Der Pro Natura Geschäftsführer Christian Meienberger mit seiner weissen Hündin Moyra. Foto: tiz
Am 27. September stimmt die Schweiz über die Änderung des Jagd- und Schutzgesetzes (JSG) ab. Auslöser war ein von den Naturschutzverbänden ergriffenes Referendum gegen die Anpassungen. Aber was verändert sich denn überhaupt gegenüber der geltenden Fassung von 1986? Die TP hat mit Christian Meienberger gesprochen. Er ist seit 20 Jahren Geschäftsführer von Pro Natura St. Gallen-Appenzell und sitzt in der Jagdkommission von Appenzell Ausserrhoden.
Und was denken die Jäger? Die TP hat auch beim Teufner Andreas Weder nachgefragt. Seine Meinung: Das neue Gesetz ist wichtig und sinnvoll. Mehr lesen Sie im Kasten.
Herr Meienberger, das bestehende Jagd- und Schutzgesetz stammt aus dem Jahr 1986. Braucht es mittlerweile ein neues?
Nicht grundsätzlich. Aber gewisse Anpassungen wären sinnvoll. Das betrifft beispielsweise den Herden- und Artenschutz – aber auch die Finanzierung.
Das Grundgesetz an sich funktioniert auch heute noch?
Das ist ein sehr gutes, fein ausgearbeitetes und bewährtes Gesetz. Heute herrscht teilweise «Gesetzitis». Man geht davon aus, ein Gesetz müsse spätestens alle zehn Jahre angepasst werden. In diesem Fall stimmt das sicher nicht.
Die Anpassungen des JSG gehen auf die «Motion Engler» von 2014 zurück. Damals waren die Naturverbände noch dafür.
Richtig. Damals ging es allerdings um einige sinnvolle Verbesserung des bestehenden Gesetzes – das empfehlen wir ja auch. Während den Verhandlungen im Parlament wurde daraus aber etwas ganz anderes. Nun sprechen wir über ein neues Gesetz, das schlechter ist als das bestehende.
Warum schlechter?
Das Parlament hat die Chance verpasst, gefährdete Arten effektiv zu schützen …
… wie den Hasen auf dem Banner an Ihrem Haus?
Zum Beispiel. Die Jagd auf Feldhasen ist ein Relikt aus der Vergangenheit. Dass das noch erlaubt ist, macht überhaupt keinen Sinn. Die Hasen sind bei uns stark gefährdet und die Jagd auf sie sollte nicht erlaubt sein. Aber es geht auch um andere Arten. Beispielsweise der Birkhahn oder das Schneehuhn. Beides gefährdete Vogelarten aus dem Hochgebirge, die unter der Ausbreitung des Freizeittourismus und der Klimaerwärmung leiden.
Diese Arten waren bisher geschützt?
Nein, sie waren jagdbar. Aber sie sollten dringend unter Schutz gestellt werden. Das wäre eine sinnvolle Modernisierung des Gesetzes.
Von den Gegnern des neuen JSG auch oft erwähnt: der Biber und der Luchs.
Das sind zwei weitere Arten, deren Abschuss bei einem Ja am 27. September mittelfristig möglich würde. Erinnern wir uns: Der Luchs wurde in der Ostschweiz vor 15 bis 20 Jahren wieder angesiedelt. Damals hatten wir mit ihm ähnliche Probleme wie mit dem Wolf. Mittlerweile ist er kaum noch ein Thema. Wir haben gelernt mit ihm zu leben. Nur bei den Jägern – insbesondere bei den Revierjägern – wird noch über ihn diskutiert, weil seine Anwesenheit das Rehwild scheu werden lässt.
Beim Biber sind die Probleme anderer Natur.
Der Biber hat sich mittlerweile wieder stark ausgebreitet. Seine Dämme sind zwar für die Biodiversität extrem wertvoll, da sie neue Lebensräume schaffen. Aber das aufgestaute Wasser kann auch zu Problemen führen. Beispielsweise wenn es wie im Amphibienschutz-Gebiet Buriet droht, die nahe Industrie zu überschwemmen. Aber Abschüsse machen beim Biber sowieso keinen Sinn.
Warum?
Der Biber ist – anders als die Raubtiere – ein reproduktionsstarkes Tier. Wenn er irgendwo heimisch geworden ist, wird man ihn durch Abschüsse nicht so schnell wieder los. Viel sinnvoller ist es daher, seine Stautätigkeit zu regulieren. Und wir wissen, dass das gut funktioniert. Beispielsweise mit Elektro-Hägen, die es ihm verunmöglichen, weiter hoch zu stauen.
Sie als Gegner führen Biber und Luchs als starkes Argument auf. Wer das neue Gesetz liest, stellt aber fest: beide Arten werden darin nicht erwähnt, sie …
… das ist schon richtig. Aber sie gehören zu den Anwärtern von «regulierbaren Arten», die der Bundesrat bestimmen kann.
Aber das Bundesamt für Umwelt (BAFU) hat bereits versichert, dass diese Arten nicht auf der Liste stehen bzw. auch nicht aufgenommen werden.
Für den Moment stehen sie nicht darauf. Aber Sie müssen auch wissen: Anfangs waren beide drauf. Nur wegen abstimmungstaktischen Gründen wurden sie vom Nationalrat gestrichen. Sie können sich ausrechnen, wie schnell es bei einer Annahme des Gesetzes ginge, bis sie wieder auf der Liste wären. Das ist eines der Kernprobleme des neuen JSG: Viele wichtigen Entscheidungen werden in Zukunft nicht mehr aus fachlichen, sondern aus politischen Gründen gefällt.
Damit wären wir bei einem anderen medienwirksamen Tier: dem Wolf. Hier vollzieht das neue Gesetz einen Paradigmenwechsel.
Einen Wechsel, den wir als falsch erachten. In der Vergangenheit lag die Entscheidungskompetenz beim Schutz der Wölfe beim Bund. Das bedeutet: Wenn ein Kanton einen Wolf als schadensverursachend eingestuft hat, musste er beim Bund ein Gesuch für dessen Abschuss einreichen. Erst wenn dieses bewilligt war, durfte das Tier geschossen werden. Mit dem neuen Gesetz würde sich diese Kompetenz auf die Kantone verschieben.
Inwiefern ist das problematisch?
Ein Beispiel: Der Kanton Appenzell Innerrhoden hat in den vergangenen drei Jahren immer ein Gesuch für die Hirschjagd im eidgenössischen Jagdbann-Gebiet Säntis gestellt. Das BAFU hatte dies jeweils bewilligt, weil Innerrhoden auch ein «Waldhirsch-Konzept» dazu eingereicht hat. Es sah vor, dass bei der Waldbewirtschaftung, bei den Bauern und bei der Jagd einiges unternommen wird, um den Lebensraum zu verbessern bzw. das Zusammenleben von Mensch und Hirsch zu ermöglichen.
Klingt doch sinnvoll.
Das Konzept wäre gut, ja. Allerdings wurde überhaupt nichts unternommen. Mit Ausnahme der Jagd. Man hat die «störenden Hirsche» einfach erlegt. Diesem Vorgehen hat das BAFU nun einen Riegel vorgeschoben und die Tiere damit geschützt. Hier liegt das Problem. In Zukunft gäbe es dieses Kontrollorgan nicht mehr. Die Kantone wären ihrem internen, politischen Druck schutzlos ausgeliefert.
Und Sie glauben, das würde auch zu ungerechtfertigten Abschüssen von Wölfen führen?
Davon bin ich überzeugt. Heute gilt ein Wolf nur als schadensverursachend, wenn er eine bestimmte Menge von Schafen einer geschützten Herde reisst. Ein Beispiel dafür wäre ein Wolf, der ausnahmsweise gelernt hat, über einen Hag zu springen. Erst, wenn einem Tier unzweifelhaft genügend solcher Schaf-Risse zugeordnet werden können, gibt der Bund das Okay zum Abschuss. Für den Bund ist das kein Problem. Aber die Kantone stehen unter grossem Druck von den Bauern. Und ich kann Ihnen sagen, dass es auch in der Ostschweiz viele gibt, die einen Wolf bereits nach dem ersten Schaf-Riss in einer ungeschützten Herde abschiessen lassen würden.
Sie loben den Bund. Aber es gibt auch Themen, bei denen er noch mehr tun könnte. Zum Beispiel bei den Wildkorridoren. Sie werden mit dem neuen Gesetz immerhin höher gewichtet.
Natürlich könnte und sollte noch mehr gemacht werden. Aber der Bund tut auch viel. Allerdings sind ihm bei Gebieten bzw. Strassen, die nicht dem ASTRA unterstellt sind, auch oft die Hände gebunden. Die Wildkorridore werden in den kantonalen Richtplanungen zwar rechtsverbindlich ausgewiesen, aber für deren Durchsetzung sind die Gemeinden zuständig. Daran scheitert es oft.
Sie klingen nicht gerade wie ein Fan unseres föderalistischen Systems.
Das System ist nicht das Problem. Aber es ist wichtig, dass für jede Aufgabe die richtige Stufe gefunden wird. So ist es beispielsweise richtig, dass die Kantone die Abschusszahlen für die Jagd festlegen. Sie haben den Überblick. Demgegenüber macht es überhaupt keinen Sinn, dass jeder Kanton den Abschuss eines Problemwolfs erneut beantragen muss, wenn er weiterwandert.
Das ist heute so?
Ja. Ein männlicher Jungwolf auf Wanderschaft kann in einer Nacht bis zu 100 Kilometer zurücklegen. Und er kennt keine Kantonsgrenzen. Es gab vor ein paar Jahren einen Fall eines Schadenswolfs, für den Graubünden, St. Gallen, Ausserrhoden und der Thurgau einzeln den Abschuss beantragen mussten, weil sie ihn nicht erwischt hatten. Das ist doch nicht praktikabel.
Anders gesagt: Mehr statt weniger Kompetenzen für den Bund?
Bei Arten, deren Populationen grosse Räume benötigen oder weit wandern, macht eine zentrale Verwaltung auf jeden Fall Sinn. So können auch Verständigungsengpässe zwischen den Kantonen verhindert werden.
Besonders betroffen von neuen JSG sind Bauern und Jäger. Erst zu den Bauern: Was sagen Sie denen?
Sie sind aus meiner Sicht die Verlierer dieses neuen Gesetzes. Bisher wurden Bauern bei einem Riss durch ein Raubtier wie dem Wolf immer entschädigt. Neu würde das nur noch passieren, wenn die nötigen Schutzmassnahmen vorhanden sind. Ausserdem werden die Herdenschutzmassnahmen – wie insbesondere von den Bergbauern gefordert – auch Zukunft nur zur Hälfte vergütet.
Und den Jägern?
Viele der Jäger sind sowieso schon gegen die Vorlage. Einer der Gründe ist sicher das Thema Jagdpatent. Heute werden die Jagdpatente kantonal vergeben. Das bedeutet: Das St. Galler Jagdpatent ist zum Beispiel im Wallis nicht gültig. Den Jägern ist es schon lange ein Anliegen, das zu vereinfachen bzw. zu zentralisieren.
Heute liegen Sie als Gegner bei den Umfragen hinten. Wie schätzen Sie Ihre Chancen ein?
Wir haben auf jeden Fall noch nicht aufgegeben (lacht). Es ist in diesem Jahr nicht einfach, einen Abstimmungskampf zu führen. Nicht nur wegen Corona. Auch, weil die Behörden die Vorlage mit allen Mitteln durchbringen wollen. Aber uns bleibt ja noch etwas Zeit.
Falls Sie gewinnen, bleibt das Gesetzt von 1986 in Kraft. Wie schlimm wäre das?
Gar nicht schlimm. Wie gesagt: Es ist ein sehr gutes, funktionierendes Gesetz. Dann ginge es darum, sinnvolle, punktuelle Verbesserungen vorzunehmen. So, wie es eigentlich gedacht war. tiz
Der Jäger sagt «Ja»
«Ich sehe das nicht so schwarz wie die Gegner. Warum sollte der Kanton plötzlich willkürlich Wölfe zum Abschuss freigeben?» Der Teufner und langjährige Jäger Andreas Weder hat das neue Jagd- und Schutzgesetz ebenfalls studiert. Für ihn ist es eine nötige und sinnvolle Aktualisierung der gültigen Fassung. «Die Gegebenheiten haben sich in dieser Zeit massiv verändert. Die Gesetzgebung sollte der neuen Situation angepasst werden.» Dabei spricht er insbesondere von Grossraubtieren wie dem Wolf, dem Luchs oder dem Bär und dem dazugehörigen Herdenschutz. Dass mit dem neuen Gesetz der Kanton abschliessend darüber entscheiden kann, ob ein Tier geschossen werden kann, sieht er anders als die Naturschutzorganisationen eher als Vor- denn als Nachteil: «Wenn Schafe gerissen werden oder Wildschweine Schaden verursachen, muss man sofort handeln können. Das ist nicht der richtige Zeitpunkt für Bürokratie-Mühlen in Bern.»
So oder so: Für die Jagd im Appenzellerland würde sich mit dem neuen Gesetz kaum etwas ändern. «Wir schiessen schon sehr lange keine Feldhasen mehr – und Waldschnepfen und Birkenhähne dürfen wir hier sowieso nicht bejagen. Auch das Thema Grossraubwildtier beschäftigt uns nicht, das übernehmen die Wildhüter.» Es gibt aber ein Raubtier, das auch die Teufner Jäger spüren: den Luchs. Seine Anwesenheit in den Wäldern der Region macht das Wild scheu und damit schwerer zu jagen. «Der Luchs ist aber schon lange hier. Daran haben wir uns gewöhnt. Ein Grund für einen Abschuss wäre das noch lange nicht.»
Andreas Weder bei einem Jagd-Ausflug im Herbst 2019. Foto: Archiv
Andreas Weder ist aber nicht in allen Punkten mit dem neuen Gesetz einverstanden. Zum Beispiel beim Thema Entschädigung für die Bauern. «Da wird spürbar, dass es sich um einen Kompromiss handelt. Die Bauern werden nur noch für ein gerissenes Tier entschädigt, wenn ausreichender Herdenschutz vorhanden war. Und dieser wird ihnen auch nicht vollständig bezahlt.»
Er als Ausserrhoder Jäger stimmt dem neuen Gesetz grundsätzlich zu. Nicht nur, weil es der neuen Realität entspreche. Er ist auch überzeugt davon, dass es den Artenschutz genügend berücksichtigt. «Natürlich haben Bund und Kantone damit einen gewissen Spielraum. Aber warum sollten sie plötzlich willkürlich seltene Arten jagen lassen und nicht mehr schützen? Das macht doch keinen Sinn. Ich glaube auch hier sollten der Föderalismus und das Konzept der Nähe spielen. Bisher macht das unser Kanton ja auch sehr gut.»
Und was ist mit der Patentjagd? Das neue Gesetz sieht vor, dass das Patent weiterhin kantonal ausgegeben wird und nicht für die ganze Schweiz Gültigkeit hat. Dazu der Jäger: «Das finde ich richtig so. In der Schweiz gibt es je nach Region grosse Unterschiede, was den Wildbestand bzw. die gesamte Fauna betrifft. Deshalb sollte das Patent dort ausgegeben werden, wo der Jäger aktiv ist.»