinsicht gibt es keine Unterschiede zwischen Knaben und Mädchen. Das Niveau des Bildungssystems ist generell hoch, wenn auch technologisch nicht auf dem neusten Stand.
Die Schweiz in Nordkorea
Die Schweiz pflegt seit 1974 diplomatische Beziehungen mit Nordkorea. 1995, nach dem Ende der Sowjetunion und nach den grossen Überschwemmungen verbunden mit Nahrungsmittelknappheit, eröffnete die DEZA ein Landesbüro und lancierte eigene Programme. Diese konzentrierten sich auf die Förderung nachhaltiger Landwirtschaft (v.a. an Steilhängen) sowie auf den Ausbau von Wasserversorgung und die Verbesserung der Siedlungshygiene. Zusätzlich gelangt über das Welternährungsprogramm der UNO Schweizer Milchpulver nach Nordkorea. Das wird lokal zu protein- und vitaminreicher Nahrungsergänzung verarbeitet. Gemäss einem Beschluss des Parlaments führt die Schweiz seit 2012 in Pyongyang nur noch ein Büro für Humanitäre Hilfe, und auch die Lieferung von Milchpulver wird eingestellt. Käthi Zellweger bedauert diese politischen Entscheide. KorAid Limited Heute führt Käthy Zellweger ihr eigenes Hilfswerk in Hongkong. Dabei konzentriert sie sich auf ausgewählte Handlungslinien:- Kinderheime: Bau von Treibhäusern als Beitrag zu einer ausgewogenen Ernährung und Lieferung von Schulmaterialien.
- Menschen mit körperlichen Behinderung: Aufbau von Produktionsstätten für die Herstellung von Arm- und Beinprothesen.
- Menschen mit geistiger Behinderung: Ausbildung von Personal zur Betreuung von Menschen mit geistiger Behinderung.
- Augenoperationen: Finanzierung von Staroperationen. Eine solche Operation bewahrt Menschen vor Blindheit und kostet gerade einmal CHF 6.- pro Eingriff. Augenerkrankungen nehmen als Spätfolge der Unterernährung während Hungerkrisen Mitte der 90er-Jahre zu.