Anlässlich der Abbrucharbeiten der ehemaligen Liegenschaft Brauerei am Unterrain stiessen wir in unserem Archiv auf einen Artikel von 2003, in dem die Geschichte dieser Gebäude mit den riesigen unterirdischen Räumen erzählt wird. Auf dem 1400 Quadratmeter grossen Gelände werden zwei Mehrfamilienhäuser mit je vier Wohnungen sowie einer Tiefgarage gebaut.
Die Liegenschaft Brauerei mit den drei Wohnhäusern, den Remisen, dem grossen gewölbten Gärkeller und den riesigen unterirdischen Räumen lag am Unterrain, an der alten Landstrasse nach St.Gallen.
Das Restaurant Brauerei wurde bis Ende 1998 von verschiedenen Wirten weiter betrieben, die letzten 20 Jahre von der Familie Basilio Filadoro als Pizzeria.
Die Liegenschaft wie auch das nebenstehende Haus Unterrain 11 wurden später verkauft. Von der ehemaligen Bierbrauerei hingegen gibt es nur noch wenige Spuren. Die Zeitzeugen, welche das Bier gekostet haben, sind gestorben. Es wird erzählt, dass es dem Münchner Bier sehr ähnlich war. Zum Glück wissen wir einiges über die Gründer und Betreiber.
Johann Jakob Oertle (1846–1912)
Die Teufner Familie Oertle oder Oertli, wie sie sich früher nannte, brachte immer wieder tüchtige und angesehene Bürger hervor: Landammänner, Ärzte, Handelsherren. Auch Oberrichter Johann Jakob Oertle war ein hochgeachteter Mann, «der seine reichen Kenntnisse und Erfahrungen und die Vorzüge seines Charakters nicht nur seiner Heimatgemeinde, sondern auch dem Kanton zur Verfügung stellte». Oertle wuchs in Teufen auf, besuchte ein Institut in Grandson und anschliessend eine Privatanstalt in Bellinzona. In Livorno trat er in ein grösseres Exporthaus ein und betätigte sich nach seiner Rückkehr in der Industrie.
Ausbildung zum Bierbrauer
Diese Handelstätigkeit übte er aus, «bis der Gedanke, sich auf dem Gebiet der Bierbrauerei zuzuwenden, Gestalt annahm und ihn auf die Brauereischule in Augsburg führte. Der theoretischen folgte die praktische Ausbildung in Ulm». Unterdessen hatte der Vater, Matthias Oertle-Würzer, in Teufen eine Bierbrauerei samt Bierkeller nach Anleitung des Sohnes erbauen lassen.
1873 kehrte Johann Jakob nach Hause zurück und im Dezember wurde die neue Brauerei eröffnet. Zwei Jahre später übernahm die Familie Oertle auch die Wirtschaft «Bierbrauerei».
Gemeinderat, Kantonsrat, Richter und Regierungsrat
Es ging nicht lange, und man erkannte in dem tüchtigen Geschäftsmann auch die zukünftige Amtsperson: 1876 Wahl in den Gemeinderat, 1883 Gemeindegericht, 1888 Bezirksgericht, 1889 Kantonsrat. 1894 wurde Oertle in den Regierungsrat gewählt. «Dieses Amt entsprach jedoch dem Vielbeschäftigten nicht und nach einem Jahre wurde er auf sein dringendes Gesuch aus dieser Behörde entlassen, dafür aber ins Obergericht gewählt.»
Der Brauereibetrieb rentierte – als Folge der inzwischen entstandenen Grossbetriebe – immer weniger, so dass im Jahr 1906 die Teufner Brauerei zum Bedauern der Einwohnerschaft an Arnold Billwiller, Besitzer der gleichnamigen Brauerei Schützengarten in St. Gallen, verkauft wurde.
Der Pferdebetrieb der Brauerei Schützengarten (1906–1959)
Nach der Übernahme der Liegenschaft Brauerei wurde im ehemaligen Gärkeller an der Hauptstrasse ein Bierdepot eingerichtet. Bis 1959 erfolgte die Lieferung von der Brauerei Schützengarten in St.Gallen nach Teufen mittels Pferdefuhrwerken. Jedes Kind kannte damals die beiden Fuhrmänner Christian Walser, welcher mit einem Einspänner unterwegs war, und Pius Egger, der fast 30 Jahre lang mit seinem Zweispänner täglich die Wirtschaften belieferte.
Der Bierfuhrmann Pius Egger (1894–1965)
Der Sohn von Pius Egger ist ebenfalls Fuhrmann geworden und sattelte später auf Lastwagen um. Er erinnerte sich an seine Jugendzeit, als der Vater, ein gewissenhafter, ruhiger Mann, täglich punkt 4.15 Uhr die Pferde besorgte, damit um 6.30 Uhr sein Fuhrwerk startbereit war zur Fahrt in die Stadt-Brauerei. Mit vollen Harassen kehrte er zurück und belieferte das Depot und die Wirtschaften von Teufen und Bühler:
«Die Pferdestallung befand sich unter unserem Wohnhaus, am Unterrain. Für eine Fahrt brauchte mein Vater jeweils 2 bis 2 1/2 Stunden. Bis dann das Bier an all die vielen Wirtschaften, die es damals noch gab, verteilt war, brauchte es viel Zeit», erzählt er, «manche waren eben sehr «nebetosse» – die Wirtschaften «Heimat» in der Steinleuten und die «Kriegeren» zum Beispiel.»
Ausser dem Flaschenbier in Holzkisten wurde auch Bier in Fässern transportiert. Unter der Wagenbrücke befanden sich Becken mit Stangeneis, 12,5 kg je Barren, welches in den Sommermonaten den Wirtsleuten zur Kühlung des Getränks diente. Am 7. März 1959 – die Lastwagen brausten dem Fuhrwerk schon lange um die Ohren – wurde Pius Egger pensioniert und die Brauerei Schützengarten gab den Pferdebetrieb auf.
Quellen: «Säntis», Volksblatt für den Kanton Appenzell und dessen Umgebung. Irma Oertle-Gähwiler, Pius Egger, Zürich, Werner Holderegger.