Was bedeutet Pfingsten für Sie? Foto: Archiv
Der Pfingstsonntag gilt als «Geburtstag der Kirche». Diesen Tag nahm die TP zum Anlass, den Pfarrerinnen der Evangelischen Kirchgemeinde Andrea Anker und Verena Hubmann und dem Diakon der Katholischen Kirchgemeinde Stefan Staub vier Fragen zu stellen. Zur Kirche und der aktuellen, schwierigen Zeit.
Heute feiert die christliche Welt Pfingsten. Was bedeutet dieser Feiertag für Sie?
Stefan Staub: Für mich persönlich ist das heutige Pfingstfest eine ausserordentliche Erfahrung. In der, über 2000-jährigen Geschichte der christlichen Religion gab es nie eine Zeit, in der Kirchen keine Gottesdienste feiern durften. Nun, rechtzeitig zum Pfingstfest, öffnen sich die Kirchentüren wieder – und es darf gefeiert werden. Heute erleben wir das exakt gleiche, wie damals die Jesusjünger: Sie brachen nach der Karfreitags- und Ostererfahrung aus ihrer Angst vor Verfolgung aus, öffneten Türen und Fenster, um den Mief der Angst zu vertreiben und verkündeten mutig den neuen Aufbruch Gottes. Das tun wir nach dem Lockdown heute ebenso. Das Leben soll wieder beginnen sich zu entfalten. So gesehen ist Pfingsten auch für mich persönlich ein Bekenntnis zur Freude am Leben in Verantwortung.
Andrea Anker: Pfingsten ist mir von allen christlichen Feiertagen der liebste. Im Gegensatz zu Weihnachten und Ostern ist Pfingsten nicht so überfrachtet mit Erwartungen und überladen mit allerlei (Familien-)Ritualen. Für mich ist Pfingsten eine Gelegenheit, sich auf Gottes Gegenwart in der Welt zu besinnen, auf seine Schöpferkraft, aber auch auf sein erlösendes, befreiendes Wirken. Pfingsten lädt ein zum Sich-Wundern und Staunen. Zum Beispiel über das Wunder der Verständigung über Sprach- und andere Grenzen hinweg. Und Pfingsten lädt ein, sich zu erholen, viel frische Luft und Sonne zu tanken. Das werde ich selbst mit meiner Familie auch ausgiebig tun.
Verena Hubmann: Pfingsten feiern wir sonst immer mit einem festlichen Gottesdienst mit Musik und Abendmahl. Das Fest von Pfingsten ist für mich mehr noch als andere Feste des Kirchenjahres mit dem Erleben von Gemeinschaft verbunden. Im Geist sind wir mit Gott, aber auch unter einander verbunden. Beim Abendmahl, dem Teilen von Brot und Wein, steht bei uns ebenfalls der Gemeinschafscharakter im Vordergrund, und wir erinnern uns (was auch wieder ein geistig-spiritueller Vorgang ist) an Jesus, der uns zum Teilen von Brot und Leben einlädt. Auch privat pflege ich an Pfingsten gern die Gemeinschaft, das Zusammensein in der Familie und mit Freunden. Und ich kann mich nicht sattsehen am üppigen, saftigen Grün in der Natur und an allem, was blüht – da meine ich ebenfalls etwas zu spüren von der göttlichen Geistkraft, die alles durchpulst, belebt und bewegt. Freude und Dankbarkeit erfüllen mich an Pfingsten!
In der Liturgie wird Pfingsten an die Erscheinung des «Heiligen Geist» geknüpft. Was verstehen Sie unter dem Heiligen Geist? Wo ist er in unserer heutigen Welt spürbar?
Stefan Staub: Die meisten von uns haben vermutlich eine zu abstrakte Vorstellung vom so genannten «Heiligen Geist». Für mich ist Gottes Geist nicht eine bestimmte Grösse. Er ist vielmehr eine Art innere Erfahrung. So ist er die Triebfeder des Lebens und gleichzeitig die leise, feine innere Stimme in mir, die sich dann bemerkbar macht, wenn ich mich aus welchen Gründen auch immer, nicht entscheiden kann. Gottes Geist ist die Kraft, die das Leben am Laufen hält. Wir alle kennen das Gefühl von Begeisterung. Wenn unser Herz überläuft vor freudiger Betroffenheit. Das sind göttliche Momente, wo der Geist Gottes wirkt. Ich erlebe ihn auch, wenn Menschen «brennen» für eine gute Sache und das «feu sacré» auch mich erwärmt.
Andrea Anker: Der Heilige Geist ist Gottes Geist: seine Kraft, sein lebendiger Atem, seine Gegenwart mitten unter uns. Dieser Geist „weht, wo er will“. Das heisst: Wir Menschen verfügen nicht über ihn. Und er ist auch nicht im Besitz der Kirche, sondern bläst ihr manchmal recht scharf ins Gesicht! Der Geist bewegt Menschen. Manchmal zu geradezu übermenschlichen Leistungen. Ich glaube, dass es dem Wirken des Geistes zu verdanken ist, wenn Menschen Kraft zur Vergebung finden, oder zum Widerstand in schweren Zeiten, oder zu einem klaren prophetischen Wort. Der Geist ist durchaus spürbar, hinterlässt Spuren, aber beweisen lässt er sich nicht.
Verena Hubmann: Gerne spreche ich von der göttlichen Geistkraft (das hebräische Wort «ruach» für «Geist» ist ebenfalls weiblich) und stelle mir vor, dass diese göttliche Kraft in allem lebt und wirkt und alles belebt und bewegt. Im 2. Kapitel der biblischen Apostelgeschichte wird erzählt, wie die göttliche Geistkraft in Feuerzungen auf alle Menschen herniederkommt – sie macht keinen Unterschied, sondern ist ein Geschenk, eine Gnade, die allen gleichermassen zu Teil wird. Gleichzeitig ist die göttliche Geistkraft weder sicht- noch fassbar und entzieht sich letztlich unserer Verfügungsgewalt. «Der Geist weht, wo er will», heisst es entsprechend in der Bibel. Wir können jedoch sein leises Flüstern hören und uns zu mutigem Einstehen für Frieden, Gerechtigkeit, Mitmenschlichkeit, den Schutz der Schwächsten und die Bewahrung der Schöpfung bewegen lassen. Der Geist, der weht wo er will, kann aber auch als störend und verstörend erfahren werden, wenn er als Sturm durch unsere festgefügten Vorstellungen und Ordnungen fegt und vermeintliche Sicherheiten zum Einstürzen bringt. Ganz ähnlich wie das Virus kann uns die göttliche Geistkraft anstecken und erfassen, uns die Zügel aus der Hand nehmen, unser Leben auf den Kopf stellen, uns zur Besinnung bringen und zu einer Kurskorrektur zwingen, wo im Leben etwas nicht mehr stimmt und uns oder unseren Beziehungen die Lebendigkeit abhandengekommen ist.
Die Ankunft des Heiligen Geist soll die Menschen laut der Bibel einen, ihnen eine gemeinsame Sprache geben. Anscheinend war das schon vor tausenden Jahren nötig. Wie geeint sind die Menschen heute?
Stefan Staub: Bei der biblischen Pfingstgeschichte geht es vermutlich nicht um eine bestimmte linguistische Sprache, sondern um die Sprache des Herzens. Das ist eine Erfahrung, die wir dann und wann doch alle schon gemacht haben: wenn es einfach «stimmt», dann versteht man sich auch ohne verbale Kommunikation. Immer wenn das Herz bei der Sache ist, springen die Funken über. Ob vor, während oder nach Corona: es sind immer die Menschen selber, die entscheiden, ob sie sich begeistern lassen können oder nicht. Arm sind jene, die Begeisterung mehr kennen und bestimmt werden durch die Angst. Solche Menschen habe ich leider auch erlebt in den vergangenen Wochen.
Andrea Anker: Wenn man die Pfingsterzählung in der Apostelgeschichte genau liest (Kap. 2), dann fällt auf, dass der Geist den Menschen nicht eine gemeinsame Sprache gab, sondern jeder hörte die Jünger in seiner eigenen Muttersprache reden. Der Geist wirkte quasi als Simultanübersetzer. Die Vielfalt der Sprachen blieb bestehen. Es ist eine Illusion zu glauben, wir würden jemals alle dieselbe Sprache sprechen, auch im übertragenen Sinne. Mir persönlich sind alle «Einigungsbestrebungen» (seien sie politischer oder kirchen-politischer Natur) im Grunde suspekt, weil dabei – das lehrt die Geschichte – fast immer die einen von den anderen unterworfen, oder vereinnahmt oder dominiert werden. Mir gefällt die Idee, dass wir uns über die Sprach- und Religions- und Volksgrenzen hinweg miteinander verständigen (Beispiel Schweiz) und dabei die Vielfalt schätzen und als Ausdruck von Reichtum würdigen, anstatt immer nach einer grossen Einheit zu streben. Wichtig ist, dass wir uns immer wieder die Mühe des Übersetzens machen, also auch das Evangelium immer neu in die Sprachen z.B. verschiedener Generationen oder Milieus oder Herkunfts-Geschichten übersetzen. Das ist der pfingstliche Auftrag. Und nicht ein Streben nach «Einheit».
Verena Hubmann: Das Kommen der göttlichen Geistkraft wird zu Beginn der Apostelgeschichte erzählt. Es heisst dort, dass alle – neu begabt mit den Feuerzungen der Heiligen Geistkraft – in ihrer Sprache sprachen und einander doch verstanden. Pfingsten bedeutet Verständigung über alle Grenzen hinweg. So gesehen geschieht an Pfingsten die Heilung des Sprachenwirrwarrs, welches als Folge des Turmbaus zu Babel im ersten Buch der Bibel (Gen 11) dargestellt wurde. Für mich ist entscheidend, dass an Pfingsten eben nicht EINE gemeinsame Sprache entstand, sondern Pfingsten steht für mich für die Möglichkeit einer Verständigung über alle Grenzen hinweg. Mit Pfingsten ist für mich die Hoffnung verbunden, dass eine Verständigung und folglich auch ein Miteinander in aller Verschiedenheit und Vielfalt der Sprachen, Kulturen und Religionen möglich ist. Der unaufhaltsam fortschreitende Klimawandel, die zunehmende soziale Ungerechtigkeit und die gegenwärtig erlebte Corona-Pandemie sind globale Phänomene, welche uns drastisch vor Augen führen, dass eine globale Verständigung unbedingt notwendig, d.h. die Not wendend, ist. Zwei Erfahrungen des Lockdowns sind für mich bis heute erstaunlich: a) Wie schnell sich die Natur erholen konnte und beispielsweise über Megastädten der blaue Himmel und in den Häfen der Meeresgrund sichtbar wurden. b) Wie viel spontane Solidarität sich zeigte, als wäre es das Selbstverständlichste auf der Welt, dass jüngere Menschen für ihre betagten Nachbarn einkaufen gehen.
Die ganze Welt kämpft noch immer mit viel Ungewissheit. Auch wir hier in der Schweiz. Zwar hat der Bundesrat vergangenen Mittwoch neue Lockerungen beschlossen – aber von Normalität sind wir nach wie vor weit entfernt. Was hat Ihnen in den vergangenen Monaten geholfen? Und wie denken Sie über die Zukunft?
Stefan Staub: Ich war als Seelsorger knapp zwölf Wochen im Akitvdienst des Spital Bataillons 75 im Einsatz. Noch nie habe ich als Seelsorger eine derart intensive Zeit erlebt. Ich habe dabei nur meinen Beruf gelebt: der Seele des Menschen Sorge zu tragen. Die ausserordentliche Lage lies Fragen aufbrechen, die sonst nur im Verborgenen anklopfen. Jeden Tag in dieser Zeit gab es persönliche Begegnungen mit tiefgründigen Gesprächen. Mir wurde bewusst, dass viele junge Menschen ganz viel zu tragen haben. Ohne zynisch wirken zu wollen, kann ich dem Coronavirus durchaus auch etwas Gutes abgewinnen: er hat uns zwar verletzlicher, aber auch bescheidener, langsamer, menschlicher und kreativer gemacht. Wir haben gelernt, dass wir nicht das Mass aller Dinge sind und dass es neben Geldverdienen auch noch andere Werte gibt. Unsere sorglose Mobilität hat einen enormen Dämpfer erfahren. Zu hoffen bleibt, dass ich das Entschleunigte und Solidarische dieser knapp drei Monaten ein Stückweit in den Alltag retten kann, der vermutlich mit den anhaltenden Schutzmassnahmen noch lange nicht so alltäglich wird, wie er noch vor kurzem war.
Andrea Anker: Im ersten Moment hat mich der Lockdown auch in eine Art Schockstarre versetzt. Aber nach etwa zehn Tagen hatte ich mich an die neue Situation gewöhnt und habe wie viele andere auch die schönen Seiten des Lockdowns, beispielsweise die vielen Stunden, die wir als Familie gemeinsam verbringen konnten, sehr geschätzt. Geholfen hat mir, ganz einfach, das Bemühen, das Beste daraus zu machen. Und die Zuversicht, dass auch diese Pandemie, wie andere zuvor, ein Ende haben wird. Die Zukunft wird viele politische Debatten mit sich bringen und leider wohl auch viel Unzufriedenheit (in unserem Land) und schlimme Armut (in anderen Gegenden der Welt). Ich denke, es wird uns allen mehr Einsatz, Frustrations-Toleranz und Bescheidenheit abverlangt werden. Wir müssen lernen, uns weniger von unserer Angst bestimmen zu lassen; wir können uns nicht gegen alles absichern. Mir persönlich wird das nicht leichtfallen. Aber meinen Kindern und der nächsten Generation wohl schon; das stimmt mich hoffnungsvoll.
Verena Hubmann: In der Zeit des Lockdowns war für mich Folgendes wichtig: 1) Ich war durch das Wegfallen von Aktivitäten und Ablenkungen auf mich selbst zurückgeworfen. Ich verbrachte viel mehr Zeit zuhause, kochte für mich, las und kam zur Ruhe. 2) Ich probierte Neues aus, die Video-Andachten gehören definitiv dazu, und entdeckte eine Lust zur Kreativität in mir, die mir im Arbeitsalltag etwas abhandenkommt. 3) Ich entdeckte die sozialen Medien, vor allem meine diversen Chats auf WhatsApp, oder auch das Telefon, über welche ich trotz physical Distancing mit meinen Liebsten, aber auch mit den Menschen in der Gemeinde in Kontakt bleiben konnte. 4) Ich spürte inmitten der ganzen Unsicherheit ein Gefühl des Getragenseins und ein tiefes Vertrauen in mir; ich würde sagen, mein Glaube hat an Tiefe gewonnen. Für die Zukunft wünsche ich mir, dass wir so einiges, das uns an Erkenntnissen und neuen Ideen und Verhaltensweisen aufgegangen ist, mitnehmen können. Dass uns bewusst bleibt, wie wichtig für unser Überleben auf diesem Planeten es ist, dass wir beim Klima, in der Flüchtlingsfrage und auch in Bezug auf unsere Weltwirtschaft gemeinsame Lösungen finden und vom Drang nach immer Mehr ablassen. Im Moment erlebe ich, wie schnell man wieder zurück möchte ins Altbekannte, wie es vorher war. Doch ich wünsche mir, dass sich die Erkenntnisse und Erfahrungen des Lockdowns nachhaltig auswirken und nicht einfach so wieder verpuffen. tiz