Ist die Predigt ein Auslaufmodell?

09.05.2019 | Timo Züst
Kirche_Dorf
Die Kirche bleibt im Dorf. Gilt das auch für die Predigt? Foto: tiz Timo Züst Gestern machte das Tagblatt öffentlich, dass in der evangelisch-reformierten Kirchgemeinde Straubenzell im Mai auf die Sonntagspredigt verzichtet wird. Das Argument: Die Predigt sei nicht mehr modern. Wie sieht es in Teufen aus? Die TP haben die Pfarrerinnen Verena Hubmann und Andrea Anker von der Evangelischen und Diakon Stefan Staub von der Katholischen Kirchgemeinde gefragt. In der Kirchgemeinde Straubenzell wird im Mai auf das Predigen verzichtet. Was waren Ihre ersten Gedanken, als Sie davon erfuhren? Verena Hubmann und Andrea Anker: Dass man Gottesdienste zwischendurch auch mal ohne Predigt feiern kann, ist ja nichts Neues. Ab und zu nutzen wir solche neuen Formen auch in Teufen. Aber die Erfahrung zeigt, dass man damit nicht mehr Leute erreicht als mit klassischeren Formen. Und gegeneinander ausspielen, sollte man verschiedene Variante der Verkündigung erst recht nicht. Deshalb haben wir uns gewundert, dass das „Experiment“ in Straubenzell überhaupt in die Schlagzeilen gekommen ist. Aber das liegt wohl am provokanten Unterton: am Vorwurf, die Predigt sei ein „Relikt aus alten Zeiten“, eine „monologische Verkündigungsform“. Wir teilen diese negative Beurteilung nicht: Eine gute Predigt kommt aus dem Gespräch und führt ins Gespräch.  Stefan Staub: Ich dachte mir: mutige Sache! Anscheinend fragen sich die Kolleginnen, ob Form und Inhalt der Predigt noch zeitgemäss sind, resp. die Menschen noch erreichen? Selbstkritisches Hinschauen ist meines Erachtens ein Ausdruck von Reife und Stärke. Für die evangelisch-reformierten Kolleginnen ist das ein doppelt starker Schritt, da ja die Predigt das zentralste Moment in ihren Gottesdiensten sind. Die Predigt ist ein Kernelement des Gottesdienstes. Ist sie überhaupt wegzudenken? Hubmann und Anker: Die Predigt als „Verkündigung des Evangeliums“, verstanden als Zuspruch und Anspruch, ist nicht wegzudenken. Die Kirche lebt nicht aus sich selbst, sie lebt aus dem Wort und durch den Geist Gottes. Aber: Die Art der Verkündigung ist natürlich wandelbar. Früher dauerten Predigten gut und gerne zwei Stunden und 300 Menschen sassen dicht gedrängt im Kirchenschiff und hörten zu. Heute hören dafür viele Menschen Predigten im Radio oder Internet. Staub: Ich war schon in einigen Gottesdiensten als Gast dabei, wo ich die Predigt liebend gerne «weggedacht» hätte, weil sie mich überhaupt nicht berührte, inhaltlich flach oder gar unzumutbar war. Predigen ist keine einfache Sache. Es gibt Kirchenmenschen, die gute Seelsorgende sind, aber nicht die Gabe besitzen, kernig, zeitgemäss und ansprechend einen Predigtimpuls zu halten. Vor schlechten Predigten bin auch ich nicht gefeit. Nicht immer ist man seelisch-geistig in Topform und muss doch eine Gottesdienst halten. Ein Argument der Straubenzeller ist, dass «die Form der Predigt heute überholt sei». Sind Sie auch dieser Meinung? Hubmann und Anker: Was soll das heissen: „Sie ist überholt?“ Von was denn überholt? Vom Improvisationstheater? Es ist schwierig, andere Formen der Verkündigung zu finden und über Jahre hinweg zu pflegen, die ähnlich viel Sinn und Bedeutung, aber auch so viel Spannung und Herausforderung bieten wie die Predigt. Staub: Diese Ansicht teile ich nicht. Es gibt vermutlich kaum anderes Medium, als die Predigt, um über Glaube, Bibel, Nachfolge, Werte zu sprechen. Was aber durchwegs kreativer sein könnte, ist die Form. Wer sagt denn, dass eine gute Predigt nur aus gesprochenen Wörtern bestehen darf? Warum können nicht auch ein Gespräch oder ein Anspielfilm in eine Predigt einfliessen? Und zudem muss eine Predigt die Sprache der Menschen sprechen. Gibt es denn «gute» und «weniger gute» Predigten? Hubmann und Anker: Es gibt sicher grosse Qualitätsunterschiede bei den Predigten, wie übrigens auch bei Zeitungsartikeln oder Fernsehbeiträgen. Das liegt auf der Hand. Gute Predigten sprechen Menschen an, berühren und bewegen und sie dienen letztlich – um das bewusst ganz altmodisch zu sagen – der „Erbauung“. Das heisst, sie schenken Kraft für den Alltag, Dankbarkeit für das Gute, das uns geschenkt ist, Kraft fürs Miteinander und Aufmerksamkeit für die Sorgen und Leiden anderer. Gute Predigten lassen Raum für Gottes Wort inmitten des menschlichen Wortes. Ob – und wodurch – Menschen angesprochen werden, haben die Predigerin resp. der Prediger aber nicht in der Hand. Es ist erstaunlich, wie oft Menschen etwas mitnehmen aus einem Gottesdienst, das man selbst nicht in ihn hineingelegt hat. Staub: Oh ja, das gibt es. Wie gesagt: Inhalt und Sprache sind entscheidend. Nichts schlimmer als fromme Floskeln und Begriffe, die zwar kirchlich tönen, aber nicht mehr verstanden werden. Ich las kürzlich das Buch «Die Kirche verreckt an ihrer Sprache» von Erik Flügge. Er begann katholische Theologie zu studieren und wechselte später in die Politik- und Kommunikationswissenschaften. Er bringt es auf den Punkt: kirchliche Sprache ist wie eine Fremdsprache. Wie wichtig ist die Wahl des Themas? Staub: Wenn ich bei meinen Zuhörerinnen und Zuhören etwas auslösen, bewirken oder verändern will, ist das Thema entscheidend. Wobei eigentlich alle Themen des Glaubens mit dem Leben zu tun, ob Angst, Liebe, Sehnsucht, Hoffnung, Loslassen oder Vertrauen. Wichtig ist, dass ich diese Themen in der Sprache der normalen Menschen, die letztlich auch meine Sprache ist, betrachte. Zudem sollte eine gute Predigt nicht länger als sieben Minuten sein. Denn nach sieben Minuten hört das «Zuhörenkönnen» bei den meisten Menschen auf (schmunzelt). In Straubenzell sollen Alternativen zur Predigt geboten werden. Inwiefern machen Sie das heute schon? Wie kommt das bei den Gläubigen an? Staub: Das mache ich oft. Zum Beispiel durch die «Gespräche an der Kanzel» mit Menschen des öffentlichen Lebens, die nach inneren Werten leben. Oft zeige ich Bilder oder einen kurzen Film in der Predigt. Und manchmal wechsle ich die Form, verlasse die Kanzel und spreche im Kirchenvolk auf Augenhöhe Können Sie sich vorstellen, dass die Predigt im Allgemeinen ein Auslaufmodell ist bzw. könnte sie irgendwann komplett verschwinden? Hubmann und Anker: Vielleicht verschwindet irgendwann die reformierte Kirche, wenn sie sich weiterhin selbst aushöhlt, anstatt sich entschlossen auf ihre Stärken zu besinnen. Dann werden vermehrt Menschen ausserhalb der institutionellen Kirche predigen und neue Konfessionen werden entstehen, wie man das in den USA, Asien und Afrika beobachten kann. Die Verkündigung des Evangeliums wird aber nicht verschwinden Staub: Solange Menschen den Glauben mit dem alltäglichen Leben in Konfrontation bringen und biblische Worte verstehen wollen, wird es die Predigt geben. Ich glaube aber auch, dass es noch andere Formen neben der Predigt gibt. Es tut gut, auch einmal bewusst auf eine Predigt zu verzichten, denn nicht jedes Bibelwort braucht noch den Kommentar des Pfarrers. Die meisten Worte Jesu versteht man auch mit dem Herzen. Statt Worte können auch Musik oder Stille das Wort Gottes in unsere Seele tragen.  

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