«Musik half, die schweren Zeiten zu überstehen»

02.03.2012 | Erich Gmünder
HMT buL_rgermusik 1928

Zwar feiert die Harmoniemusik Teufen dieses Jahr ihr 100-jähriges Bestehen, aber eigentlich ist sie 17 Jahre älter. Das erfährt man in der Jubiläumschronik, welche Eduard Brun anlässlich des Jubiläums um die letzten 25 Jahre bereichert hat.

Bürgermusik Teufen 1928 vor der Kirche…

unter ihrem legendären Dirigenten Josef Brändle, seines Zeichens Organist und Musiklehrer. Er leitete bereits die Teufner Vorgänger-Musik von 1895 bis zur Auflösung 1911 und dann ab 1912 bis 1932 die neue Bürgermusik Teufen.


… und die Harmoniemusk Teufen 2012 im Foyer Lindensaal       Foto: HS

 

TP: Aus der Chronik geht hervor, dass es bereits 1895 eine Bürgermusik Teufen gab. Warum feiern Sie denn erst jetzt das 100- Jahr-Jubiläum?

Eduard Brun: Eigentlich gehen die Ursprünge sogar noch weiter zurück. So las ich in einem alten Schreiben: «Wer erinnert sich nicht mit Freuden an die herrliche Teufener Blechmusik von anno dazumal (um 1840)!» Viele Jahre später rafften sich wieder einige Männer auf und gründeten 1895 eine «Bürgermusik ». Mit dem tüchtigen Organisten Josef Brändle besuchte diese bereits 1897 das Volksmusikfest in Rapperswil, erreichte den 2. Rang und brachte einen Silberbecher nach Hause.

Offenbar führte dieser Becher sogar zu einem veritablen Streit?

Um 1911 wurde in der Bürgermusik heftig gestritten und der Verein wurde schliesslich aufgelöst. Am 9. Dezember 1912 wurde unter Führung von E. Kostezer die heute jubilierende Musik neu gegründet. Eine andere Gruppe gründete um 1914 die Blasmusik «Alpenrösle», welche fand, dass ihr der Silberbecher gehöre. Der Streit wurde dann vor dem Vermittler beigelegt. 1921 fanden die beiden Vereine wieder zusammen und traten fortan als Bürgermusik Teufen auf.

Sie schildern den damaligen Dirigenten Josef Brändle als wahres Musikgenie. Was war denn bei ihm so aussergewöhnlich?

Wie erwähnt fiel er bereits am Musikfest 1897 positiv auf. Er galt als vielseitiger Musiker und begnadeter Pädagoge. So war er gleichzeitig als Organist und Komponist tätig, leitete das Orchester und die Blasmusik und bildete sowohl die angehenden Streicher wie die Bläser aus – eine seltene Kombination.

 Gab es später noch weitere Charakterköpfe, welche die Geschichte prägten?

1935 übernahm der Teufner Berufsmusiker Peter Juon als junger Dirigent das Musikkorps. Er integrierte 1936 die Holzblasinstrumente, wodurch Teufen von der reinen Blechbesetzung zur Harmoniemusik wechselte. Peter Juon vertonte auch das von Georg Thürer-Tobler gedichtete «Tüüfnerlied », das 1979 am Jubiläum «500 Jahre Gemeinde Teufen» aufgeführt wurde.

Aussergewöhnlich ist die Geschichte von Hans Preisig. Er war ein musikalisches Naturtalent. Da er kein Geld hatte, um ein Instrument zu kaufen, bastelte er aus feinen Abfalldrähten «Saiten» und spielte auf dem selbst erfundenen Musikinstrument. Leute, die auf seine Musikalität aufmerksam geworden waren, schenkten ihm dann eine Violine, auf der er nach Gehör diverse Melodien fidelte. Später erlernte er auch Trompete, Horn, Posaune sowie die Tuba und übte zusätzlich Cello und Kontrabass. Er hielt den Teufner Musikanten die Treue, war ihnen eine starke Stütze und war als Dirigent da, wenn es kriselte.

Um die Jahrhundertwende entstanden viele ähnliche Vereine. Was gab damals den Ausschlag zu diesem Boom?

Die zunehmende Industrialisierung anfangs des 20. Jahrhunderts führte zu einem gewissen Wohlstand. War das Spielen von Musik bis jetzt eher höheren und reicheren Volksschichten vorbehalten, waren die Instrumente jetzt auch für einfachere Bürger erschwinglich. Die militärischen Feldspiele mit ihren Marschmusikparaden und Konzerten, die Musikanlässe von Stadtmusiken, die Transkriptionen von Orchesterliteratur für die Blasmusik sowie erste Originalkompositionen für Blechbläser förderten das Entstehen kleinerer Musikvereine landauf und landab. «Kein Dorf ohne Musik» wurde beinahe zum Wahlspruch. Musik berührte den Zeitgeist. Und sie durchdrang vor und nach der Jahrhundertwende um 1900 das kulturelle Lebens- und Wertegefühl.

«Musik kann befreiend auf das Innenleben wirken und dazu beitragen, eine graue Zeit in milderndem Licht zu sehen.»

Diese Wahrnehmung verstärkte offenkundig die Demokratisierung des Bildungs- und Kulturwesens. Noch viele kennen den Ausdruck «Dort drüben aber ist die Musik noch im Dorf», was auf das Wohlergehen des Volkes hinweist.

Festumzug Appenzeller Gewerbe-Ausstellung 1937 (11.9. – 4.10.1937)

Auf dem Höhepunkt der Wirtschaftskrise vor dem 2. Weltkrieg wurde 1937 in Teufen eine grosse kantonale Gewerbeausstellung veranstaltet. Die Harmoniemusik war sowohl beim Festspiel wie beim Festumzug aktiv dabei.

Gleichzeitig suchte man Gemeinschaft, um miteinander die schweren Zeiten des Weltkrieges, den man kommen sah, zu überstehen. Musikvereine waren willkommen, kann Musik doch befreiend auf das Innenleben wirken und dazu beitragen, eine graue Zeit in milderndem Licht zu sehen.

Die letzten 100 Jahre waren von einem ständigen Auf und Ab gekennzeichnet. Können Sie zwei, drei Höhe- oder Tiefpunkte skizzieren?

Zu den Highlights der Harmoniemusik Teufen zählen bestimmt die Besuche der letzten vier eidgenössischen Musikfeste in Winterthur, Fribourg, Luzern und St. Gallen, aber auch all die grossen Feste, wie Uniformen- und Fahnenweihen, gelungene Unterhaltungsabende und viele Musikgrüsse, die wir in Ständchen, Kirchen- und Platzkonzerten der Bevölkerung und den Behörden, insbesondere auch den Betagten und Behinderten, überbringen durften.

Neuinstrumentierung 1972

Zum 60-jährigen Jubiläum wurden neue Instrumente angeschafft. Nicht nur bei den Instrumenten in der Farbe Silber hielt man sich an die damals herrschende Mode, sondern auch bei den Rocklängen der Damen.

«Wir Teufner haben das Glück, dass die Frauen heute in der Mehrheit sind.»

Während meiner Zeit in der Harmoniemusik erlebte ich kaum wirkliche Tiefpunkte. Am schwierigsten waren die Jahre 2004 bis 2010, wo wir vier Dirigenten hatten. Meistens führten emotionale Differenzen zur Trennung: Musik ist und bleibt Emotion pur!

1965 wurden gemäss Ihrer Chronik erstmals zwei Frauen aufgenommen, heute sind sie in der Mehrheit. Was sagt uns diese Entwicklung?

Das Bild der Frau hat sich geändert. Sie ist nicht mehr nur die «Ehefrau am Herd!» Durch die vermehrte Arbeitsteilung kann die Frau ihre Aufgaben in Beruf und in der Familie verbinden. Das erlaubt es auch, am Vereinsleben teilzunehmen, wenn auch nicht immer unter den leichtesten Bedingungen, wenn ich an Mütter mit Kindern denke. Wir Teufner haben das Glück, dass die Frauen heute in der Mehrheit sind. Sie engagieren sich nicht nur als aktive Musikantinen, nein, sie stellen sich auch für zusätzliche Vereinsarbeiten zur Verfügung. So führt der Präsident gegenwärtig den Vorstand zusammen mit vier Frauen. Möge dies noch viele Jahre so bleiben!

Auch Ihr Verein spürt den gesellschaftlichen Trend zur Individualisierung mit den entsprechenden Nachwuchsproblemen. Gibt es die Harmoniemusik in 25 Jahren noch?

Solange Dorfgemeinschaften bestehen, wird auch die Harmoniemusik nicht untergehen. Wir haben ja auch die öffentliche Musikschule MSAM (Musikschule Appenzeller Mittelland) mit Sitz in Teufen. Wir stehen in stetem Kontakt mit den Lehrkräften und hoffen, vermehrt Jugendliche für ein Blasinstrument zu begeistern. Wir dürfen aber nicht vergessen, dass die Nachwuchsprobleme vor allem die Jugendlichen in ihrer intensiven Ausbildungszeit betreffen. Da sind sie echt herausgefordert oder gar überfordert. Ein Mitmachen im Verein ist deshalb oft unmöglich.

«Wir hoffen, vermehrt Jugendliche für ein Blasinstrument zu begeistern.»

Nicht selten hört man vom projektorientierten Mitspielen. In diesem System wäre man nicht mehr vereinsgebunden. Dies entspräche nicht mehr dem Sinn des Vereins, der da ist, um die kirchlichen und weltlichen Anlässe des «Dorfes» mitzugestalten, zu umrahmen und zu verschönern und die Gemeinschaft zu pflegen.   Interview: Erich Gmünder

Eduard Brun
Jahrgang 1934, geboren und aufgewachsen in Emmenbrücke LU
Erstberuf: 1957 Primarlehrer
Weitere Ausbildungen: 1970 Diplom für Sonderschullehrer am Heilpädagogischen Institut der Universität Freiburg; 1972 Dirigentenkurs, Eidgenössischer Musikverein; 2002 Theologisches Studium in Chur, Abschluss 2005.
Heute tätig als: Führer in der Stiftsbibliothek St. Gallen; Mithilfe in der kath. Pfarrei Teufen, Klarinettenunterricht in Teufen.
In Teufen seit: 1989
In der Harmoniemusik seit: 1991
Hobbys: Musizieren, Lesen, Schreiben, Wandern, Schwimmen usw.

 

 

MG Alpenrösle 1914 vor der Kirche

Die Musikgesellschaft Alpenrösle im Jahre 1914, gegründet von einigen abtrünnigen Teufner Musikanten. 1921 wurde diese Formation mit der Bürgermusik vereinigt, nachdem man sich zuvor wegen des silbernen Preisbechers vom Volksmusikfest 1897 in Rapperswil heftig gestritten hatte.

 

 

Plakat vom Aschermittwoch-Ball

Zwischen 1938 und 1958 führte die Harmoniemusik jeweils im Lindensaal einen grossen Aschermittwoch-Ball durch. Dank guter Tanzmusik und ausgelassener, fasnächtlicher Stimmung war der Anlass über die Region hinaus sehr beliebt.

Fahnenweihe 1949

Mit einem grossen Fest auf dem Zeughausplatz wird am 14. August 1949 mit sieben Musik-Vereinen aus der Nachbarschaft die erste Fahne der Harmoniemusik eingeweiht. Nach dem Musikfest in St. Gallen von 1948 ärgerten sich die Teufner Musikanten, dass der Lorbeerkranz nicht an eine Fahne gehängt werden konnte. Sie starteten eine Sammlung, welche in kurzer Zeit den Betrag von 2000 Franken ergab.

1987 mit Dirigent Roland Bieri

Die rot-schwarze Uniform von 1965 hielt 27 Jahre. Hier das Orchester im Jahre 1987, welches unter Roland Bieri am Eidg. Musikfest in Winterthur sehr gut abgeschnitten hatte.


1992 Marschmusik durchs Dorf Teufen

1992 wurde die neue Uniform in den Teufner-Farben mit einem grossen Fest auf dem Zeughausplatz und einer Marschmusik-Demonstration eingeweiht. Das neue Kleid wurde mit Spenden der Bevölkerung finanziert und wird auch beim Jubiläum 2012 mit Stolz getragen.

In neuer Uniform auf der Lindenbühne

1996 unter dem Dirigenten Thomas Dietziker stieg die Mitgliederzahl auf über 40 Leute an. Hier im Lindensaal in der neuen Uniform.

Neue Fahne von 1999

Die neue Fahne von 1999 wurde nach dem Sieger- Entwurf aus dem Zeichnungswettbewerb an den Teufner Schulen angefertigt. Grosszügig finanziert vom Patenpaar Peter und Mägi Gähler.

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