Heinz Rusch, Geschäftsführer von Tonio Coiffure, im leeren Salon. Ab Montag wird hier wieder Betrieb herrschen – wenn auch anders als gewohnt. Foto: tiz
Sechs Wochen wachsen die Haare auf den Köpfen der Schweizerinnen und Schweizer nun schon ungestört. Seit dem Lockdown dürfen auch Coiffeurs ihre Kunden nicht bedienen. Das ändert sich am Montag. Bei Tonio Coiffure bereitet man sich auf eine einzigartige Wiedereröffnung vor.
Es ist kurz vor 8 Uhr an diesem Freitag. Normalerweise herrscht um diese Zeit bereits reger Betrieb bei Tonio Coiffure. Heute muss Geschäftsführer (zusammen mit Barbara Rusch) Heinz Rusch aber erst die Tür aufschliessen. Denn der Salon ist leer – so sah es hier während der vergangenen sechs Wochen immer aus. Seit dem Corona-Lockdown durften hier keine Kunden bedient werden. «Ab Montag sind wir wieder offen, aber ….» Heinz Rusch wird von einem lautstarken Klingelton unterbrochen. Es ist 8.02 Uhr. Seine Kundschaft weiss, dass das Telefon ab 8 Uhr besetzt ist, auch während der Corona-Krise. Der Chef nimmt persönlich ab. Es ist eine Terminanfrage. «Ja, genau, ab Montag. Alles bestens, wir sind bereit. Allerdings ist der Kalender schon sehr voll», sagt er beim Blättern. Ein paar Seiten später hat er eine Lücke gefunden. Solche Telefonate führt Heinz Rusch während des Gesprächs mit der TP alle paar Minuten. «So geht das hier schon die ganze Woche. Die Herausforderung ist nun, den fast kompletten Kundenstamm in zwei, drei Wochen zu bedienen.» Keine einfache Aufgabe. Aber eine, der er und sein Team sich gerne stellen. Denn bis vor Kurzem war keinesfalls klar, dass Coiffeurs schon so bald wieder öffnen können. Aber: Bedient werden, darf nur unter Einhaltung strenger Schutzvorschriften.
Zwei Teams, längere Öffnungszeiten
Nach dem Pressetermin wird Heinz Rusch sein versammeltes Team zum ersten Mal seit sechs Wochen sehen. Eine Teamsitzung mit Sicherheitsabstand steht auf dem Programm. Das Thema: Die Wiedereröffnung und Einteilungen für die kommenden Wochen. Nach der Zwangspause steht nun eine intensive Phase an. Aufgrund der Grösse des Salons (15 Plätze) darf Tonio Coiffure nicht einfach zum Normalbetrieb übergehen. Denn bei zehn Mitarbeitenden und zehn Kundinnen oder Kunden im gleichen Raum könnten die Hygienemassnahmen kaum eingehalten werden. «Wir teilen die Mitarbeitenden deshalb in zwei Fünferteams ein. Zudem wir jeder Mitarbeiterin ein fixer Arbeitsplatz zugeteilt. So können wir den nötigen Abstand sicherstellen», erklärt Heinz Rusch. Aber: Weniger Coiffeusen bedeutet auch weniger bediente Kunden. Um dieses Manko wett zu machen, werden die Öffnungszeiten verlängert. Am Montag wird bei Tonio 13 Stunden gearbeitet – von 7:30 Uhr morgens bis 20:30 Uhr abends. «Für die einzelnen Mitarbeitenden ist der Arbeitstag deshalb aber nicht länger als sonst, eher kürzer.» Zudem werden die Abläufe durch die Schutzmassnahmen wohl zusätzlich etwas verlangsamt. Ob unter dem Strich ein ähnliches Resultat wie vor der Krise resultiert, bezweifelt Rusch. «Aber wir werden sehen. Vielleicht geht es aufgrund der vielen Buchungen und der längeren Öffnungszeiten ungefähr auf.»
Masken und Handschuhe
Heinz Rusch hat vorgesorgt. Während der vergangenen Wochen war er immer wieder auf Einkaufstour: Gesichtsmasken, Desinfektionsmittel, Handschuhe. «Das kostet ja kein Vermögen. Und wer die Nachrichten verfolgt hat, konnte sich denken, dass wir davon einiges brauchen werden.» Mit dieser Vermutung lag er richtig. Denn seine Mitarbeitenden werden während der Arbeit immer einen Mundschutz tragen müssen. Ausserdem sind regelmässiges Hände-Desinfizieren und das strikte Einhalten der Hygienemassnahmen Pflicht. «Wir haben auch Handschuhe hier. Mit denen ist das Arbeiten allerdings nicht ganz einfach. Wenn es der Kunde wünscht, ziehen wir sie aber gerne an.» Im Gegenzug hofft Rusch auf die Mithilfe der Kundschaft. Denn auch sie werden beim Besuch des Salons zum Mitbringen und Tragen einer Gesichtsmaske aufgefordert. «Wir teilen ihnen das schon bei der Reservation mit. Klar: Zwingen kann ich niemanden. Aber es ist ja auch ein gewisser Selbstschutz.» Um seine Mitarbeitenden macht sich Heinz Rusch eher weniger Sorgen. Zwar könne eine Ansteckung nicht ausgeschlossen werden, aber: «Sie sind alle eher jung. Ich vermute und hoffe deshalb, dass sie gesund bleiben.»
Reserven und Gesprächstherapie
Heinz Rusch führt Tonio Coiffure seit 26 Jahren. In dieser Zeit war der Salon nie länger als zehn Tage am Stück geschlossen – für den Umbau. Auch feste Betriebsferien gibt es keine, die Mitarbeitenden beziehen ihre Freitage gestaffelt. Dank dem Corona-Lockdown stand dann aber plötzlich alles still. Und das seit sechs Wochen. «Das war eine komplett neue Situation für mich. Und wirtschaftlich gesehen nicht einfach», so Heinz Rusch. Dank Kurzarbeit und frühzeitig gebildeten Reserven halten sich die langfristigen Schäden bis jetzt in Grenzen. «Wir sind aber natürlich erleichtert, dass wir endlich wieder arbeiten können.»
Ähnlich sehnsüchtig blickt die Kundschaft der Wiedereröffnung «ihres Coiffeurs» entgegen. Die meisten haben einen Rhythmus von vier bis sechs Wochen. Und je nach dem, wie lange der letzte Besuch her ist, «ist die Lage ernst». «Eitelkeit ist das letzte Kleid, das man ablegt. Dieser Spruch hat schon etwas. Aber es geht nicht nur um den optischen Aspekt. Der Coiffeure-Besuch ist für viele auch ein wertvoller, sozialer Kontakt.» Denn hier werden nicht nur Haare geschnitten, hier wird über Gott und die Welt, das Dorf, die Kinder, die Partner, das Leben geredet. «Das vermissen viele.» Auch Heinz Rusch und seine Mitarbeitenden freuen sich darauf, die Kundschaft wiederzusehen und die vergangenen Wochen Revue passieren zu lassen. Aber: «Wir werden versuchen, die Gespräche auf ein Minimum zu reduzieren. Auch das ist eine Schutzmassnahme.»
Eine Frage zum Schluss: Wie schlimm wir das für Sie eigentlich, die vielen ausgewachsenen Frisuren zu betrachten? «Ach, das ist doch nicht schlimm (lacht). Im Gegenteil: Da stehen uns ausnahmsweise etwas mehr Haare zur Verfügung. Falls jemand mal wieder etwas Neues ausprobieren will, wäre jetzt der richtige Zeitpunkt.» tiz