Hinter dem Podiumsgespräch vom Dienstagabend steht «Teufens Aktion für Biodiversität». Die Gruppe setzt sich seit eineinhalb Jahren für mehr biologische Vielfalt in Teufen ein. Im Lindensaal unterhielt sich nun ein Mitglied der Gruppe mit Vertretern der Gemeinde, der Landwirtschaft, des Forsts und des Naturschutzes. Rasch wurde klar: Einfach wird es nicht – trotz eines gemeinsamen Ziels.
Hinweis: Mehr über «Teufens Aktion für Biodiversität» lesen Sie in unserer aktuellen Print-Ausgabe auf den Seiten 20 und 21 oder hier im PDF.
So viele Velos standen schon lange nicht mehr vor dem Lindensaal. Ein Hinweis auf das Thema des Abends: Biodiversität. Der Anlass war von «Teufens Aktion für Biodiversität» (Andreas Kuster, Lucia Andermatt, Mägi Bischof) und Alexander Assmus organisiert worden. Ziel ist ein offenes Gespräch über das «Bio-Potenzial» Teufens. Auf dem Podium stehen dazu Agronom Andreas Kuster, Förster Sebastian Lanker, Landwirt Werner Giezendanner (Pächter Gemeinde-Liegenschaften), Präsident von Pro Natura St.Gallen-Appenzell Lukas Tobler und Martin Zoller von der Gemeinde Teufen (Leiter Hochbau). Erste Frage des Moderators Hanspeter Spörri: «Was ist eigentlich Biodiversität? Und geht sie wirklich so stark zurück?» Antworten liefern Andreas Kuster und Lukas Tobler. Die Biodiversität bezeichnet eben nicht nur die Artenvielfalt, sondern das gesamte Ökosystem. Dazu gehören nebst den Arten auch ein vielseitiger Gen-Pool sowie unterschiedliche Lebensräume. Und: «Die Biodiversität ist wirklich sehr stark zurückgegangen. Leider spürt man das aber wohl heute noch zu wenig stark. Würde uns das Artensterben ‘schmerzen’, wäre es vielleicht gar nicht so weit gekommen.»
Hin- und hergerissen
Trotz der unterschiedlichen Hintergründe der Sprecher ist nach wenigen Fragen bereits ein Konsens erreicht: Alle streben nach mehr Biodiversität – auch Landwirtschaft und Gemeinde. «Wir Bauern leben von und mit der Natur. Wenn es ihr gut geht, geht es uns gut. Und wir setzen uns für mehr Diversität ein – mit entsprechenden Flächen oder Öko-Wiesen. Aber wir müssen natürlich auch wirtschaftlich arbeiten können», sagt Werner Giezendanner. Martin Zoller von der Gemeinde beschreibt ebenfalls einen Balance-Akt: «Wir versuchen, auf möglichst vielen Gemeindeflächen die Biodiversität zu fördern. Ein aktuelles Beispiel wäre der Friedhof, wo wie das Gras teilweise ‘wild’ wachsen lassen. Das gefällt aber nicht allen. Es gibt oft Reaktionen, weil solche Flächen als ‘ungepflegt’ eingeschätzt werden.» Moderator Hanspeter Spörri identifiziert in diesen beiden Beispielen zwei typische Zielkonflikte, die die konsequente Förderung der Biodiversität erschweren. Auch in der Waldwirtschaft gilt es viele Interessen zu berücksichtigen. Bezüglich Renaturierung wurde dort in den vergangenen Jahrzehnten aber viel erreicht. «Klar ist: Der Wald braucht den Menschen sicher nicht, aber der Mensch braucht den Wald. Wir fördern die Biodiversität bewusst – ein Beispiel wäre das Totholz, das wir heute viel eher liegenlassen», sagt Förster Sebastian Lanker.
Wie weiter?
Eine Frage drängt sich nach der ersten Hälfte des Gesprächs immer mehr auf: Was soll denn nun getan werden? Sollen Konsumenten zu nachhaltigerem Einkaufen gezwungen, Steingärten verboten oder die Landwirtschaft «biodiverser» getrimmt werden? Andreas Kuster dazu: «Dass es mit Druck nicht funktioniert, haben wir inzwischen gelernt. Die Politik bringt kaum etwas zu Stande – trotz diverser Kommissionen, Gesetze und Vorschriften. Ich glaube, viel effektiver wäre das Engagement jedes Einzelnen. So entwickelt sich nach und nach ein Sog.» Niemand der Anwesenden wehrt sich gegen den Aktivismus des Einzelnen – hier herrscht ein Konsens über die Wichtigkeit der Biodiversität. Aber aus dem Publikum kommen auch kritische Inputs. «Das klingt für mich, als würde es wieder in die gleiche Richtung gehen wie bei vielen Themen: Eine aufgeschlossene Minderheit engagiert sich und übernimmt Verantwortung, während die grosse ignorante Mehrheit sich an den Vorzügen labt, ohne mitzuarbeiten.» Damit ist das Gespräch auf der philosophischen Ebene angekommen. Der Biodiversitäts-Verlust ist eben nicht nur eine Naturkatastrophe und eine wirtschaftliche Herausforderung, sondern auch ein gesellschaftliches Problem. Wie das konkret angegangen werden soll, darauf wird an diesem Abend keine abschliessende Antwort gefunden. Auch Gemeindepräsident Reto Altherr bleibt bei seinem Statement bei der individuellen Verantwortung: «Es macht kaum Sinn, diesbezüglich diverse Vorschriften zu erlassen. Aber wir alle können etwas zur Biodiversität beitragen; sei es im eigenen Garten oder beim bewussten Einkaufen.»
Und immerhin: «Teufens Aktion für Biodiversität» verteilt beim anschliessenden Apéro ein kleines «Briefchen» mit Samen einheimischer und wertvoller Pflanzen. «Die Samen sind eingefaltet in Teile des Jahresberichts 2021 der Gemeinde. Das Thema der Fotos war ‘Wildes Teufen’. Und ich hoffe sehr, dass Teufen in Zukunft noch etwas wilder wird», sagt Mägi Bischof. Sie, Lucia Andermatt und Andreas Kuster wollen sich so oder so weiter für die Biodiversität in und ums Dorf einsetzen. Wer sie dabei unterstützen will, kann sich an diese «10 Tipps» aus dem Samen-Briefchen halten:
1. Insektenfreundliche Hecken
2. Vielfalt säen
3. Biologisch gärtnern
4. Unkraut gibt es nicht
5. Molchen als natürlicher Dünger (Rasen auf offene Erde)
6. Lichtverschmutzung eindämmen
7. Im Herbst Stauden stehen lassen für die Insekten
8. Unterschlupf bieten
9. Eine wilde Ecke: Die Natur liebt Chaos
10. Freude an Pflanzen und Tieren haben