«Ein überwältigendes Gefühl»

11.06.2024 | Timo Züst

Auf der Website des Veranstalters prangert der Slogan: «Wenn du das schaffst, schaffst du alles!» Gemeint ist der berühmteste 100-Kilometer-Lauf der Schweiz – in Biel. In der Nacht von vergangenem Freitag auf Samstag wurde er ausgetragen. Und zum ersten Mal als Einzelläufer mit dabei war der 41-jährige Tobias Rey aus Teufen. Der Tüüfner Poscht erzählt er, wie er sich auf diese gewaltige Herausforderung vorbereitet hat. Und wie sich der Zieleinlauf nach 11 Stunden, 34 Minuten und 56 Sekunden angefühlt hat.

Hey Tobi, gratuliere, krasse Leistung! Wie geht es den Beinen?

Mittlerweile wieder ganz gut. Ich kann schon fast wieder rennen (lacht). Aber am Samstag waren sie wirklich durch. Da ging gar nichts mehr.

Der 100-Kilometer-Lauf in Biel startete um 22 Uhr am Freitagabend. Wann kamst du ins Ziel?

Das war kurz vor 9:30 Uhr am Samstagmorgen. Da war ich natürlich total erschöpft – und übermüdet. Der Nachhauseweg im überfüllten ÖV hat mir dann noch den Rest gegeben.

Verständlich. Ich will gleich noch mehr über den Lauf wissen. Aber erstmal «zum Anfang»: Seit wann bist du so ein «verrückter» Läufer?

In meiner Jugend bin ich viel gelaufen. Ich habe auch immer wieder an Rennen teilgenommen. In meinen jungen Erwachsenenjahren hing ich die Laufschuhe aber an den Nagel. Fast 20 Jahre habe ich kaum Laufsport betrieben. Bis vor etwas mehr als 6 Jahren mein Sohn auf die Welt kam. Da habe ich wieder angefangen.

Dann denkt man: Ein Halbmarathon ist ja verrückt. Bis man auch das gepackt hat. Dann folgt die Marathon-Distanz. Und so weiter.

Aber ein 100-Kilometer-Lauf ist ja nicht vergleichbar mit einigen Runden im Steineggwald. Wie bereitet man sich auf sowas vor?

Während der vergangenen Jahre habe ich meine Grundfitness stetig ausgebaut. Ich habe auch an einigen Marathons teilgenommen und bin privat viele Kilometer gelaufen. Die konkrete Vorbereitung dauerte dann wohl noch etwas mehr als ein halbes Jahr.

Bist du da einem strikten Trainingsplan gefolgt?

Nein. Ich habe mich auf meine eigenen Erfahrungswerte und die Ratschläge aus meinem Lauf-Umfeld verlassen. Natürlich gäbe es Trainingspläne für solche langen Läufe. Aber ich wollte das lieber nach Gefühl machen.

Was war deine längste Lauf-Einheit vor diesem Wochenende?

Teil der Vorbereitung war eine 60-Kilometer-Einheit. Weiter bin ich am Stück bisher noch nie gerannt.

Wie kommt man überhaupt auf die Idee solche Distanzen zu rennen?

Das ergibt sich irgendwie ganz natürlich. Früher habe ich viele «kürzere» Sachen gemacht. Es fing bei 5 km an. Da denkt man sich noch: 10 km ist ewig weit. Dann rennt man zum ersten Mal 10 km, und irgendwann sind 10 die Regel. Dann denkt man: Ein Halbmarathon ist ja verrückt. Bis man auch das gepackt hat. Dann folgt die Marathon-Distanz. Und so weiter.

Ich hatte dich ja am Freitagnachmittag im «Bähnli» nach St. Gallen getroffen. Du warst unterwegs zum Start. Und eigentlich hast du ganz entspannt gewirkt. Wie nervös warst du?

Ich war «u huere» nervös (lacht). Die letzten Tage waren psychologisch sehr anstrengend. Man geht im Kopf ständig die Checkliste durch: Training, Ernährung, Ausrüstung. Stimmt alles? Habe ich alles? Was, wenn ich krank werde? Oder die Nacht davor nicht schlafen kann? Die beste Vorbereitung nützt nichts, wenn die Tagesform am Ende nicht stimmt.

Man sagt deshalb auch, dass solche langen Läufe vor allem eine Frage der Energie-Aufnahme-Strategie sind. Man muss davor testen, was die Verdauung aushält, welche Gels einem guttun, und was man eben nicht essen sollte.

Und wie war deine Form?

Perfekt. Ich hatte wirklich Glück. Ich war auf den Punkt fit und bereit. Ich hatte gut geschlafen, keine Magenprobleme und war ausgeruht.

Das Thema Ernährung ist bei so einem langen Lauf eine Herausforderung für sich. Was hatte dein Fahrrad-Begleiter alles dabei?

Vor allem Gels mit vielen Kohlehydraten. Insgesamt 20. Sicher ist sicher.

Kannst du überhaupt so viel Energie aufnehmen, wie du da unterwegs verbrennst?

Nein. Der menschliche Körper kann in einer Stunde rund 60 bis 70 Gramm Kohlenhydrate aufnehmen. Während des Laufens verbrennt er aber deutlich mehr. Man ist also ständig mit einem Energie-Defizit unterwegs. Man sagt deshalb auch, dass solche langen Läufe vor allem eine Frage der Energie-Aufnahme-Strategie sind. Man muss davor testen, was die Verdauung aushält, welche Gels einem guttun, und was man eben nicht essen sollte.

Aber dein Bauch hat mitgemacht?

Ja, zum Glück schon.

Und die Beine? Oder ist sowas eh mehr Kopfsache?

Ich würde sagen, ein 100-km-Lauf ist zu 70 Prozent psychisch und zu 30 Prozent körperlich. Ab Kilometer 60, spätestens 70, sind die Beine durch. Dann geht es nur noch darum, durchzuhalten.

Der grösste Teil des Laufs ist in der Nacht. Der Sonnenaufgang war sicher wertvoll.

Sehr! Es gibt dir einen «Riesenboost», wenn es wieder hell wird. Das ist gewaltig. Nur leider hält er nicht allzu lange (lacht).

Jemanden an der Seite zu haben, mit dem man sich austauschen kann, ist für die Motivation Gold wert.

Du wurdest von einem deiner Lauf-Kumpels, Marcel Rechsteiner, auf dem Fahrrad begleitet. Wie wichtig war diese Gesellschaft?

Für mich war sie unverzichtbar. Vor fünf Jahren waren die Rollen vertauscht: Marcel lief und ich sass auf dem Fahrrad. Nach dem überstandenen Lauf hatte er gewitzelt: «Jetzt schulde ich dir eine Begleitung.» Später dachte ich: Warum eigentlich nicht. Und ihn dabei zu haben, war echt unbezahlbar. Vor allem im Dunkeln, wenn man kaum etwas sieht und ständig nur in den Lichtkegel der Kopflampe starrt. Da jemanden an der Seite zu haben, mit dem man sich austauschen kann, ist für die Motivation Gold wert.

Das glaub ich dir gerne. Jetzt will ich natürlich noch wissen: Wie fühlt sich ein Zieleinlauf nach über 11 Stunden und 100 zurückgelegten Kilometern an?

Das ist ein überwältigendes Gefühl. Unbeschreiblich. Während des ganzen Rennens, besonders in den richtig harten Phasen, in denen man alles hinschmeissen will, denkt man immer an diesen Moment. Man malt sich aus, wie unglaublich das sein muss. Und dann… ist es einfach noch intensiver als man es sich vorzustellen gewagt hat. Als ich dann noch meine Familie im Ziel gesehen habe, gab mir das gleich nochmal einen Glücksschub.

Kopf und Verdauung haben also mitgemacht. Und dein Körper: Füsse, Knie, Hüfte, Rücken?

Das hat zum Glück alles gehalten. Auch das war für mich eine wichtige Erkenntnis: Manchmal muss man seinen Körper einfach mal wieder ein bisschen an die Grenzen führen. Klar: Man sollte auf seinen Körper hören und ihm Sorge tragen. Aber er kann deutlich mehr leisten, als man glaubt. Auch, wenn man nicht mehr 20 ist (lacht).

Also würdest du so ein Lauf-Abenteuer empfehlen?

Auch jeden Fall. Es ist ein unvergessliches Erlebnis. Und etwas, auf das man stolz sein kann. Ich bin auf jeden Fall sehr froh, dass ich es gemacht und gepackt habe.

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