«Gopfridstutz, wieso macht man sowas?»

26.02.2025 | Timo Züst

Die Nachrichten rund um das Verteidigungsdepartement, die Armee und den Rüstungskonzern Ruag überschlagen sich: mögliche Veruntreuungen in Millionenhöhe, Luftwaffenchef Peter Merz wechselt als CEO zu Skyguide, der Armeechef Thomas Süssli kündigt auf Ende 2025 und der Chef des Nachrichtendienstes des Bundes (NDB) Christian Dussey geht Ende März 2026. Die letzten beiden Meldungen gelangen schon vor einer offiziellen Medienmitteilung aus Bern an die Presse. Wie erleben die Armeeangehörigen diese turbulente Zeit? Die TP hat mit Stefan Staub telefoniert. In Teufen kennt man ihn als Diakon der Katholischen Pfarrei Teufen Bühler Stein. Er ist aber auch in seinem Zweitberuf Armeeseelsorger – seit 25 Jahren. Und diese Woche im Einsatz.

Ein Selfie aus dem Militärdienst: Der Teufner Diakon Stefan Staub ist seit 25 Jahren Armeeseelsorger. Foto: zVg

«Ich selber hatte eine schreckliche Zeit im Armeedienst. Ich war in der Artillerie in Frauenfeld. Unser Kadi war einer vom Typ ‘schwarze Sonnenbrille und anbrüllen’.» Eigentlich keine guten Voraussetzungen für eine lange Militärkarriere. Während des späteren Theologiestudiums erfuhr Stefan Staub dann aber von der Möglichkeit, in die Armeeseelsorge zu wechseln. «Mir gefiel der Gedanke, Menschen helfen zu können, die innerhalb dieses ‘Zwangssystems’ Mühe haben.» Seine offizielle Armeeseelsorge-Karriere begann vor ziemlich genau 25 Jahren – im Milizdienst. Seit 2010 ist er in einem 20-Prozent-Mandat angestellt. Als Ziviler in Uniform. «Das ist eine Sonderregelung. Ich bin deshalb auch nicht Teil des Berufsmilitärs.» Er hat aber einen Offiziersgrad: Hauptmann. Wie alle Armeeseelsorger. «Wir bezeichnen das als eine Art ‘Anwalts-Grad’. Jeder kann jederzeit zu uns – ohne den Dienstweg einhalten zu müssen. Das ist einzigartig in der Armee.»

Dabei steht das Vertrauen an erster Stelle. Was einem Armeeseelsorger gesagt wird, untersteht einer Art Schweigegelübde. Einmal pro Monat führt Stefan Staub solche Gespräche vor allem am Telefon. Das geschieht im Rahmen seines Pikettdienst, über den die ständige Erreichbarkeit der Armeeseelsorge sichergestellt wird. Diese Hotline wird vor allem von Rekruten genutzt. In seinen anderen Funktionen hat Stefan Staub aber auch mit deutlich höheren Militärgraden zu tun. Er ist beispielsweise Dienstchef Armeeselsorge der Territorialdivision 4. Diese Armeeabteilung ist zuständig für Zürich, Glarus, Schaffhausen, Ausserrhoden, Innerrhoden, St. Gallen und Thurgau.

Diese Woche trifft sich der Stab der «Ter Div 4» zu einer Ausbildung zum Thema Kriegsszenario. Der Titel: «Das ist Krieg. Töten und getötet werden.» «Da geht es teilweise natürlich um heftige Fragen: Was passiert mit den Toten? Wer kontaktiert die Hinterbliebenen?», sagt Stefan Staub. Er ist heute Morgen um 4:30 Uhr von Teufen aus losgefahren und noch bis morgen Abend in Matt (Glarus Süd) im Einsatz. Während einer Pause telefoniert er mit der TP – und spricht über die neusten «Presse-Enthüllungen» zum Thema Armee.

Herr Staub, ich nehme an, Sie haben die News schon gehört.

Klar. Allerdings hat mich der Rücktritt von Thomas Süssli nicht wirklich erstaunt.

Warum das?

Er war ja vergangenen September am Bettag für das «Gespräch an der Kanzel» bei uns zu Gast. Dabei hatte er auch erwähnt, dass die Rolle des CdA sehr eng mit der Vorsteherin des Verteidigungsdepartements verknüpft sei. Nach der Rücktrittsankündigung von Viola Amherd war seine Kündigung für mich deshalb kein überraschender Schritt. Ich vermute, bei Christian Dussey vom Nachrichtendienst ist es ähnlich.

Der Zeitpunkt könnte aber definitiv besser sein.

Das auf jeden Fall. Besonders aus sicherheitspolitischer Sicht. In einer Zeit von so viel geopolitischer Unsicherheit – und Krieg – wünscht man sich nicht so viele personelle Wechsel in der Armeeführung. Wobei: So etwas wie der Wechsel von Peter Merz in die Privatwirtschaft gibt es immer mal wieder.

Dazu kommt die Art und Weise der «Veröffentlichung». Die Presse hatte die Kündigungen von Süssli und Dussey ja noch vor dem Bund publiziert.

Ja, das ist wohl typisch Mensch. Das sehe ich auch in meiner anderen Funktion als Pfarreileiter. Überall, wo es Neuigkeiten gibt, wird «rumgeplappert». Das lässt sich auch mit intensivem Briefing kaum verhindern.

Vielleicht ist das eine gesellschaftliche Entwicklung – mehr auf sich selbst bedacht zu sein.

Das mag sein. Aber die Presse hätte die Meldung ja auch nicht veröffentlichen müssen. Einen Tag später auf offiziellen Kanälen hätte wohl auch gereicht.

Ich weiss nicht, wie bewusst das gemacht wurde. Vermutlich war das eher ein «publizistischer Reflex», als eine bewusste, überlegte Handlung. Hauptsache die ersten sein. Aber das wirft schon Fragen auf, ja. Habe das vorhin grad beim Pissoir besprochen (lacht).

Jetzt bin ich natürlich neugierig.

Habe auf der Toilette einen Stabskollegen getroffen, der lange in Bundesbern tätig war. Er sagte zur ganzen Geschichte: «Das läuft dort mittlerweile einfach so. Sobald jemand einen persönlichen Vorteil sieht, lässt er alles über die Klinge springen.» Vielleicht ist das eine gesellschaftliche Entwicklung – mehr auf sich selbst bedacht zu sein.

Damit wären wir bei der Ruag-Geschichte. Da sollen ja Millionenbeträge veruntreut worden sein.

Veruntreuung ist in unserer heutigen Gesellschaft schon fast ein «Kavaliersdelikt». Die Zahl derjenigen, die loyal und integer sind, scheint irgendwie abzunehmen.

Aber es gibt offensichtlich doch viele Menschen, die sich für das Militär einsetzen. Gerade sind Sie ja in einer Stabsausbildung. Ich nehme an, wer im Stab ist, glaubt an die Institution Militär.

Das auf jeden Fall. Solche Nachrichten lassen die Offiziere hier aber natürlich auch nicht kalt. Beim Kaffee meinte vorhin einer: «Gopfridstutz, das mit der Ruag hat mich jetzt schon enttäuscht. Wieso macht man sowas?» Das zu hören, «plagt» die Menschen, die sich für die Armee einsetzen. Und man stellt sich Fragen.

Zum Beispiel?

Nun man fragt sich, wofür wir als Gesellschaft denn noch einstehen. Das gilt aber nicht nur für solche egoistischen Handlungen wie beim Ruag-Beispiel. Auch die neue fast schon pro-russische UNO-Resolution irritiert. Da kann das Gefühl entstehen, dass alles etwas in Schieflage geraten ist.

Krieg ist Chaos. Niemand kann wirklich voraussagen, was dann passiert.

Die Geopolitik können wir in der Schweiz leider nur begrenzt beeinflussen. Aber nochmal zurück zur Armee. Solche Meldungen führen auch immer zu «Globalkritik». Da hört man von vielen. «Ach, das ist einfach ein Sauladen. Da funktioniert doch sowieso nichts.» Gerechtfertigt?

Definitiv nicht. Das ist so typisches, uninformiertes Stammtisch-Geschwafel. Die Schweizer Armee funktioniert sehr gut, und es wird mit extrem hoher Kadenz und Qualität gearbeitet. Inklusive Vorbereitung auf einen allfälligen Realeinsatz.

Sie denken also, wir wären auf einen Ernstfall auch wirklich vorbereitet?

Das ist fast unmöglich zu beantworten. Krieg ist Chaos. Niemand kann wirklich voraussagen, was dann passiert. Aber ein gutes Indiz war die Corona-Zeit. Ich war da selber drei Monate im Einsatz. Und ich habe gesehen, wie 80 Prozent der Armeeangehörigen, die aufgeboten wurden, innert 24 Stunden bereitstanden oder auffindbar waren. Das zeigt mir: Viele wären im Ernstfall bereit, ihren Einsatz zu leisten.

Und was ist mit der Zukunft? Haben wir genug fähige Junge, die nachrücken?

Mittelfristig auf jeden Fall. Wir haben gerade die Beförderung der neuen Stabsoffiziere gefeiert: Das sind motivierte, fähige und gut ausgebildete Leute. Ausserdem beobachte ich, dass die Armee während der vergangenen Jahre an Akzeptanz gewonnen hat – das liegt sicher auch am Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine. Und an der allgemeinen Verunsicherung. Gleichzeitig ist die Organisation an sich deutlich professioneller geworden. Ich weiss nicht, wie die Situation in 10 oder 20 Jahren aussieht. Für die kommenden Jahre mache ich mir aber keine Sorgen.

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