Ein Hilferuf aus Kurdistan: Flüchtlinge leiden unter Hitze und Durst

15.07.2017 | Erich Gmünder
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Ueli Schleuniger reist am Sonntag wieder nach Kurdistan, um Tanklastwagen für die Versorgung der notleidenden Flüchtlinge zu kaufen. Fotos: EG

Interview: Erich Gmünder

Während wir bei 33 Grad Celsius über die Bruthitze klagen – und gleich anschliessend über das Regenwetter, plagen die Flüchtlinge in den Camps in Kurdistan existenziellere Sorgen: In den Zelten herrschen Temperaturen bis zu 53 Grad, und das Wasser wird knapp.

Die Pfarrei Teufen-Bühler-Stein erreichte ein Hilferuf von Eskandar Salih von der Barzani-Stiftung BCF. Die Kapazitäten der Stiftung reichen nicht aus, um die Flüchtlinge ausreichend mit Wasser zu versorgen. Dringend benötigt werden deshalb weitere Trinkwasser-Tanklastwagen zur Verteilung des lebensnotwendigen Gutes. Der Hilferuf hat Pfarreileiter Stefan Staub und den Projektkoordinator des Konvois für Kurdistan, Ueli Schleuniger aufgeschreckt. Mit einem Aufruf wollen sie innert Tagen die nötigen Mittel auftreiben, damit zwei bis drei Tanklastwagen gekauft werden können.

Projektkoordinator Ueli Schleuniger fliegt am kommenden Sonntag nach Erbil, der Hauptstadt der Autonomen Region Kurdistan, um mit den Spenden aus dem Rotbachtal die Fahrzeuge zu kaufen, in Betrieb zu nehmen und deren Einsatz in den ersten Tagen zu begleiten. Zudem ist die Begleitung einer Versorgungstransports nach Mosul geplant.

Ueli Schleuniger, wie ist die Situation in den Camps

Wir sprechen hier von den Camps, die seit Sommer/Herbst 2016 in kurzer Zeit aus dem Boden gestampft wurden. Hier leben rund 90’000 sogenannte Binnenflüchtlinge aus dem Norden Iraks, die vor den Kriegswirren in Mosul geflohen sind. In den letzten Tagen wurde auch der Westen der Stadt von der Terrororganisation IS befreit. Doch an eine Rückkehr der Flüchtlinge ist noch längere Zeit nicht zu denken, da die Stadt in Trümmern liegt und teilweise vermint ist. Immer wieder versuchen Flüchtlinge, in den bereits seit längerem befreiten Osten der Stadt zurückzukehren, geben aber dann meistens auf und kehren in die Camps zurück, wo sie sich mit ihren Familien sicher fühlen.

Sie haben die Lager vor zwei Monaten, Ende Mai, mit einer Delegation aus dem Rotbachtal besucht. Was haben Sie da erlebt?

Die Familien leben in Zelten, die von der UNO-Flüchtlingsorganisation UNHCR bereitgestellt werden. Die Camps werden durch die Barzani-Stiftung BCF betrieben. Diese ist aber an ihre Grenzen gestossen. Bereits Ende Mai machte den Menschen (und auch uns Besuchern) zu schaffen, herrschten doch damals bereits Temperaturen um 40 Grad. Da kein Strom zur Verfügung steht, können die Zelte nicht klimatisiert werden.

In den Zelten, wo vier bis fünf Menschen auf engem Raum zusammen leben, sind die Temperaturen rund zwei bis drei Grad höher. Wie sich das bei aktuell bis zu 53 Grad anfühlt, wage ich mir gar nicht vorzustellen.

Die Menschen klagten aber nicht nur über die Hitze, sondern auch über den akuten Wassermangel.

Flüchtlinge im Camp Chamakor zeigen eine Wasserflasche mit trübem Inhalt und bitten den Reporter um Hilfe.

Pro Kopf und pro Tag stehen 30 Liter Wasser zur Verfügung, was für Trinken, Kochen und Körperpflege reichen muss. Zum Vergleich: in Westeuropa beträgt der Verbrauch durchschnittlich 120 bis 160 Liter pro Tag. Wegen Versorgungsengpässen sind aber auch die 30 Liter Wasser oft Theorie. Die Folge sind Dehydrierung und Zunahme von Krankheiten, was vereinzelt bereits zu Todesfällen führte.

Wo setzt nun die Hilfe aus dem Rotbachtal an?

Wir werden je nach Eingang der Spenden zwei bis drei Tanklastwagen kaufen, mit je 7500 bis 10’000 Liter Tankinhalt. Wir kaufen diese auf dem lokalen Occasionsmarkt zu einem Stückpreis von Fr. 17’000. Diese werden im Zweischichtbetrieb eingesetzt, um das Wasser von den umliegenden Quellen in die Lager zu transportieren. Die Lager sind in Sektoren aufgeteilt, wo jeweils mehrere Wassersilo stehen. Hier können die Flüchtlinge das Wasser abzapfen und in ihre Zelte bringen. Angegliedert sind auch Duschen und WC’s. Wenn genügend Wasser vorhanden ist, können sich die Menschen endlich auch wieder waschen, was nicht nur aus hygienischer Sicht, sondern auch wegen der Verbreitung von Krankheiten ein elementares Bedürfnis ist. Da vor allem Kinder und Frauen besonders unter dieser Situation leiden, werde ich vor Ort auch 1000 Packungen Windeln sowie Hygieneartikel kaufen und verteilen.

Und wie lange wird diese Hilfe benötigt?

Zurzeit weiss niemand, wie lange die Menschen in den Flüchtlingscamps bleiben müssen. Vereinzelt versuchen immer wieder Familien, in ihre Dörfer und Städte zurückzukehren und müssen dann oft enttäuscht und desillusioniert aufgeben und zurückkehren. Eines ist bei allen Besuchen klar geworden: Die Menschen wollen in der Region und bei ihren Familien bleiben; niemand sprach davon, dem Elend durch eine Flucht in den Westen zu entkommen. Es geht vorerst also um Überlebenshilfe. Mittel- und langfristig geht es um den Wiederaufbau. Auch in diesem Bereich werden wir uns noch verstärkt engagieren. So ist geplant, Gewächshäuser, sogenannte Green Houses zu finanzieren, mit Erschliessung von Grundwasser, damit die Menschen die Zutaten zu ihrem Nationalgericht, Tomaten und Gurken, anbauen können und wenigstens teilweise zu Selbstversorgern werden. Produktionsüberschüsse werden durch die Bauern verkauft, damit sie sich ein bescheidenes Einkommen erarbeiten können.

Ähnliche Projekte gibt es bereits in den Bergen von Sindschar Mountains, wo die vorwiegend jesidische Bevölkerung aus der zerbombten Stadt Sindschar-City Zuflucht gefunden hat. Die rund 17’000 Bewohner sind daran, sich in eigenen Kommunen zu organisieren; es gibt Schulen, Ausbildungsmöglichkeiten für Jugendliche, Anbau von Weizen, Schafe werden gehalten, kurzum: die Selbstversorgung beginnt zu greifen.

Die beiden Schulbusse, finanziert mit Spenden aus dem Rotbachtal, wurden im Mai übergeben.

Wir haben dieses Camp ebenfalls im Mai besucht und dort zwei Schulbusse, einen Trinkwassertanklastwagen, einen Traktor mit Anhänger für die Abfallentsorgung sowie Generatoren für die Stromerzeugung übergeben, um diese Entwicklung zu unterstützen. Für die Camps mit den irakischen Flüchtlingen aus Mossul bleibt das aber vorläufig Zukunftsmusik.

Wie geht es danach weiter?

Die Pfarrei plant im Frühjahr bereits den nächsten Konvoi nach Kurdistan. Anfangs Jahr starten wir wieder mit einer Sammelaktion für Kleider und andere Hilfsmittel sowie Geldspenden für die Nahrungsmittelhilfe und für Hygieneartikel. Falls jetzt mehr Geld zusammenkommt, als für die Trinkwasserversorgung benötigt wird, fliesst dieses in die kommenden Projekte. Vorerst geht es aber um reine Überlebenshilfe.

Sie reisen jetzt bereits zum 8. Mal nach Kurdistan, diesmal bei dieser Gluthitze. Was treibt Sie an?

Das Gefühl, der eigenen Ohnmacht und Machtlosigkeit etwas entgegensetzen zu können. Man fühlt sich in Anbetracht des Elends wirklich machtlos. Dank der Unterstützung breiter Kreise aus dem Rotbachtal können wir aber wirklich etwas bewirken. Den Menschen dort tut es aber schon einfach gut, wenn man ihnen zuhört, wenn sie wahrgenommen werden und wissen, dass man sie nicht vergisst. Das erlebe ich bei den Besuchern immer wieder: Strahlende Kinderaugen, Dankbarkeit in den Gesichtern von Müttern – das tut gut und hilft über die Frustration hinweg, dass die Hilfe schliesslich trotz allem nur ein Tropfen auf den heissen Stein bleibt. Aber wir tun etwas, wir retten Menschenleben und das ist wohl auch nachhaltig, oder nicht?

Spenden für den Ankauf von Tanklastwagen an:
Konto: Kath. Kirchgemeinde Teufen-Bühler
Bank: Raiffeisenbank Appenzell
IBAN: CH17 8102 3000 0037 2636 1
BC-Nr: 81023
SWIFT-Code:RAIFCH22
Vermerk: Wasser

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