Timo Züst
Hofläden mit Selbstbedienung basieren auf Vertrauen. Die Betreiber verlassen sich darauf, dass die Kunden ihre Waren auch bezahlen. Die Praxis zeigt aber: Längst nicht alle halten sich daran. Auch beim Mühltoblerhof kennt man dieses Problem.
An der Wand neben der elektrischen Schiebetür hängt ein laminiertes A4-Papier. Es ist eine Zusammenfassung eines Artikels der Online-Plattform „FM1 today“. Der Inhalt: Die Betreiber eines Hofladens in Roggwil (TG) erzählen von häufigen Besuchen unehrlicher Kunden. Immer wieder würden Waren nicht vollständig bezahlt oder es wird gar Geld aus der Kasse entwendet. Edi und Ruth Tanner vom Mühltoblerhof haben es sich nicht nehmen lassen, unter dem Artikel in Rot einen persönlichen Kommentar zu hinterlassen: „Dieser Artikel macht uns sehr nachdenklich. Sehr schade. Wir vertrauen Ihnen, unseren Kunden und hoffen, wir werden nicht enttäuscht. Allerdings werden wir vermehrt auf die Kamera schauen. Vielen Dank, dass Sie zu unseren Kunden gehören und schätzen, was wir machen.“ Direkt daneben hängt schon seit der Eröffnung des Ladens vor drei Jahren der Vermerk: „Dieser Raum wird videoüberwacht.“ Denn ohne Sicherheitsvorkehrungen geht es nicht. Das mussten auch Edi und Ruth Tanner feststellen.
Einbruch und Diebstähle
Der Anruf der TP kam für Ruth Tanner nicht unerwartet: „Ich dachte mir, dass Sie sich nach diesen Medienberichten noch melden.“ Sie und ihr Mann Edi sitzen in der Garage ihres Hofs – rund 100 Meter hinter dem bekannten Lädeli. Hier begann einst das Projekt Hofladen. Später, als die Doppelgarage bei der Strasse einzustürzen drohte, entschieden sie sich für den Bau des heutigen, grosszügigen Ladens. „Das war schon ein rechter Lupf. Aber wir mussten uns entscheiden, ob wir noch einmal etwas bauen oder den Bereich aufschütten wollen. Da haben wir die Chance genutzt“, so Edi Tanner. Heute wissen die beiden: Die Investition hat sich gelohnt. Der Laden läuft immer besser. „Ohne diese Aufgabe würde ich mir wohl eine Teilanstellung suchen“, so Ruth Tanner. Aber der Hofladen war keine reine Erfolgsgeschichte. Es gab auch negative Überraschungen. Denn auch wenn das Konzept der Selbstbedienung – längere Öffnungszeiten, weniger Präsenzzeiten – für Kunden und Betreiber Vorteile hat. Es gibt auch Risiken. „Bevor wir eröffneten, hatten uns viele gesagt: Das klappt nie. Da wird viel zu viel geklaut.“ Aber Ruth und Edi Tanner liessen sich von diesen Bedenken nicht von ihrem Plan abbringen – sie hatten Vertrauen in ihre Kundschaft. Im ersten Betriebsjahr kamen aber auch bei ihnen Zweifel auf. „Erst war da dieser Einbruch am 17. Februar 2016 und bald darauf gleich mehrere Diebstähle. Da kommt man schon ins Grübeln“, so Ruth Tanner.
Am Internet-Pranger
Essenziell für den erfolgreichen Betrieb des Hofladens sind die Videokameras. „Uns war von Anfang an klar, dass es die braucht. Man darf nicht naiv sein“, so Ruth Tanner. Das Problem: Ohne die Aufnahmen könnten sie nie prüfen, ob ihre Kunden wirklich den vollen Betrag bezahlen. Insbesondere beim Gemüse (selbst gewägt) oder den Eiern (pro Stück) ist die Kontrolle sogar mit den Kamera-Bildern schwierig. Aber: „Beim Betrachten der Videoaufnahmen merkt man schnell, wenn sich jemand verdächtig verhält“, so Edi Tanner. Man spürt seinen Ärger, wenn er von den Zwischenfällen und Diebstählen erzählt. Er hat auch keine Berührungsängste mit dem sogenannten „Internet-Pranger“. Vor eineinhalb Jahren stellte er das Foto eines Mannes auf Facebook und schrieb dazu: „Kennt jemand diesen Herrn? Er hat etwas vergessen.“ Eine gute Woche nach dem Zwischenfall tauchte die Person wieder im Laden auf. Und verhielt sich so, als würde er erneut ohne zu bezahlen verschwinden wollen. „Auf den Aufnahmen sieht man, wie er dann den Anschlag von sich selbst neben der Kasse gesehen hatte. Plötzlich bezahlte er beide Einkäufe blitzschnell.“ In solchen Fällen reagieren die Tanners immer gleich: Sie erstatten Anzeige und stellen der Polizei das Videomaterial zur Verfügung. Bisher wurden alle Täter ermittelt. Aber die beiden wissen auch: Alles sehen sie nicht. „Natürlich gibt es eine Grauziffer. Aber wir können schlicht nicht jeden Einkauf kontrollieren. So ein Hofladen ist und bleibt eine Vertrauenssache.“
Gute Lage
Die negativen Erfahrungen haben die Tanners erstaunt und verärgert. Aber sie sind glücklicherweise nach wie vor die Ausnahme. „Wir haben es hier definitiv besser als im Thurgau oder am Stadtrand“, so Ruth Tanner. Die etwas abgelegenere Lage ist aus ihrer Sicht ein Vorteil. Wer hier einkaufen will, fährt den Laden gezielt an. Liegt ein Hofladen hingegen an einer stark frequentierten Stelle kommen „Zufallsdiebstähle“ wohl häufiger vor. Und sowieso: Sie sind überzeugt, dass fast alle Kunden den vollen Preis bezahlen – und einige vielleicht sogar ein Trinkgeld dazulegen. „Diese Aufrichtigkeit gehört auch etwas zu unserer Region.“