Ein 4-Minuten-Gedanke zum Nationalfeiertag

28.07.2017 | TPoscht online
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Das Feuerwerk setzte den Schlussakzent. Hans Zürcher fotografierte vom Unterrain aus.
Heimatlos: Eine auf die Hälfte reduzierte Familie aus Mosul im Camp Chamakor in Kurdisch Nordirak. Aufgenommen am 25. Mai 2017

 

Man könnte meinen, dass es für einen Pfarreileiter, der gleichzeitig als Hauptmann und Armeeseelsorger wirkt, ein Leichtes ist, über Heimat zu sprechen. Dem war vermutlich auch so, solange ich das „Ausland“ lediglich von netten Familienreisen und Ausflügen nach Mallorca und Legoland, Tirol und Jesolo her kannte. Doch nach mehrjährigen beruflichen Einsätzen für die Armee im Balkan und nach zwei weiteren als Mitglied des Projektteams „Hilfe für Kurdistan“ im Norden Iraks, hat sich meine Sicht auf die Heimat grundlegend verändert.

Stefan Staub, Pfarreileiter Kath. Pfarrei Teufen-Bühler-Stein

Vor allem meine jüngste Reise in die Region der Millionenmetropole Mosul hat meinen Heimatbegriff geprägt. Es war im Mai dieses Jahres, als ich mit fünf Mitreisenden aus dem Appenzellerland die Flüchtlingscamps in der Ninive-Ebene besuchte. Zelt an Zelt reiht sich über Quadratkilometer unter der sengenden Sonne. Bis zu 30’000 Menschen, allesamt Geflohene aus den Gebieten, in denen der IS bis vor wenigen Tagen herrschte, leben dort unter widrigsten Bedingungen. Die UN hat kein Geld, um die Flüchtlinge genügend zu verpflegen.

Als ob die Traumata durch Vertreibung, Sklaverei, Folter, Genozid und Zwangskonversion nicht schon genug wären, leiden die „Geretteten“ zurzeit bei bis zu 52 Grad Celsius an Wassermangel. Der Tod durch Verdursten hängt schwer in der Luft.

Wir blickten in Augenhöhlen, die Dinge sahen, die wir aus den Geschichtsbüchern über die Nazizeit und Auschwitz kennen. Menschen, die bis vor wenigen Jahren ein normales, bürgerliches Leben geführt haben, die in Syrien Lehrer, Bauarbeiter, Dorfpolizisten, Pöstler, Geschäftsbesitzer waren und von heute auf morgen alles, aber wirklich alles verloren haben: ihre Ersparnisse, Pensionskassengelder, ihre Häuser und vor allem ihre Liebsten…

Wir sahen Fotos von Liebespaaren, wie sie einst dieselben Reisen machten wie wir, nach Istanbul, Athen und ja sogar nach München. Das war alles einmal. Heute fehlen die Menschen, die uns auf den Fotos entgegenlachen:  der Vater oder die Mutter, oft die Töchter im Teenageralter, die irgendwo auf einem IS-Sklavenmarkt an lüsterne Männer vertickt wurden und von denen jede Spur fehlt. Und es sind nicht hundert, oder tausend, es sind zehntausende, die vermisst wurden. Und doch: in aller Unmenschlichkeit, die wir kaum aushalten, ist es der tiefe Sinn, auch in dieser menschlichen „Hölle“ füreinander da zu sein, statt für sich zu schauen.

Was bedeutet für diese Menschen Heimat?  Sagen Sie es mir, denn ich weiss es nicht. Ich weiss nur, dass Heimat fehlt, wenn sie verloren geht und dass sie etwas ganz Fragiles ist.  Sie ist nicht abhängig von Armeen, sondern wie Menschen in Krisen miteinander umgehen. Sie ist nicht Pathos, sondern ist Auseinandersetzung.  Sie ist letztlich ein Geschenk. Und deshalb darf sie nicht dümmlichen, populistischen Parolen überlassen werden.

Wir feiern unsere Heimat – ob mit Grill, Ansprachen oder Feuerwerk – und gehören zu den ganz wenigen Promillen von Menschen dieser Welt, die nicht sehr viel tun müssen dafür. Wenn zwischen Bier und Cervelat, Nationalhymne und Vulkan der leise Gedanke kommt, dass unsere Heimat keine Selbstverständlichkeit ist und wir deshalb auch in Pflicht stehen, uns um die Menschen zu kümmern, denen sie genommen wurde, haben sich die vier Minuten, die Sie zum Lesen meiner Gedanken eingesetzt haben, gelohnt.

(Der Beitrag erschien zuerst als Sonntagsgedanke in der Appenzeller Zeitung vom 28. Juli 2017)

 

 

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