«Es geht nicht nur um die Seniorinnen»

10.04.2024 | Timo Züst
klimaseniorinnen
Schon im Frühjahr 2023 waren die „KlimaSeniorinnen“ in Strassburg. Damals verteidigten sie ihre Klage vor dem EGMR. Mit dabei waren Mägi Bischof und Herta Lendenmann (rechts) aus Teufen. Foto: Archiv

Am Dienstag verkündete der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) ein historisches Urteil. Er hiess die Klage des Vereins «KlimaSeniorinnen» aus der Schweiz fast einstimmig (16 von 17 Stimmen) gut. Er hatte geklagt, weil die Schweiz zu wenig tue, um ältere Frauen vor dem Klimawandel bzw. vor häufigeren intensiven Hitzewellen zu schützen. Das Gericht urteilte nun, dass die Schweiz gegen Art. 8 der Menschenrechtskonvention verstösst. Dieser bezieht sich auf das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens der Klimaseniorinnen. Zudem rügt der EGMR die Schweiz wegen einer Verletzung von Art. 6, dem Recht auf Zugang zum Gericht – das Bundesgericht hatte die Klage der «KlimaSeniorinnen» abgewiesen.

Auch zwei Teufnerinnen gehören zu den «KlimaSeniorinnen»: Mägi Bischof und Herta Lendenmann. Letztere war bei der Urteilsverkündung in Strassburg dabei und hat per E-Mail auf die Fragen der «Tüüfner Poscht» geantwortet.

Liebe Herta, du schreibst «Liebe Grüsse aus Strasbourg», hast du die Urteilsverkündung des «EGMR» vor Ort mitverfolgt?

Ja, ich war mit vielen anderen «KlimaSeniorinnen» aus Appenzell Ausserrhoden, St. Gallen und der ganzen Schweiz bei der Urteilsverkündung des EGMR in Strassburg dabei. 

Wie war deine erste Reaktion? Und wie fühlt es sich jetzt mit einem Tag Distanz an?

Das Urteil ist historisch. Ich bin hocherfreut und sehr zufrieden. Ab heute geht es nun um die realpolitische Umsetzung des wegweisenden Urteils. Die «KlimaSeniorinnen» werden weiterhin aktiv sein. 

Viele Journalistinnen und Beobachter hat das Urteil überrascht. Dich auch?

Das Urteil ist für mich sehr stimmig und zeigt, dass wir mit unserer Klage richtig lagen. Natürlich war die Ausgangslage auch für mich offen und die Klarheit des Urteils hat nun alle Erwartungen erfüllt. 

Aus Sicht des EGMR verstösst der «Staat Schweiz» also gegen die Menschenrechte der Seniorinnen. Entspricht das auch deiner persönlichen Wahrnehmung? Oder anders gesagt: Fühlst du dich in deinen Menschenrechten verletzt?

Die Schweiz hat bisher eindeutig zu wenig unternommen, um ihre Verpflichtungen aus dem Pariser Klimaabkommen zu erfüllen. Dessen Ziele hat die Schweiz ja ebenfalls mitunterzeichnet. Es gilt, den auch bei uns schon wahrnehmbaren Klimaveränderungen so rasch als möglich mit geeigneten, wirkungsvollen Massnahmen zu begegnen. Nur dann ist der Schutz der Schwächsten gewährleistet. Ich fühle mich daher indirekt in meinem Menschenrecht verletzt, wenn ich zusehen muss, wie regional, national und global die Dringlichkeit des Handelns nicht wirklich ernst genommen wird.

Der EGMR wies die vier Einzelklagen ab, liess aber die des Vereins zu. Damit haben die Seniorinnen nun eine Art Sonderstellung in der schweizerischen Klimadiskussion bzw. -politik: Sie sind laut EGMR besonders betroffen. Das bedeutet auch: Die CH-Klimapolitik müsste sich ja nun eigentlich vor allem um das Wohlergehen bzw. die Wahrung der Menschenrechte der Seniorinnen kümmern. Wie könnte dieses Ziel deiner Ansicht nach erreicht werden?

Einher mit dem Schutz der Menschenrechte der Seniorinnen geht ja logischerweise der Schutz der Menschenrechte der gesamten Bevölkerung: Es geht also nicht nur um die Seniorinnen. Dies wird auch im Urteil des EGMR explizit festgehalten. Um die Menschenrechte in Bezug auf den Klimaschutz zu gewährleisten, stehen nun der Bundesrat, das Parlament und alle politischen Parteien in der Pflicht. 

Die Politik hat inzwischen auf das Urteil reagiert. Von links bis rechts wird es für die jeweilige Agenda instrumentalisiert. Während die Grüne und SP strengere Klimavorschriften fordern, beschwert sich die SVP über «fremde Richter». Welche Seite wird wohl am meisten von diesem Urteil profitieren?

Profitieren müssen nicht die politischen Parteien, sondern die ganze Bevölkerung, indem der Anstieg des CO2 schnellstens reduziert wird, dadurch die Klimaerwärmung verringert werden kann und die Lebensqualität erhalten bleibt.

Warum bist eigentlich du den Klimaseniorinnen beigetreten? Und was wünschst du dir nach diesem Urteil von der Schweizer Politik?

Seit den 1980er Jahren bin ich umweltpolitisch aktiv. So war es für mich selbstverständlich, mich nach der Pensionierung bei den «KlimaSeniorinnen» zu engagieren. Ich wünsche mir von der Schweizer Politik, dass sie die Klimakatastrophe wirklich ernst nimmt und glaubwürdige, griffige Massnahmen ergreift. 

Grundsätzlich richtet sich das EGMR-Urteil gegen den ganzen «Staat Schweiz», also auch die kommunalen Regierungen. Wenn du dir für Teufen eine «Klima-Massnahme» wünschen könntest, welche wäre das?

Für Teufen wünsche ich mir zum Beispiel «Tempo 30» im Dorfkern und in den Quartieren. Ausserdem die Förderung des Veloverkehrs, die Förderung der Biodiversität, den konsequenten Ausbau der Sonnenenergie, den klimapolitischen Einsatz des Gemeinderates auf kantonaler Ebene und dass bei neuen Strassen- und anderen Bauvorhaben vorgängig deren Klimaverträglichkeit geprüft wird. Als sehr wichtig erachte ich auch die behördliche Aufklärung über die absolute Dringlichkeit von klimaschützenden Massnahmen. Dies ist die Aufgabe des Gemeinderates, des Kantonsrates und des Bundesrates.  tiz

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