Es geht um Ziegel. Bis zu 40 Kilogramm von ihnen soll die Drohne transportieren können. Da rechnet man nicht mit einer dieser kleinen wendigen «Wespen», die während der Hochsaison trotz Verbot über die Gipfel des Alpsteins rasen. Trotzdem: Was da vor dem «Haus 01» des St. Galler Kantonsspitals in der Luft schwebt, ist eindrücklich. Es handelt sich um die «Dji FlyCart 30». Eine spezialisierte Lastendrohne, die bis zu 40 Kilogramm Gewicht transportieren kann. Selber wiegt sie 65 Kilogramm – inkl. Batterien. Entsprechend gross ist das Fluggerät. Mit ausgeklappten Propellern misst es fast 3 auf 3 Meter. Die nötige Energie für die Elektromotoren liefern zwei 38’000 mAh-Batterien. Zum Vergleich: Der Akku des «iPhone 16 Pro Max» speichert 4685 mAh.
«Das Ding verursacht einen ziemlichen Wind. Deshalb auch die Schutzbrille.» Cyrill Schweizer von der «Remote Vision GmbH» aus Herisau lächelt verständnisvoll, als sich der Journalist die Augen reibt. Auf seiner Schutzweste steht «Drohnenpilot». Heute ist aber sein Chef Ueli Sager am Steuer bzw. an der Fernsteuerung. Er sitzt auf dem Dachgiebel vom «Haus 01» des Kantonsspitals St. Gallen. Von dort hat er die beste Übersicht. Cyrill Schweizer ist für das Abladen der Ladung hier unten in der Mulde zuständig. Das gelingt mit zwei raschen Handgriffen. «Wir mussten uns für den Transport etwas überlegen. Also haben wir diese Vorrichtung konstruiert», erklärt Marcel Züst von der Züst Bedachungen AG. Die «Vorrichtung» besteht aus einem halbierten blauen Plastikfass, Seilen und Kletter-Karabiner. «Das Ganze muss stabil und leicht sein. Und sich rasch füllen und leeren lassen.» Er ist mit der Kadenz der Ablieferungen zufrieden. Im Schnitt landen alle 60 Sekunden 19 Ziegel in der Mulde. Das sind knapp 35 Kilogramm. «Scheint ganz gut zu klappen. Sollen wir mal hoch?»
Ein neuer Ansatz
Beim Hochsteigen des langen Treppenhauses von «Haus 01» kaum vorstellbar, aber: Dieses riesige Gebäude wird in wenigen Monaten spurlos verschwunden sein. An seiner Stelle entsteht hier das neue «Haus 07B» mit einem Notfallzentrum im Erdgeschoss (Kinder und Erwachsene), Ambulatorium, Therapieräumen, Hörsaal und Spitalkapelle im 1. und 2. UG, Intensivstation im 1. OB und zehn Operationssälen im 2. OG (mehr dazu finden Sie hier). Erst muss das bestehende Bauwerk aber abgebrochen werden.
Bewilligung und Rega
So ein Lastendrohneneinsatz ist nur mit entsprechenden Bewilligungen möglich. «Das Verfahren ist nicht mit dem für kleinen Drohnen zu vergleichen. Das Ganze ist ziemlich aufwändig», sagt Ueli Sager von «Remote Vision». Zuständig für das Erteilen der nötigen Bewilligungen ist das Bundesamt für Zivilluftfahrt (BAZL). In diesem Fall – wegen der Nähe zum Spital – wurde der Einsatz auch mit der Rega koordiniert. Berührungspunkte gab es aber keine.
«Es kommt ab und zu vor, dass wir einen Auftrag für das reine Abdecken des Dachs erhalten. Dafür braucht man ausgebildete Fachleute mit entsprechender Ausrüstung.» Ausserdem lohne sich diese Arbeit gleich zweifach, erklärt Marcel Züst. Die Gefahr herabstürzender Ziegel während des Abbruchs wird gebannt, und der Ton kann separat recycliert werden. In diesem Fall stand er bei der Planung aber vor einer besonderen Herausforderung. «Wir können unseren Kran nur auf einer Seite stellen. Wegen der Höhe des Gebäudes kommen wir von dort nicht überall hin.» Konkret: Rund 1250 der gesamten Dachfläche von 1800 Quadratmeter (126 Tonnen Ziegel) können Marcel Züsts Mitarbeitende «klassisch» mit Hilfe des Krans abdecken.
Das bedeutet: Ziegel einzeln von Hand abtragen, in die Kranmulde werfen und diese dann via Fernsteuerung nach unten befördern. «Das Abdecken eines Dachs ist so oder so Knochenarbeit. Wir wollten deshalb verhindern, dass die Jungs die Ziegel von den weiter entfernten Stellen auch noch über das ganze Dach tragen müssen.» Eine mögliche Lösung für dieses Problem offenbarte sich dann ausgerechnet im Gespräch mit Marcel Züsts Co-Dirigenten und Posaunisten der «Brass Band Gais»: Ueli Sager. Dieser ist Inhaber der «Remote Vision GmbH» mit Sitz in Herisau. Das Unternehmen hat sich auf Drohnen spezialisiert. Das Angebot reicht vom Aufspüren von Rehkitzen im hohen Gras über das Verteilen von Spezialdünger zwischen Weinreben bis hin zu Lastenflügen. «Meistens transportieren wir mit dieser Drohne Solarmodule. Ziegel sind eine Premiere. Aber warum auch nicht?»
Akkuwechsel und Akkordarbeit
Ueli Sager hat es sich so bequem wie möglich gemacht. Wirklich erfolgreich war er dabei nicht. Sein Untergrund lässt keine ergonomische Haltung zu. Er sitzt auf den nun ziegelfreien Dachlatten direkt unter dem Giebel. Von hier hat er Sichtkontakt zu Beni Meier. Der Dachdecker trägt trotz herbstlicher Temperaturen nur ein T-Shirt. Er belädt die blaue «Lastmulde» und muss im Akkordtempo arbeiten, um mit der Drohen Schritt halten zu können. Der Blick des Piloten bleibt aber mehrheitlich auf die Fernsteuerung geheftet. Der Bildschirm lässt ihn durch die Kamera der Drohne aus der Vogelperspektive auf die unter ihm schwingende Ladung blicken. Nach einem Blick über seine Schulter ist klar: Das braucht viel Übung. «Wirklich heikel wird es eigentlich nur dann, wenn die Ladung irgendwo ‘einhängt’. Und natürlich geht es immer um Zeit. Je besser ich fliege, desto rascher kommen wir vorwärts.»
Ueli Sager steuert die Drohne den ganzen Tag. So eine lange Konzentrationsphase trauen sich nur wenige Piloten zu. «Das geht schon. Aber Fernsehen liegt am Abend nicht mehr drin. Dafür sind die Augen zu müde.» Immerhin: Alle 20 Minuten legt er eine kurze Pause ein. Dann müssen nämlich die beiden Batterien gewechselt werden. Dank drei Akku-Sets und einem Schnellladesystem kann die Drohne ununterbrochen im Einsatz sein. Auch Wind und Regen machen dem robusten Fluggerät wenig aus – ausser es wird stürmisch.
Wie ist denn die erste Zwischenbilanz? «Ich muss dann noch über die Bücher und schauen, wie viele Quadratmeter es pro Stunde waren. Aber es läuft auf jeden Fall besser, als ich dachte», sagt Marcel Züst. Für ihn könnte der Einsatz von Drohnen auch für andere Projekte eine gute Alternative sein. Denn die Zugänglichkeit ist bei vielen Dächern eine Herausforderung. «Man muss ab und zu etwas Neues probieren. Erst dann weiss man, ob es klappt.»
Hinweis: In der Printausgabe der Tüüfner Poscht vom November 2020 finden Sie ein Gespräch mit Ueli Sager zum Thema Drohnen, Vorschriften und Potenzial.