Ende September hatte der neue Film des Teufner Dokumentarfilmers Thomas Lüchinger Premiere: GUETS NEUS – schö, wüescht, schö-wüescht. Thomas Lüchinger setzt damit dem Silvesterklausen ein Denkmal. Der Filmemacher wohnt seit 2005 in der Hautete bei Niederteufen und stiess dort per Zufall auf das Brauchtum, als er und seine Familie im November 2008 von einem Spass-Klausenschuppel aufgesucht wurden.
TP: Ihr jüngster Film begann quasi vor der Haustüre. Dachten Sie sofort daran, einen Film zu drehen?
Thomas Lüchinger: Nein, ich resp. wir alle waren einfach sehr berührt, als zur Einweihung unseres Anbaus plötzlich Schellen und Klausenzäuerli vor dem Haus zu hören waren. Ernst Meier, ein leidenschaftlicher Chlaus aus der näheren Umgebung, wollte uns Glück für unser Haus wünschen. Aus diesem Geschenk hat sich eine Beziehung entwickelt. So konnte ich ganz aus der Nähe miterleben, was Chlausenfieber heisst. Dabei hat sich die Idee, das gelebte Brauchtum meiner neuen Freunde filmisch zu dokumentieren, langsam entwickelt.
Wie hat sich Ihr Bild von den Menschen unter den Silvesterhauben bei Ihrer Arbeit verändert?
Durch die Nähe wurde mir bewusst, dass dies kein bäuerlicher Brauch ist. Da hatte ich eine falsche Vorstellung.
«Mich interessiert, wie Menschen in der heutigen Lebenswirklichkeit ihre kulturellen Wurzeln pflegen.»
Ein Vortrag von Hans Hürlimann, dem grossen Klausenkenner aus Urnäsch, trug dazu bei, dass ich das Klausen in einem viel grösseren Kontext sehen konnte. Im Laufe des Filmens wurde mir deutlich bewusst, dass es nicht einfach darum geht, an diesen beiden Silvestertagen eine ästhetische Form zu pflegen, sondern mit Leib und Seele den Übergang vom Alten ins Neue zu leben. Was mich sehr beeindruckt hat, ist, dass die Klausenschuppel auch während des Jahres, besonders auch durch den Gesang, die Gemeinschaft pflegen.
Schö, wüescht, schöwüescht ist nach Johle und Werche bereits Ihr zweites Werk, das sich mit dem Brauchtum rund um den Säntis befasst. Was fasziniert Sie an diesem Thema?
Mir geht es nicht primär um das Brauchtum an sich. Bereits bei „Johle und Werche“ ging es mir vor allem um die Menschen. Ich habe dort während Monaten auf der Alp Selun im Toggenburg gelebt, den Stall gemistet, den Alltag mit dem Senn Hansruedi Amman geteilt. Dabei sind die Aufnahmen entstanden, die dann wesentlich den Film ausmachten. Mich interessiert, wie Menschen in der heutigen Lebenswirklichkeit ihre kulturellen Wurzeln pflegen. Bei beiden Filmen habe ich Menschen angetroffen, die ganz im Jetzt leben und gleichzeitig eine starke Beziehung zur Tradition haben. Es war nie meine Absicht, Filme zur Folklore zu realisieren. Vielmehr konnte ich, dadurch, dass ich – mehr durch Zufall – damit in Berührung kam, in diesen Kulturformen etwas Geheimnisvolles und Einzigartiges entdecken, das eine sehr grosse, Grenzen sprengende Kraft entfalten kann, wenn es nicht ideologisch vereinnahmt wird. Die Urwüchsigkeit, das Urchige kommt offenbar beim Publikum an.
Ist die neu erwachte Freude an der Folklore mehr als nur eine vorübergehende Modewelle?
Ich denke, dass viele Menschen den Kontakt zu ihrem Wurzeln weitgehend verloren haben, ja sie sogar ablehnen. Sie suchen Identität in den Formen des Zeitgeistes. Gleichzeitig gibt ihnen der Zeitgeist keinen Halt, da er schnelllebig und eben nicht nachhaltig ist. Man wird dann gezwungen, immer neue Formen zu adaptieren, die das Gefühl vermitteln sollen, «Ich» zu sein. Auf die Dauer kann das nicht gut gehen. Da beginnen die Menschen wieder nach dem Eigenen zu suchen. Ich glaube nicht, dass das eine Modewelle ist. Es ist der Ausdruck eines echten Bedürfnisses, etwas Authentisches zu erleben. Allerdings: Wenn das Interesse an diesen traditionellen Dingen so gross wird, dass die Menschen in Scharen kommen, um diese Gefühle zu erleben, muss man aufpassen, genau dieses Authentische dadurch zu verlieren, indem es nicht mehr einfach gelebt, sondern vorgeführt wird. Vielleicht kann da der Film auch eine Inspiration sein.
Bleiben Sie bei Ihrem nächsten Werk dieser Thematik treu?
Ich habe eigentlich nie Themen gesucht. Sie kamen zu mir. Dokumentarisches Schaffen bedeutet für mich auch, etwas festzuhalten, was Gefahr läuft, zu verschwinden. Ich möchte gerne einen Film machen, in dem meine Enkelkinder einmal sehen können, wie Menschen vor ihnen gelebt haben, wie verschieden dieses Leben von ihrem war und wie sie gleichsam ihr Leben auf genau diesem Leben aufbauen. Aber im jetzigen Augenblick muss ich mich erst einmal von den Anstrengungen zur Fertigstellung von GUETS NEUS erholen.
Interview: Erich Gmünder
Zur Person:
Thomas Lüchinger wurde 1953 in Oberriet geboren. Ausbildung zum Lehrer für bildnerisches Gestalten an der Schule für Gestaltung Luzern. Freischaffende künstlerische Tätigkeit. Dozent an der ETH Zürich, an der ZHdK (Hochschule für Gestaltung und Kunst Zürich) an der Pädagogischen Hochschule St. Gallen. Seit 1998 freischaffender Filmemacher und Prof. für Kunstdidaktik an der Pädagogischen Hochschule Zug. Wohnt seit 2005 in der Lustmühle/Niederteufen. Verheiratet mit Catherine de Clercq, Vater von 1 Kind.
Schö, wüescht, schö-wüescht
Im Film begleitet Thomas Lüchinger verschiedene Schuppel vorwiegend in Urnäsch und Umgebung und spricht mit jungen und älteren Kläusen über den Brauch, seine Herkunft, ihre Beziehung dazu. So erzählen zwei betagte ehemalige Kläuse wie der 91jährige Walter Waldburger aus Stein (Bild) oder der 92 jährige Migg Fässler aus Urnäsch, welche Rolle der Brauch in ihrer Jugend gespielt hat und immer noch im Leben ihrer Familie spielt. Neben den stimmungsvollen und farbenprächtigen Aufnahmen gehören diese Szenen zu den ergreifendsten im Film. Der Film läuft ab 22. September im Kino Scala, St. Gallen EG
Hier geht’s zum Trailer auf Youtube httpv://www.youtube.com/watch?v=LCMck9u4w4M
Der Film Silvesterklausen läuft am 11. Januar im Schweizer Fernsehen SF in Filmszene Schweiz – zum Programmhinweis