So sehen die geringelten Bäume im Steineggwald aus. Foto: tiz
Beim «Ringeln» wird die Flüssigkeitszufuhr eines Baums unterbrochen. So trocknet er im stehenden Zustand aus und kann später gefällt werden. In den Teufner Wäldern sind derzeit einige Bäume mit so einem Ring zu sehen – daraus wird Mondholz für eine grosse Überbauung im Meilen.
Auf den ersten Blick könnte man meinen, ein paar Jugendliche hätten sich einen Spass erlaubt. Aber der Eindruck hält nicht lange. Zu viele Bäume entlang des Teufner Vitaparcours weisen die gleiche Zeichnung auf. Zu sauber sind die Ringe in die Rinde «geschnitzt». Mit jugendlichem Unfug hat das «Ringeln» denn auch nichts zu tun – wohl aber mit dem Mond, Respekt vor der Natur und einem Überbauungsprojekt mit 120 Wohnungen in Meilen (ZH).
Diese Bäume im Steineggwald sind einige der rund 200 Fichten und Tannen aus den Teufner Wäldern, die für das Grossprojekt ausgewählt wurden. Sie reichen aber bei Weitem nicht. Für diesen einzigartigen Auftrag ist die Firma Nägeli AG aus Gais auf die Forstreviere von ganz Ausser- und Innerrhoden angewiesen. «Insgesamt benötigen wir für den Vollholzbau rund 13’500 Kubikmeter Holz. Davon stammen 8000 m3 aus AR und AI. Den Rest kaufen wir in der Innerschweiz ein», sagt Geschäftsführer Hannes Nägeli. Das Projekt zeichnet sich aber nicht nur durch seine Grösse aus. Bauherrin der Mehrgenerationen-Siedlung Burkwil in Meilen ist die gemeinnützige Stiftung Burkwil. Ihr Ziel: Nachhaltiger Lebensraum für alle Generationen schaffen. Dafür soll in den nächsten zwei Jahren ein neues Wohnquartier entstehen – mit 120 Wohnungen und Platz für Kleingewerbe. Bei der Planung wurde nicht bloss Wert auf den energetischen Fussabdruck nach dem Bau, sondern auch auf die Verwendung möglichst ökologischer Materialien gelegt. Die Vorgabe für die Nägeli AG: Der Holzbau muss vollständig mit Schweizer «Mondholz» erstellt werden. «Für uns ist das natürlich ein sensationeller Auftrag. Nicht nur aus wirtschaftlicher Sicht. Auch, weil wir die gleiche Wertehaltung wie die Bauherrschaft haben», sagt Hannes Nägeli.
Fällen, wenn es passt
Das Forstrevier Teufen rückte am 12. Februar fürs «Ringeln» aus. Dazu montieren die Forstwarte einen speziellen Aufsatz auf ihre Kettensägen. «Damit lässt sich der Ring fräsen», erklärt Revierförster Thomas Wenk. Durch die gezielte Verletzung des Baums wird ein Teil des Flüssigkeits- und Nährstofftransports unterbrochen. In der Folge stirbt der Baum ab bzw. trocknet langsam aus. Insbesondere bei Mondholz hat diese Technik einen grossen Vorteil. Das Schlagen von Holz in einer bestimmten Mondphase ist eine uralte Tradition. Sie wird heute noch gepflegt und gewinnt wieder an Beliebtheit. «Bei uns nehmen die Anfragen stetig zu. Seit Corona noch mehr als zuvor», sagt Hannes Nägeli. Dem Mondholz sagt man zwei entscheidende Charaktereigenschaften nach: Es sei im verbauten Zustand deutlich widerstandsfähiger gegen Schädlinge (z.B. Käfer, Pilze oder Schimmel) und es strahle eine positive Grundenergie aus. Perfekt für Wohnraum also. Das Fällen grosser Mengen von Mondholz ist allerdings eine logistische Herausforderung. Denn der Zeitpunkt muss sich nach dem vom Kunden favorisierten Kalender richten. «Da kann man dann natürlich nicht aufs Wetter schauen und muss an einem Tag oft sehr viele Bäume fällen», sagt Revierförster Thomas Wenk. Hier kommt das Ringeln ins Spiel. Statt die Fichten und Tannen für die Nägeli AG alle am Tag der gewünschten Mondphase zu fällen, werden bloss die Ringe gefräst. Danach müssen die Bäume mindestens einen Monat ruhen. So verlieren sie einen Grossteil der gespeicherten Flüssigkeit. Anschliessen kann das Team des Forstreviers die Bäume gestaffelt fällen. Ohne dabei ein Sicherheitsrisiko einzugehen oder wegen schlechten Bedingungen zu viel Landschaden verursachen zu müssen. Dank des rechtzeitigen «Ringelns» können die Bäume laut Hannes Nägeli ohne Stress gefällt werden und trotzdem behält das Holz den Mondholz Status.
Hannes Nägeli ist Geschäftsführer der Nägeli AG in Gais. Foto: zVg
Respekt vor dem Wald
Zwischen 150 und 200 Jahre. So alt sind die Fichten und Tannen, die für das Projekt in Meilen gefällt werden. «Wir haben ja keine Vorstellung, was diese Lebewesen in so vielen Jahren alles erlebt haben. Wie sie kommunizieren, was sie fühlen. Deshalb müssen wir den Wald mit Respekt behandeln.» Hannes Nägeli pflegt bei der Holzverarbeitung einen ganzheitlichen Ansatz. Dieses Konzept hat auch einen Namen: Geomantie. Gemeint ist damit aber nicht die gleichnamige Form der naturbasierten Hellseherei, sondern die sogenannte Lehre der ganzheitlichen Lebensraumgestaltung. «Wir haben mit diesem Ansatz und der dazugehörigen Ausbildung sehr gute Erfahrungen gemacht. Und die Nachfrage wächst.» Das Konzept basiert auf überliefertem Wissen über Erdkräfte, Energieströme und Energiezentren. Das Ziel: Lebensräume zu schaffen, in denen sich die Menschen wohlfühlen. Und das beginnt bereits beim Betreten eines Waldstücks, in dem Bäume gefällt werden sollen. «Wir begrüssen den Wald immer mit einem kleinen Ritual. So zeigen wir unseren Respekt», erklärt Hannes Nägeli. tiz
Wertschöpfung in der Region
Es ist ein schöner Auftrag für die Forstreviere in Ausser- und Innerrhoden: 8000 Kubikmeter Mondholz. Aber nicht nur im Forst generiert das Grossprojekt Umsatz – auch die Weiterverarbeitung passiert zu einem grossen Teil in der Region: Gesägt wird in Speicher (Teil der Nägeli AG) und dann wandern Balken und Bretter weiter zur Nägeli AG in Gais. «Ein Teil wird natürlich auch von unseren Lizenznehmern verarbeitet. Alles auf einmal könnten wir hier nicht bewältigen», sagt Hannes Nägeli. Am Standort in Gais arbeiten 80 Mitarbeitende – weitere 20 sind im Sägewerk und der Zimmerei in Speicher tätig. Das Aufrichten vor Ort in Meilen (ZH) soll im Frühjahr 2022 beginnen.