Johann Ulrich Fitzi – Bildberichterstatter des 19. Jahrhunderts

01.04.2018 | TPoscht online
j.u
ƒ «Mein Haus in Teüfen. 1834», Federaquarell; gemeint ist das an der Nordseite des Hauses Dorf Nr. 16 (heute Helbling Reisen AG) angebaute und von Landammann Dr. Johannes Roth spätestens seit seiner Vermählung 1834 bis kurz vor seinem Tod bewohnte Haus, welches der 1869 für ihn an der Ostseite nebenan erbauten Villa weichen musste und auf Rollen nach Lortannen (Speicherstrasse Nr. 27) verschoben wurde. Kantonsbibliothek Trogen. Am kommenden Sonntag wird im Zeughaus die Ausstellung WALK THE LINE eröffnet. Im Zentrum stehen u.a. die Werke von Johann Ulrich Fitzi (1798-1855), dessen Zeichnungen als wichtige Quelle für das Ortsbild vieler Ausserrhoder Dörfer zu damaliger Zeit gelten. Wer war aber dieser J.U.Fitzi und welche Bedeutung hat sein Werk? Johannes Schläpfer* Galt in früheren Zeiten eine kolorierte Federtuschzeichnung von Johann Ulrich Fitzi als besonders wertvolles Schmuckstück so manchen Appenzellerhauses, musste ich bei der Geldbeschaffung für meine 1995 veröffentlichte Künstlerbiografie[1] vom Vertreter einer angefragten Stiftung die ablehnende Antwort mit der Begründung entgegennehmen: «Obschon die Unterlagen zum neuen Fitzi-Buch sehr ansprechend sind, glaube ich, offen gestanden, doch nicht, dass die Publikation einem Bedürfnis entspricht. Einerseits besitzen wir alle das sehr ansprechende Büchlein Jakob Altherrs[2], andererseits sind Fitzis Zeichnungen zwar schön, aber sie gehen nicht über die grosse Zahl gleicher biedermeierlicher Darstellungen des letzten Jahrhunderts hinaus.»[3] Inzwischen ist unbestritten, dass Fitzi dank seiner detaillierten, naturgetreuen Darstellungen einzelner Häuser, pittoresker Gebäudeensembles und stattlicher Dorfansichten als eigentlicher Bildberichterstatter der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts einen bedeutenden Platz einnimmt – für eine Zeit nota bene, in der die Fotografie zögerlich Fuss zu fassen begann. Kindheit und Schule in Teufen Vier Tage nach Ausrufung der Helvetischen Republik und der damit einhergehenden Gründung des Kantons Säntis mit Teufen als Hauptort des achten Distrikts mit Bühler, Gais, Speicher, Trogen, Stein und Hundwil erblickte am 16. April 1798 auf der Rüti bei Niederteufen Johann Ulrich Fitzi das Licht der Welt. Er war das vierte von sieben Kindern des Webers und Taubenhändlers, späteren Metzgers und Wirts Johann Konrad Fitzi und seiner Frau, Anna Barbara, geborene Hauser. Zum Zeichnen als Beschäftigung wird Johann Ulrich gekommen sein, indem er von seinem älteren Bruder Anleitungen dazu bekam. «Wenn der Knabe vom Hüten abends nach Hause kam, beschäftigte er sich mit Ausschneiden. Der Vettergötti hatte ihm einst eine Kuh ausgeschnitten, die freilich primitivster Art war. Nun versuchte der Kleine es nachzumachen und bald entstanden unter seiner Schere alle möglichen Tiere, welche ihrer Korrektheit wegen die Bewunderung von Gross und Klein erregten. Vom Ausschneiden geriet er auf’s Zeichnen von Figuren und Bäumen und als er einst aus einer Fabrik von einem Arbeiter einige Druckerfarben erhielt, verfertigte er sich aus dem Kiel einer Hennenfeder einen Pinsel, indem er ein Büschelchen von seinen Haaren einschob.»[4]
«Linde. o. J.», Bleistiftzeichnung teilweise mit Codes versehen, denen Farben und Tonwerte zugewiesen sind. Gebäude beschriftet mit «Gasthof zur Linde, Hotel du Tilleul». Kantonsbibliothek Trogen. Da öffentliche Schulen des beginnenden 19. Jahrhunderts zweifelhafter Pädagogen wegen nicht im allerbesten Ruf standen und die Eltern Johann Ulrich jene Erfahrungen ersparen wollten, welche sein älterer Bruder Johann Jakob beim für sein schlechtes Verhalten bekannten Lehrer Johannes Hörler in Niederteufen gemacht hatte, durfte dieser die Schule im Dorf besuchen. Gegenstand des Unterrichts waren Lesen, Schreiben, Katechismus, Rechnen und Singen, nicht aber Zeichnen. „Besonders vom Talent des kleinen Johann Ulrich scheint man bis in die Steinegg und nach Speicher hinüber gehört zu haben; denn nur so lässt es sich erklären, dass Bekannte von dort sich zusammentaten, um dem strebsamen Knaben zu ermöglichen, statt der ziemlich im argen liegenden Gemeindeschule eine Privatschule zu besuchen.“[5] Schritte in die Selbständigkeit Über die folgenden Lebensabschnitte des Jünglings sind wir dank Überlieferungen des St. Galler Kleinmalers Johann Daniel Wilhelm Hartmann recht gut informiert. «In neuerer Zeit erstand Johann Ulrich Fitzi, geboren 1798 in Bühler. Er fing ohne Anleitung zu zeichnen an, kam dann als Hausknecht zu Dr. Zollikofer in St.Gallen, der ihm nähere Anweisungen gab und auch im Malen mit Aquarellfarben unterrichtete und ihn zur Ausführung der Abbildungen eines Pflanzenwerkes brauchte.»[6] Der knapp Zwölfjährige muss mehrere Jahre im Dienste des bekannten Mediziners, Politikers und Richters gestanden haben, denn über seine Tätigkeit  weiss Emil Bächler folgendes zu berichten: «Wie wir von Daniel Meyer (Apotheker und Mitarbeiter Zollikofers mit eigenen Forschungsergebnissen) wissen, zeigte Fitzi, als er seinen Herrn eines Tages bei der Ausführung eines Pflanzenbildes antraf, ein auffälliges Interesse. Zur Rede gestellt, erklärte er, dass er sich auch etwas auf diese Kunst verstehe. Zum Beweis legte er einige Proben vor, die Dr. Zollikofer so gut gefielen, dass er den kaum zwanzigjährigen Diener gleich zu seinem Malgehilfen avancieren liess. Fitzi erwies sich als sehr begabter und begeisterter Schüler, der es an Genauigkeit und Eifer nicht fehlen liess.»[7] 1821 verliess Fitzi seinen Brotgeber und unternahm eine Reise in die Innerschweiz, welche ihre einzigen Spuren im Passregister hinterlassen hat: «N. 457, Dat. 25. Juni (1821), gültig 6 Monate, Name: Fitzi, Heimat: Speicher u Teufen, Beruf: Landschaftsmaler, Alter 23, Statur: schlank, Haare: hellbraun, Augen: blau, Nase: mittel, Kinn: lang, Gesicht: blaternmal; nach den innern Kantonen der Schweiz.»[8]
«Teuffen. 3. Juli 1854.», Federzeichnung teilweise mit Codes versehen, denen Farben und Tonwerte zugewiesen sind. Die Bauarbeiten des Artilleriezeughauses, dessen Abnahme am 29. Juni 1855 erfolgte, hält der am 15. Januar 1855 verstorbene Fitzi in einer seiner letzten Arbeiten nicht fest. Die Dorfansicht von Nordwesten gilt als selten. Kantonsbibliothek Trogen. Im Dienste namhafter Persönlichkeiten Nach seiner Rückkehr trat er in den Dienst diverser Trogener Persönlichkeiten. Als erstes fertigte er für das 1821 in einem Exemplar geschaffene Manuskript „Zeichnungen zur Appenzellergeschichte“ des Philanthropen Dr. h.c. Johann Caspar Zellweger eine Vielzahl von farbenprächtigen Darstellungen diverser Häusertypen und Landschaften an. Gleichzeitig war er auch für den gelernten Kaufmann und Kunstkenner Johann Konrad Honnerlag tätig, der ihn beauftragte, Ansichten sämtlicher appenzell-ausserrhodischen Gemeinden zu zeichnen. 1989 erhielt der damalige Nationalrat Herbert Maeder den Auftrag, für eine Ausstellung an der Olma den heutigen Zustand der von Fitzi porträtierten Dörfer zu fotografieren. Das Resultat war verblüffend. «Einige Appenzeller Dörfer haben – bei allen Veränderungen – ihren Charakter erstaunlich zu bewahren vermocht. Trogen zum Beispiel braucht sich fast 170 Jahre nach der Porträtierung durch Fitzi nicht zu schämen. Auch Wolfhalden, Gais oder Schwellbrunn können sich sehen lassen.
«Kirchenplatz in Teuffen 14. Oct. 1839 – Fitzi», Bleistiftzeichnung teilweise mit Codes versehen, denen Farben und Tonwerte zugewiesen sind. Kantonsbibliothek Trogen. An andern Dorfansichten werden die Scheusslichkeiten sichtbar, die die Moderne – wenn auch im Appenzellerland weniger als anderswo – den historisch gewachsenen Ortsbildern angetan hat. Im Fall von Grub zu Beispiel geriet Maeder auf der Suche nach Fitzis Standort mitten in eine moderne Einfamilienhaussiedlung, die von dem bekannten Einfallsreichtum heutiger Architekten zeugt. Den Vogel abgeschossen hat Schönengrund: Da blickt man von Fitzis Standort direkt in die Talstation der Sesselbahn nach dem Hochhamm; daneben steht zu allem Überfluss ein hässlicher weisser Wohnwagen.»[9] Ein weiter Auftraggeber war Dr. Johann Georg Schläpfer, der seinen Beruf als Arzt nur wenige Jahre ausübte, um sich danach ausschliesslich seinen naturwissenschaftlichen Studien widmen zu können. Seine literarischen Arbeiten sind in drei handschriftlichen Folianten, die er unter dem Titel „Lucubrationen oder wissenschaftliche Abhandlungen“ festgehalten. Dazu hat Fitzi rund 450 Aquarelle beigesteuert. Ein Arbeitgeber ausserhalb Trogens war der in St. Gallen geborene und später in Herisau tätige Kaufmann Johann Martin Schirmer, der sich intensiv mit Fragen der Land- und Alpwirtschaft befasste und ein siebenbändiges handschriftliches Werk mit dem Titel „Der Sammler in den Alpen“ schrieb, welches im Staatsarchiv in Herisau einzusehen ist. Fitzi begleitete den Forscher auf seinen Streifzügen und skizzierte auf schönen Aussichtspunkten die Gegenden. Nach Hause zurückgekehrt, fertigte er Zeichnungen an und aquarellierte sie. Der Teufener Apotheker und Begründer der Luftkuranstalt auf der nach ihm benannten Frölichsegg, der aus dem württembergischen Crailsheim stammende Carl Friedrich Frölich, 1825 Erstbesteiger des Altmann, begann 1852 sein Werk „Alpenpflanzen der Schweiz“, das aus sechzig lithografierten und von Fitzi kolorierten Tafeln besteht und unvollendet ist. Neben all diesen Tätigkeiten für bekannte und wohlhabende Persönlichkeiten erledigte Fitzi weitere Auftragsarbeiten. So wird er auch manche Osterschrift für die Endexamen von Kindern besser situierter Familien angefertigt und reich verziert haben. In der Zeit von 1838 bis 1842 gab er zudem einige Stunden Zeichenunterricht an der Kantonsschule in Trogen. Seine Arbeit im Auftrag diverser Persönlichkeiten hatte den Zeichner und Maler im ganzen Kanton bekannt gemacht, und manch einer, der etwas auf sich hielt, liess ein Abbild seines Hauses oder des Weilers, in dem es stand, bei Fitzi anfertigen. Gesamthaft betrachtet, war Fitzi ein recht erfolgreicher Berufsmann, dessen gewagte frühe Selbständigmachung mit 23 Jahren sich gelohnt hatte. Am 15. Januar 1855 starb er in Speicher.  
«Kloster Wonnenstein in Teuffen. 9. Aprill 1827. v. Fitzi.», Federzeichnung teilweise mit Codes versehen, denen Farben und Tonwerte zugewiesen sind. Kantonsbibliothek Trogen. Quellen: [1] Schläpfer, Johannes: Johann Ulrich Fitzi 1798–1855. Über das vielfältige Leben und Schaffen eines begnadeten appenzell-ausserrhodischen Zeichners und Malers. – Sulgen : Verlag Niggli AG, 1995. [2] Altherr, Jakob: Johann Ulrich Fitzi 1798–1855. Zeichner und Maler Ausserrhodens. – Herisau : Verlag Appenzeller Hefte, 1976. [3] Autor [keine weiteren Angaben zum Zweck der Anonymisierung]: Brief an Viktor Heer, Leiter des Verlags Niggli AG, 23.8.1995. Archiv J. Schläpfer. [4] Fitzi, Marie Julie: Lose Blätter. Erinnerungen aus dem Leben und Wirken des Reallehrers J.J. Fitzi geb. den 28. September 1793, gest. den 28. November 1865. In: Appenzeller Zeitung vom 16. Juli 1896. – Herisau : Schläpfer, 1896. [5] Schmid, Otto: Johann Ulrich Fitzi – der appenzellische Zeichner und Maler. Separatdruck aus „Appenzellerland“ 1995. – Gais : Buchdruck H. Kern, 1955. [6] Hartmann, Johann Daniel Wilhelm: St. Gallische Kunstgeschichte. Manuskript. Staatsarchiv St. Gallen. [7] Bächler, Emil: Die Pflanzen- und Insektenbilder von Dr. med. Caspar Tobias Zollikofer und Ulrich Fitzi. In: Bericht über die Tätigkeit (Jahrbuch) der St. Gallischen Naturwissenschaftlichen Gesellschaft während der Vereinsjahre 1942, 1943 und 1944, 71. Band. – St. Gallen : Zollikofer & Co., Buchdruckerei, 1945. [8] Pass Register von 1820 bis 1827, Manuskript. Staatsarchiv Herisau. [9] Bänziger, Andreas: Johann Ulrich Fitzi – ein wieder entdecktes Genie. In: Tagesanzeiger vom 26. Mai 1989. – Zürich : Tages-Anzeiger, 1989. [grauer-kasten title=“Johannes Schläpfer“ text=“Unser Autor Johannes Schläpfer-Wochner ist in Teufen aufgewachsen und lebt seit vier Jahren wieder hier. Nach dem Germanistik- und Geschichtsstudium an der Universität Bern nahm er 1983 seine Lehrtätigkeit an der Kantonsschule Trogen auf. Von 1986–1998 war er nebenamtlich Ausserrhoder Kantonsbibliothekar und zeichnete während zehn Jahren als Redaktor der «Appenzellischen Jahrbücher» verantwortlich. Seit 1997 ist er Mitglied der Schulleitung der Kantonsschule Trogen, zurzeit als Rektor Stv.; er leitet die Fachmittelschule sowie die Wirtschaftsmittelschule. Seine Publikationen zu literarischen, dialektologischen, volkskundlichen und historischen Themen sind zahlreich.“ ]

Ausstellung im Zeughaus: WALK THE LINE

vom 8. April– 19. August 2018, Werke von Johann Ulrich Fitzi (1798 –1855) und Klaus Lutz (1940–2009). Mit Ergänzungen von Anna Beck Wörner, Karin Karinna Bühler, Christian Kathriner, Sandra Kühne, Reto Müller und Christian Ratti. Vernissage Sonntag, 8. April, 14 Uhr. Hier geht’s direkt zum Programm

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