Alexandra Grüter-Axthammer
«Wir sind die Müllers», steht auf einem kleinen Schild an der Hauseingangstüre des Appenzellerhauses im Bächli. Hier wohnt Doris gemeinsam mit ihrem Mann Fritz und das seit genau vierzig Jahren. Im Garten stehen Sandsteinköpfe aus Teufner Sandstein und ein Paar übergrosse weisse Schuhe aus Alabaster.
Gefertigt hat Doris Müller die Kunstwerke eigenhändig. Seit zwanzig Jahren bearbeitet sie Stein. Steine mit Charakter, unterschiedlich in ihrer Farbe und Art, die sie mit diversen Werkzeugen bearbeitet. Sie arbeite gerne draussen und das sieht man ihr an. Ihre Hände und Arme sind kräftig und die Haut braungebrannt. Man spürt ihre Begeisterung für das Naturmaterial und das Ursprüngliche im Stein. Oft wisse sie zu Beginn nicht, welche Gestalt der Rohling annehmen werde. Während des Arbeitens entstehe aus der Form und der Zeichnung des Steins dann die Figur. Alles wirkt harmonisch dekoriert ums Haus und vor dem Pferdestall. Pferde gibt es hier seit einigen Jahren keine mehr. Davor besassen die Müllers eigene, direkt beim Haus. Das sei über viele Jahre ihre grosse Leidenschaft gewesen. Oft verbrachte die ganze Familie ihre Ferien auf geführten Reittouren. Amerika, Marokko oder Russland bereiste die Familie. Besonders gut gefallen habe ihr Afrika. Mit einer kleinen Reitergruppe waren sie unterwegs auf einer Reitsafari in Tansania, bis zu sechs Stunden am Tag seien sie geritten. Übernachtet wurde in Zelten. Die Tierwelt habe sie dort besonders beeindruckt. «Einmal galoppierten wir neben einigen Giraffen, das war wahnsinnig schön.»
Selbstbestimmt sein
Mathematik mag sie nicht, dafür aber Zeichnen. Das sei schon in der Schule so gewesen: «Ich tauschte jeweils mit Schulkameraden die Aufgaben. Ich zeichnete für sie und sie lösten meine Matheaufgaben.» Aufgewachsen ist die 70-Jährige gemeinsam mit vier Geschwistern in Moosbad bei Degersheim auf einem Bauernhof. Die Familie bewirtschaftete ausserdem ein Ausflugsrestaurant. Es habe immer viel zu arbeiten gegeben und besonders die Mädchen mussten auch an den Wochenenden im Restaurant mithelfen. Nach der Schule besuchte sie den gestalterischen Vorkurs in St. Gallen. Die vierjährige Lehre als Dekorationsgestalterin absolvierte sie bei Oscar Weber in Herisau. «Danach wusste ich nicht so recht, was ich machen will.» Sie sei frisch verliebt gewesen in Fritz Müller. Trotzdem wollte sie gerne einige Zeit allein leben und selbständig sein. «Ich wollte mein eigenes Zimmer, das hatte ich natürlich bisher nicht.» Sie entschied sich, nach Genf zu gehen, um Französisch zu lernen. Dort arbeitete sie in ihrem gelernten Beruf bei Grand Passage. Nach einem Jahr zog es sie zurück ins Toggenburg und zurück zu Fritz. In Lichtensteig bezogen sie ihre erste gemeinsame Wohnung und heirateten. Bei Jelmoli Wil arbeitete sie als Dekorateurin. «Fritz war Lehrer und hatte viel unterrichtsfreie Zeit, die wollten wir gemeinsam nutzen.» Also habe sie ihre Festanstellung bei Jelmoli Wil bald wieder aufgegeben. Sie machte sich selbständig und arbeitete für ein Atelier in Wattwil als Dekogestalterin. Beide haben ihr ganzes Geld für eine Südamerikareise gespart. Im Sommer 1974 fuhren sie mit dem Zug nach Genua, von dort aus ging die Reise mit dem Schiff weiter nach Rio de Janeiro in Brasilien, wo sie einige Wochen bei einem Freund wohnten. Per Anhalter, mit dem Zug, Bus und auch auf dem Pferd durch- querten sie während eines Jahres Südamerika bis nach Mexiko. «Alles Geld und Traveller Checks hatten wir in unserem Reisegurt verstaut und mit uns getragen.» Nach Teufen zügelte die Familie 1980. Mittlerweile waren die beiden Eltern geworden. Hier übernahm Doris Müller den Zeichenunterricht der Klasse ihres Mannes, an der Sekundarschule Teufen. Dreizehn Jahre arbeiteten die Beiden als Team und leiteten auch gemeinsam Klassenlager.
Enkelkinder vermisst
Sie mag die körperliche Herausforderung. «Sport ist mir genauso lieb wie Zeichnen und Bildhauen ». Viele Jahre war sie in der Läufergruppe und machte an verschiedenen Läufen mit. Dreimal auch am bekannten Münchner Marathon. Im Winter ist sie begeisterte Langläuferin und bestritt einige Male den Engadiner Skimarathon und einige kürzere Rennen. Mittlerweile fährt sie gerne mit dem E-Bike, doch ihr Tatendrang und die Freude am Unterwegssein sind immer noch spürbar. Einmal pro Woche fahren Doris und Fritz nach Rüschlikon zu ihrem Sohn und dessen Familie. «Wir hüten unsere Enkelkinder.» Und sie sei froh, dass das nun wieder möglich ist. Habe sie die Mädchen doch sehr vermisst während der Coronakrise.