Die 10. Sonntagsrede auf der Wanderbühne Ledi zum Kantonejubiläum AR°AI 500, die bis am Sonntag vor dem Zeughaus in Teufen stand, war eine veritable Kabarettnummer mit Tiefsinn. Jeanne Devos und Karin Enzler schimpften und schwärmten frisch und frech über die Arbeit auf den Brettern, die die Welt bedeuten könnten.
Monica Dörig
Zuerst entbrannte ein neckischer «Zickenkrieg», weil die Eine die Technik auf der Bühne «halbbatzig» installiert hatte und die Andere im österreichischen Dirndl antanzte. Das Gedenken an die 500-jährige Mitgliedschaft der beiden Appenzell in der Eidgenossenschaft artete in schmachtende Andacht bei Kerzenschein und Gekabbel um die korrekte Aussprache des Textes von «Appezöllerländli, du» aus.
«Es geht um Inhalt, nicht um Form» schleuderte Jeanne Devos ihrer Bühnenpartnerin Karin Enzler an den Kopf, bevor beide fluchend wie Fuhrknechte einander buchstäblich in die Haare gerieten – fluchend wie sie nur Appenzeller Mundwerke so bildgewaltig und verquer gebärden können.
Die beiden jungen Schauspielerinnen aus Heiden und Appenzell haben im vergangenen Jahr den Förderpreis der IBK (Internationale Bodenseekonferenz) erhalten und für die Sonntagsrede auf der Ledi ein Gerüst zum Thema Bühne im Jahr 2033 gezimmert, auf dem sie munter und furchtlos herumturnten.
Keine Angst vor Tabus
Sie nahmen in ihren mit metaphorischen Sätzen gespickten Improvisationen den heiligen Hierig übermütig auf die Schippe, teilten Ohrfeigen aus, zitierten Hamlet und Ophelia. Die beiden beherrschen ihr Handwerk und werden doch wie ihre Schicksalsgenossinnen auf den Bühnen, die angeblich die Welt bedeuten, immer noch gern als Heulsusen und «sexy Objekte» inszeniert.
Denn wie die richtige Welt wird auch die Theaterwelt vor allem von Männern regiert. Dabei hätten gäbe es so tolle Vorbilder. Zum Beispiel die Appenzeller Frauen, die ihren Männern beigesprungen waren, um das Land von fremden Tyrannen zu befreien.
Mit einem Konzentrat aus der Geschichte der Appenzeller Frauen und kleinen Exkursen zu Schauspieler-Tricks bewiesen sie, dass auch sie bärenstarke bluthungrige Heldinnen sein könnten, dass sie am Beispiel der Wallholzpolitik der Appenzellerinnen jedem Bartli zeigen könnten, wo er denn den Most zu holen hätte.
Düstere Aussichten, fromme Wünsche
Der Blick in die Zukunft war düster und zwiebeltränenverhangen: Die Theaterabonnenten werden bald einmal aussterben, Schauspieler durch Tiere und Statisten ersetz; eine letzte Blüte erlebe das Theater vielleicht mit politisch korrekten Real-Akteuren, wie beispielsweise Menschen mit Handicap oder Randständige.
Und dann kann man das Geld, das dieses Konstrukt von «Ich tu so als ob und ihr schaut zu» verschlingt, gewinnbringender in den Tourismus investieren. Und die Schauspielerinnen verlegen sich auf Coaching, Gastronomie und Promotion oder Heiraten kreativ.
Das Publikum hatte dem keine positive Utopie entgegenzusetzen, und so versuchten die beiden Betroffenen bei schnulziger Atmosphäre Visionen zu generieren. Vermicelles müsste es bei Theatervorstellungen geben, fantasierten sie, gratis Biberli und Bio-Früchte. Gastspiele müssten sie in die Weltmetropolen führen, Weiterbildungen müssten subventioniert werden und endlich würden sie gut verdienen, auch in der Schweiz. Und endlich würde ihr Beruf wirklich anerkannt und keiner würde mehr dumme Fragen stellen.
«Theater wird im Jahr 2033 der Ort sein, wo alle miteinander etwas aufbauen und gleichberechtigt arbeiten.» «Mehr Demokratie!» «Mehr Konfetti!» Kuss. Vorhang. Und ganz viel Applaus.