Seit dem Wochenende dröhnt und rauscht und zirpt und summt es im Hochmoor bei Gais. Bis zum 10. September beherbergen zehn Scheunen auf den Rietwiesen – in der «Schopfe» – am Fuss des Hirschbergwaldes Klanginstallationen von national und international renommierten Klangkünstlerinnen und Soundtüftlern.
Bildbericht: Monica Dörig
Auf den geschützten Wiesen in der Nähe der Bahnstation Schachen werden die früher landwirtschaftlich genutzten Schöpfe von ausgewählten Kunstschaffenden bespielt. Am Donnerstag begannen die Hütten zu klingen. An der Vernissage füllte Julian Sartorius exemplarisch für das Projekt für zeitgenössische Tonkunst die Ohren der Gäste mit Sumpf-Beats. Was er in der wunderbaren Moorlandschaft an Strukturen und Materialien vorfand, wurde zu Instrumenten, deren Sounds und Rhythmen auf ein Schlagzeug im Schützenhaus übertragen und weiter gesponnen wurden. Die Umgebung und Geschichte der Schöpfe sind für die meisten mitwirkenden Kunstschaffenden der Ausgangspunkt für ihre Installationen und sind der Boden für ein breites Rahmenprogramm.
Man trifft sich im Piccolo Arsenale
Das Schützenhaus – temporär umgetauft in Piccolo Arsenale – ist Ausstellungzentrum, Konzertort und Gasthaus. Initiator Patrick Kessler, Bassist und Klangtüftler aus Gais, und Mitorganisator Jacques Erlanger führten Medienvertreter zu den Soundinstallationen. In Schopf Nummer 7 haben der in Gais wohnhafte Albert Oehlen und Wolfgang Voigt Malerei, Musik, Licht- und Rauminstallationen zusammengeführt. Der weit über das Appenzellerland hinaus bekannte Innerrhoder Aktionskünstler Roman Signer bombardiert die Flaneure mit einem tiefen Ton. Eine auf As gestimmte Orgelpfeife brummt aus der Dachluke von Schopf Nummer 9. Norbert Möslang aus St.Gallen macht den Groove des Äthers hörbar. Seine lauschimmernde Kiste im Schopf nahe der Hochspannungsleitung blinkt und schimmert, als wäre sie ein extraterrestrisches Radio.
Während zehn Tagen, bis am 10. September, bietet das Kunstprojekt «Klang-Moor-Schopfe» mit Ausstrahlung weit über die Landesgrenzen hinaus sinnliche Erlebnisse und neue Erfahrungen in einer speziellen Kunstsparte. Das Bundesamt für Kultur, Ostschweizer Kulturämter und Stiftungen haben das einzigartige Projekt mit ermöglicht ebenso wie einheimische Sponsoren und Vereine und ein Crowdfunding. Ausserdem stehen etwa 80 freiwillige Helfende im Einsatz.
Sinnliche Erlebnisse
Zehn international renommierte Klangkünstlerlinnen, Sound-Tüftler und -Kollektive hat Patrick Kessler eingeladen, die Scheunen in den geschützten Rietwiesen mit Klanginstallationen zu bespielen. Fast alle reagierten unmittelbar auf den Standort.
Der in Zürich lebende New Yorker Jason Kahn hat sich das ihm bis anhin unbekannte Appenzellerland auf Streifzügen angeeignet. Wo er war, erkundete er Räume mit seiner Stimme: Er zeichnete seine Laute in Kapellen, an Bahnhöfen, auf Berggipfeln, in Ställen und an Bergseen auf; sie erinnern an den Anfang von Betrufen, Lockstoff für Echos oder archaische Gesänge. Was er in den Räumen wahrnimmt, schreibt Jason Kahn auf: das Schweigen der Kirche, das Getöse des Heugebläses, das Scheppern der Kuhglocken. Die Papierbögen hat er im Heuschober aufgehängt; sie tanzen beim leisesten Lufthauch.
Ein namhafter Mitwirkender ist der Wiener Komponist Rupert Huber. Er nimmt an Debatten teil und bestreitet Konzerte. In Schopf 6a hat er einen Klanginstallation umgesetzt, «die ich schon lange machen wollte», wie er bei der Besichtigung sagte. Er kombiniert Klänge aus dem Umland mit der grafischen Partitur, kombiniert sie mit seiner Vorstellungswelt. Er bedient sich dabei auch der Kiste, einer Sammlung von Musik, Geräuschen und Klängen aus dem Appenzellerland, die Patrick Kessler 2013 aus Anlass des Kantonejubiläums zusammengetragen hat.
Das Kollektiv Norient mit Sitz in Bern ist mit 57 Klangkunstschaffenden in der ganzen Welt vernetzt. In der Clubhütte der Gaiser Jungschützen inszeniert Norient symbolisch aufgeladen Musikvideos, Gewalterfahrungen und Visionen von Kunstschaffenden aus Israel, Palästina und Serbien.
Ein sanftes sinnliches Erlebnis erwartet die Besucher in Schopf 6b. In der Stube des Samichlaus liegt ein Moosteppich. Das begehen mit blossen Füssen, das Streicheln des Moospolsters macht Vanessa Lorenzo Toquero hörbar. Die Lausannerin arbeitet seit langem an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Kunst und etwa seit zwei Jahren mit Moos. Ihre «living instruments» entführen in eine fantastische, bisher ungehörte Welt.
Konzerte, Debatten, Workshops
«Fast alle Installationen befinden sich unter Dach: Ein Rundgang ist wetterunabhängig» betont Jacques Erlanger. Für den Ausstellungsbesuch und die Konzerte wird Eintritt erhoben. Man kann einzelne Tickets lösen, Ein- oder Zweitages-Pässe oder einen Festivalpass für zehn Tage. Die Teilnahme an den Workshops und Debatten ist dank dem Nationalfonds kostenlos.