Ein Teufner schrieb an der ersten Bundesverfassung mit

28.10.2018 | TPoscht online
Johann konrad oertle
Leonhard Tanner: Landammann Johann Konrad Oertli (1816–1861), Öl auf Leinwand, zwischen 1850 und 1852. (Kantonsratsaal Herisau)
Thomas Fuchs Am 12. September 1848 wurde die Bundesverfassung in Kraft gesetzt und damit die moderne Schweiz begründet. Das «politische Gesamtkunstwerk» machte «das zerrüttete Land zum stabilsten Staat und zur einzigen demokratischen Republik Europas» – so Rolf Holenstein in seinem kürzlich erschienenen neuen Grundlagenwerk «Stunde Null». Einen wichtigen Platz bekommt darin der Vertreter des Kantons Appenzell Ausserrhoden in der vorberatenden Kommission, Landesstatthalter Johann Konrad Oertli (1816–1861) aus Teufen. Revisionskommission 1848 Die vom Berner Ulrich Ochsenbein (1811– 1890) präsidierte Bundesrevisionskommission traf sich am 17. Februar 1848 zum ersten Mal. Drei Kantone verzichteten auf eine Teilnahme: Appenzell Ausserrhoden, Appenzell Innerrhoden und Neuenburg. Der Ausserrhoder Grosse Rat rang sich dann am 29. Februar nach vierstündiger Beratung doch noch zum Mitmachen durch. Ab der zwölften Sitzung vom 3. März vertrat das Regierungsmitglied Johann Konrad Oertli aus Teufen seinen Kanton in der Revisionskommission. Ein Ausserrhoder allerdings war von Anfang an dabei: der seit November 1847 als Eidgenössischer Kanzler amtierende Johann Ulrich Schiess (1813–1883). Nach 51 Tagen und 31 Sitzungen präsentierte die Kommission einen Verfassungsentwurf, der in den folgenden Vernehmlassungen erstaunlicherweise kaum Veränderungen erfuhr. Im Juli und August folgten die Abstimmungen in den Kantonen: 15 1/2 hiessen den Entwurf gut, 6 1/2 (Uri, Schwyz, Ob- und Nidwalden, Zug, Wallis, Tessin und Appenzell Innerrhoden) lehnten ihn ab. Erstere umfassten rund sieben Achtel der Bevölkerung. Am 12. September 1848 trat die erste Verfassung, die sich das Schweizer Volk selbst gab, in Kraft. Sie gilt in ihren Grundzügen bis heute. Sie führte zur Umwandlung des eidgenössischen Staatenbundes in einen Bundesstaat. Zudem machte sie, weil die Revolutionen in den Nachbarländern scheiterten, die Schweiz für die zweite Hälfte des 19. und das frühe 20. Jahrhundert zur demokratischrepublikanischen Insel inmitten der Monarchien Europas.
Kurz vor dem Ende der ersten Seite musste Oertli ein neues Tintenfass anfangen. Die neue Tinte war wesentlich heller. (Staatsarchiv Appenzell Ausserrhoden)
Kommissionsprotokolle Die Sitzungen der Revisionskommission waren nicht öffentlich. Das von Kanzler Schiess verfasste offizielle Protokoll, das im Druck erschien, enthält gemäss Kommissionsbeschluss keine Namen der Votanten und Antragsteller. Die Dynamik des Geschehens liess sich deshalb lange Zeit nicht mehr nachvollziehen. Mit dem neuen Buch des historiografischen Publizisten Rolf Holenstein (geb. 1946) ändert sich dies nun. Da sich mit der Zeit herausstellte, dass einige Kommissionsmitglieder selber Protokolle geschrieben hatten, durchkämmte Holenstein in den letzten Jahren alle Kantonsarchive nach entsprechenden Dokumenten. Es stellte sich heraus, dass neun Kommissionsmitglieder täglich Protokoll führten und weitere sieben regelmässig Berichte und Kommentare an die Regierungen ihrer Kantone schickten. Im neuen Buch macht Holenstein diese Quellen nun zugänglich. Auch der Ausserrhoder Vertreter Johann Konrad Oertli protokollierte, trotz der schlechten Lichtverhältnisse im nur von Kerzen erhellten Verhandlungssaal, die Sitzungen regelmässig – «minuziös und klug, meist in eigentlicher Protokollform mit Sprechernamen » (Holenstein). Er sandte die mit «Dr. Oertli, Statthalter» unterzeichneten Papiere, bdie meist noch Analysen und Kommentare enthalten, laufend an seine Regierung. Sie befinden sich im Staatsarchiv Appenzell Ausserrhoden und vermitteln wertvolle Einblicke in die Tätigkeit und die Entscheidungsfindungen der Kommissionmitglieder. Ringen um Behördenarchitektur Fassbar wird nun unter anderem die schwierigste Knacknuss für die neue Bundesverfassung, die Frage nach dem Prinzip zur Gestaltung der Volksvertretung. Sollte das bisherige System der Tagsatzung beibehalten werden mit einem obersten Bundesorgan, das nur aus Kantonsvertretern besteht, und zwar aus gleich vielen Delegierten aus jedem Kanton unabhängig von dessen Grösse? Oder sollte ein nationales Parlament geschaffen werden, das aus proportional zur Bevölkerungszahl gewählten Volksvertretern besteht? Letzteres stiess bei den kleinen Kantonen auf einhellige Ablehnung, weil sie zu einer unbedeutenden Minderheit geworden wären. Als Kompromiss setzte sich ein Zweikammersystem nach dem Grundmuster der US-amerikanischen Verfassung durch. Als Vertreter eines kleinen Halbkantons sprach sich Johann Konrad Oertli zunächst für die Beibehaltung der Tagsatzung aus. Obwohl er in seiner Analyse zur 14. Kommissionssitzung vom 7. März zur Überzeugung kam, dass das Zweikammersystem wohl die einzige Möglichkeit für einen Kompromiss bilde, attackierte er dieses am 20. März vor der Revisionskommission scharf. Er bezeichnete es als Spielzeug, mit dem die entmachteten kleinen Kantone abgefertigt werden sollen, und brachte ein eigenes Modell für ein Einkammersystem ins Spiel. In der entscheidenden 23. Sitzung vom 23. März stimmte er dem Zweikammersystem jedoch zu. Er hatte Vertrauen in den Kompromiss gewonnen, stellte sich damit aber gegen die Mehrheit seiner Kantonsregierung.Begleitbrief (oben) und erste Seite von Oertlis Protokoll über die wichtige 23. Sitzung der Bundesrevisionskommission vom 23. März 1848.  

Johann Konrad Oertli

An den 31 Sitzungen der Bundesrevisionskommission, an denen er teilnahm, intervenierte Johann Konrad Oertli (1816–1861) siebzehn Mal. «Nicht allzuoft also, aber er bringt Substantielles vor» (Holenstein). Er war zusammen mit dem Obwaldner Alois Michel (1816–1872) das jüngste Kommissionsmitglied. Als einer von drei Ärzten gehörte er zu einer neuen, akademisch gebildeten Führungselite mit liberalen politischen Ansichten. Die politische Laufbahn wurde Oertli gleichsam in die Wiege gelegt. Bereits die vier Generationen vor ihm hatten ein Amt in der Kantonsregierung ausgeübt. Sein Vater, ebenfalls Arzt von Beruf, gehörte zu den massgebenden Kräften, die Appenzell Ausserrhoden ab 1825 zu einem Vorzeigemodell für ein liberal-demokratisches Staatswesen machten. 1841 wurde der fünfundzwanzigjährige Oertli in den Teufner Gemeinderat und in die kantonale Sanitätskommission gewählt. 1844 wurde er Gemeindepräsident und damit auch Mitglied des Grossen Rates. Ende April 1845 erfolgte die Wahl in die Kantonsregierung und die Ernennung zum Tagsatzungsgesandten. Dies verdankte er zu einem schönen Teil seinem kompromisslosen Engagement gegen die Jesuiten. Im November 1848 wurde Oertli der erste Ständerat von Ausserrhoden. Bereits nach vier Monaten trat er aber zurück, um seiner schwer erkrankten Frau beistehen zu können. Die Wahl zum Landammann nahm er kurz danach jedoch an. 1853 wählte ihn eine launige Landsgemeinde aus der Kantonsregierung ab, bestimmte ihn aber gegen seinen Willen zum Nationalrat. Mit dem vorübergehenden Wegzug nach Konstanz erreichte er aber seine baldige Entlassung. Gegen die erneute Wahl leistete er 1857 keinen Widerstand mehr. Ab Ende 1858 hinderte ihn eine Krankheit an der Ausübung des Mandats. Nach der Amputation eines Fusses erlag er am 21. Juli 1861 dem Wundfieber. Weiterführende Literatur: • Rolf Holenstein: Stunde Null. Die Neuerfindung der Schweiz im Jahr 1848. Die Protokolle und Geheimberichte der Erfinder. Basel 2018. • NZZ Geschichte Nr. 17/Juli 2018, S. 27–57.

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