Ma(h)lzeit

01.03.2024 | Nerina Keller
zeughaus29-18
Lilia Glanzmann, Harlis Schweizer Hadjidj, Jeanne Jacob, Klodin Erb, Stefan Inauen, Anna Diehl, Bianca Baradun und Thea Gvetadze (v.l.n.r.) sprechen über Zeit und Malerei.

Im Februar fand im Zeughaus ein Experiment statt. Stefan Inauen aus Appenzell und Thea Gvetadze aus Tiflis waren während dieser Zeit dort zu Gast, um zu malen. Am 29. Tag des Monats, dem Schalttag, gaben sie Besuchenden einen Einblick in ihr Schaffen. Nebst der Enthüllung der entstandenen Bilder und einem Austausch unter Kunstschaffenden darüber, was «Zeit» für sie und die Malerei bedeutet, war auch für das leibliche Wohl gesorgt. Mit einer wärmenden Suppe und frischem Brot.

Lilia Glanzmann freut sich. «Das ist doch was besonderes, diesen Tag gibt es nur alle vier Jahre.» Der 29. Februar, ein geschenkter Tag. Und auch der Tag, an dem ihr «Experiment» endet. «Wir wollten einfach mal etwas anderes ausprobieren.», sagt die Zeughaus-Kuratorin. Zwei Kunstschaffende einladen, ihnen die Möglichkeit geben, den Ausstellungsraum zu gestalten. Und dabei über Zeit reden. Ein Abend für die Sinne. Entsprechend ist die Vernissage auch zusammengefasst.

Sehen:

Nachdem die «Gaffa-Hecke» den freien Blick ins Mittelgeschoss des Zeughauses versperrt hat, ist der Raum nach deren Abbruch an diesem Abend wieder in voller Grösse sichtbar. An den Wänden im Hauptsaal hängen acht grossformatige Bilder von Stefan Inauen. Auf schwarzem und weissem Untergrund hat er mit Spraydosen geometrische Formen angebracht. Entsprechend heissen die Bilder auch allesamt «still life with geometric forms». In einem der beiden kleineren Ausstellungsräumen sind nochmals Bilder vom Künstler aus Appenzell zu sehen. Die kleineren, quadratischen Bilder setzen sich zu einer Art Mosaik zusammen und strahlen mit den Farben eine gewisse Fröhlichkeit aus. Im anderen Nebenraum sind die beiden entstandenen Gemälde von Thea Gvetadze ausgestellt. Die dafür benötigten Skizzen hat sie aus ihrer Heimat mitgebracht. Auch diese hängen an der Wand. «Ich habe einen neuen Rekord aufgestellt. Normalerweise benötige ich mindestens drei Monate für ein einziges Bild. Jetzt habe ich zwei in einem Monat gemacht.» So die in Georgien lebende Künstlerin. Sie hat in Deutschland studiert und einige Jahre dort gelebt. Deshalb spricht sie sehr gut Deutsch.

Die Künstlerin Thea Gvetadze

Die aus Riga stammende Künstlerin war zuvor noch nie in der Schweiz. Für die Zeit im Zeughaus ist sie beim Kuratoren-Paar Lilia und David Glanzmann unterkommen. Sie kommt ins Schwärmen, als sie den Weg von deren Wohnung ausserhalb Teufens ins Zeughaus beschreibt. Auf die Frage, ob sie sich ein bisschen verliebt hat, antwortet sie mit einem Lachen. «Ganz eindeutig habe ich mich verliebt. So ein Ort ist keine Selbstverständlichkeit. Nicht einmal in der Schweiz.»

Sie malt, seit sie 14 Jahre alt ist. Bei ihrer Grossmutter, die eine bekannte Künstlerin war, habe sie einst heimlich eine Skizze angebracht. «’Du bist eine Künstlerin’, hat sie zu mir gesagt, als sie die Zeichnung gefunden hat.» Damit habe sie sozusagen ihre Berufung gefunden. Über das kreative Handwerk spricht sie begeistert, aber nicht beschönigend. «Natürlich muss ich mich auch manchmal zwingen, zu malen.» Es sei nicht Realität, jeden Morgen von der Muse geküsst zu erwachen. Sie malt auf schwarzem Samt und beschreibt das Malen als Ausdruck des Menschlichen und des Psychologischen. «Daran hängt doch die Malerei.»

Die Geschichte über ihre Urgrossmutter, die sie in einem der Bilder festgehalten hat, berührt das Publikum. Sie erzählt, wie sie als achtjähriges Mädchen während der Schulferien bei ihrer Grossmutter an der Küste des Schwarzen Meers zu Besuch war. Gemeinsam brachten sie der Urgrossmutter täglich warmes Essen. An einem Tag schickte die Grossmutter die kleine Thea zum ersten Mal allein auf den Weg. «Ich war unglaublich stolz. Zwei Kilometer, ganz allein, mit einem Korb voll Essen.» Beim Betreten des Hauses merkte sie schnell, dass etwas nicht in Ordnung ist. Oder einfach anders. «Meine Urgrossmutter lag nackt in ihrem Bett. Sie war frisch gebadet. Auf der kleinen Kommode neben ihr waren zerschlagene Eier und an ihrem Bein eine grosse Wunde. Sie hatte sich den Oberschenkel verbrüht.» Da entstand dieses Bild des über 90 Jahre alten Körpers, die Haut leuchtend, zart und schon am Vergehen. «Wir waren beide für einen Moment wie eingefroren.» Den Moment hat sie auf dem Gemälde im Zeughaus festgehalten: Anastasia Orjonikidze in der Erinnerung ihrer Urenkelin.

Hören:

Der Abend beginnt mit einem gemütlichen «Eintrudeln» der Gäste. Hier ein «Hallo, wie geht’s?», da ein «Schon lange nicht mehr gesehen …». Vor den Bildern gibt es den einen oder anderen Wortwechsel. Wer nicht am Gespräch beteiligt ist, kann kaum verstehen, was besprochen wird. Beim «Parlieren über Malerei und Zeit» dürfen dann alle lauschen. Klodin Erb, Anna Diehl, Bianca Baradun, Jeanne Jacob, Harlis Schweizer Hadjidj, Stefan Inauen und Thea Gvetadze sprechen mit Lilia Glanzmann über die Bedeutung von Zeit für deren Kunst. Sie unterhalten sich darüber, ob Kunst jemals zeitlos sein kann. Und wieviel Zeit es braucht, ein Bild zu malen oder ein anderes Kunstwerk zu fertigen. Klodin Erb will von ihren Berufskollegen wissen, ob diese sich auch in ihre Bilder «verlieben» und es kaum mehr erwarten können, am nächsten Tag wieder ins Atelier zu kommen. Anna Diehl widerspricht. Bei ihr sei noch fast häufiger das Gegenteil der Fall. «Nach einer anfänglichen Inspiration und einer Idee kommt bald mal eine erste Krise.» Und verlieben heisst auch nicht per se, «sein Werk einfach nur wunderschön zu finden». Auch beim Austausch der Kunstschaffenden wird klar: Zeit ist relativ.

Schmecken

Borschtsch, frisches Brot, Sandwiches und ein Zopfkrokodil mit «Schoggistängeli». Letzteres löst bei allen dieselbe Frage aus: «Wer wird sich trauen, das erste Stück davon zu nehmen?». Die Suppe wird gerühmt, Weisswein nachgeschenkt. Nach dem Gespräch gibt es einen Ausklang, bei dem weiterhin gegessen, getrunken und geplaudert wird.

Riechen und Tasten:

Von der Gemüsesuppe geht ein würziger Duft aus. Das Zeughaus riecht, wie ein Museum eben riecht. Irgendwie undefinierbar und wichtig. Von Farbe und Spraydosen ist nichts mehr wahrzunehmen. Für den Tastsinn gibt es an diesem Abend nicht allzu viele Herausforderungen. Wobei es ja spätestens ab dem dritten Glas Weisswein durchaus auch mal Sinn machen kann, sich irgendwo festzuhalten.

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