Sepp Zurmühle
Am Sonntag, 30. Mai, versammeln sich rund 30 Interessierte beim ehemaligen Bären (Beckehüsli) im Schlatterlehn. Die Sonne scheint, die Bauern mähen ihre Wiesen. Ziel ist die Erkundung der unmittelbaren Umgebung «mit wachem Blick» auf die spontane Pflanzenwelt und die Standortbedingungen.
Vorschau
Nach einer kurzen Begrüssung und Einführung in die Thematik durch Lucia Andermatt folgt die Gruppe Andreas Kuster. Schon bald geht es – via Lehn – in Einerkolonne durch eine bunte Wiese hinunter Richtung Forenbach. Es sei ein alter Wanderweg. Trotzdem wurde zuvor vom Eigentümer eine Bewilligung eingeholt.
Die dritte Aktion für Biodiversität in Teufen will die Aufmerksamkeit auf die oft unscheinbaren oder gar «verpönten» einheimischen Pflanzen lenken und deren Nutzen für Natur und Mensch ins Bewusstsein rücken, bzw. erlebbar machen.
Standortfaktoren, Biodiversitätsförderflächen
Im unteren Teil des «Töbeli» werden drei Gruppen gebildet. Zuerst werden die Teilnehmenden der Gruppe 1 gebeten ihre unmittelbare Umgebung – eine besonnte Blumenwiese – genauer zu beobachten und bewusst wahrzunehmen. Ist die Pflanzenwelt eher vielfältig oder dominieren einzelne Arten? Wie ist die Bodenbeschaffenheit, eher sandig, steinig, lehmig oder humos, eher flach- oder tiefgründig, eher mager oder nährstoffreich? Ist die Umgebung trocken oder feucht? Wie ist die Besonnung? Wie wird die Wiese vermutlich landwirtschaftlich genutzt, eher intensiv oder eher extensiv?
Die Ergebnisse der Umfrage zeigen, solche «Standortkriterien» können durchaus auch von Laien recht zuverlässig eingeschätzt werden. Hier handelt es sich um einen südexponierten, stark besonnten Hangabschnitt mit einem flachgründigen Boden, der trotz seines hohen Lehmanteils eher nährstoffarm ist und relativ schnell austrocknen kann. Die Pflanzenliste umfasst aktuell rund 15 bis 20 unterschiedliche Arten.
Andreas Kuster erklärt das Prinzip der «Zeigerpflanzen», das seit einigen Jahren in der Agrarpolitik angewandt wird, u.a. um die Ökobeiträge an die Landwirtschaft zu bemessen. Gemäss der aktuellen Landwirtschaftspolitik ist als Voraussetzung für Direktzahlungen an Ganzjahresbetriebe der sog. «ökologische Leistungsnachweis» (ÖLN) zu erbringen. Nebst der Einhaltung der Tierschutzverordnung, einer ausgeglichenen Düngerbilanz, geregelter Fruchtfolge usw. muss ein «angemessener Anteil Biodiversitätsflächen» extensiv bewirtschaftet werden. Gegenwärtig sind dies mindestens 7% der landwirtschaftlichen Nutzfläche. Diese Flächen müssen zwingend einmal pro Jahr gemäht werden (u.a. um die Bewaldung zu verhindern). Der erste Schnitt darf (in unseren Bergzonen I und II) frühestens am 1. Juli erfolgen damit die Blüten den Insekten lange zur Verfügung stehen und versamen können… Dies fördert eine nachhaltige Biodiversität bei den Pflanzen und auch der Tierwelt.
Zeigerpflanzen, Klimaxgesellschaften
Andreas Kuster zeigt uns ein paar «Zeigerpflanzen» die auf der gewählten Referenzfläche des sonnigen Standortes vorkommen. U.a. sind dies: mittlerer Wegerich, Hopfenklee, Schotenklee (Hornklee), Wiesenplatterbse, Ferkelkraut, Habichtskraut, Ruchgras, Hainsimse, Kuckuckslichtnelke, Schlaffe Segge, wilder Thymian und einige mehr.
«Angenommen, dieser Standort wird in Zukunft nicht gestört (d.h. der Standortfaktor ‘extensive landwirtschaftliche Nutzung’ bleibt gleich), dürfte die Anzahl der Pflanzenarten auf dieser Wiese ansteigen und sich in ferner Zukunft der Zahl 60 annähern, was dem Arten-Potential des Standortes entspricht», führt Andreas Kuster aus. «Obwohl uns die Wiese hier relativ artenreich vorkommt, befinden wir uns zurzeit noch weit weg von ‘einer vollkommenen Biodiversität’. Extensive landwirtschaftliche Nutzung, gekennzeichnet durch späte Mahd, späte Beweidung und knappe Nährstoffversorgung ist in der Regel förderlich für die Artenvielfalt».
Nach einigen Jahrzehnten ist an einem bestimmten Standort ein «relativ stabiler Endzustand der Vegetation» erreicht. Man spricht von «Klimaxgesellschaften» oder beim Wald von «Schlusswaldgesellschaften.
Um Ökobeiträge zu erhalten sind bislang bescheidene sechs Zeigerpflanzen erforderlich. Keine hohe Messlatte, und doch wurde in der Schweiz mit dem System der ökologischen Ausgleichsflächen ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung unternommen, um den Artenschwund zu stoppen. Weitere Massnahmen sind jedoch erforderlich. Und wie sieht es mit der Biodiversität in unseren Gärten aus?
In einer Gruppe sind zwei Knaben aufgefallen, die überraschend gut Bescheid wussten über die gängigen Pflanzen, welche sie beim Namen nennen konnten. Ihre Mutter meinte, das käme vom Waldkindergarten. Die Buben seien wirklich motiviert und würden ihr Wissen immer wieder anwenden.
Mehr Essbares am feuchten und schattigen Standort
Wir verschieben uns nur wenige hundert Meter hinunter zum Forenbach und begegnen einer komplett anderen Vegetation und anderen Standortfaktoren. Der Boden ist feucht (es gibt gar einen Weiher im Wald, viele Pflanzen befinden sich im Schatten oder Halbschatten, die Waldrand-, bzw. «Übergangszonen» verlaufen in geschwungen Linien und sind damit länger. Hinter dem Forenbach ist ein Naturschutzgebiet. Wir finden u.a. folgende Pflanzen (Wildgemüse), welche teilweise essbar sind:
– Kohldisteln (Kohlkratzdisteln) https://de.wikipedia.org/wiki/Kohldistel,
– Schlangenknöterich https://de.wikipedia.org/wiki/Schlangen-Kn%C3%B6terich,
– Mädesüss https://de.wikipedia.org/wiki/Echtes_M%C3%A4des%C3%BC%C3%9F
– Girsch https://de.wikipedia.org/wiki/Giersch
– Wiesenschaumkraut https://de.wikipedia.org/wiki/Wiesen-Schaumkraut
– Goldnessel https://de.wikipedia.org/wiki/Gew%C3%B6hnliche_Goldnessel
– Sauerklee https://de.wikipedia.org/wiki/Sauerklee
– Ährentragende Rapunzel (Teufelskralle) https://de.wikipedia.org/wiki/%C3%84hrige_Teufelskralle
Am nährstoffreicheren Feuchtstandort ist der „Artenteppich“ weniger dicht gewoben als auf der mageren Sonnenseite. Die Pflanzenarten, die hier gedeihen, haben oft grössere Blätter, sind höher und beanspruchen mehr Platz. Auch hier wird sich mit den Jahren – und bei unveränderten Standortbedingungen – die für diesen Standort typische Klimax-Gesellschaft mit vielen Pflanzenarten einfinden.
Möglichst nicht störend in die dynamischen Prozesse der Natur einzugreifen, ist ein Grundsatz, den wir ebenso im eigenen Garten anwenden können. Analog den Landwirten können auch die PrivatgartenbesitzerInnen eine Teilfläche (Vorschlag mindestens 10% der Gartenfläche) möglichst der Natur überlassen, damit sich die Vielfalt erhalten und ausbreiten kann. «Das kreative Potential der Natur ist vielen Leuten zu wenig bewusst», meint Andreas Kuster. «Mähen Sie einen Teil Ihrer Rasenflächen erst im Juli oder gar nicht mehr, überlassen Sie einen Bereich des Gartens weitgehend sich selbst und staunen Sie, welche Vielfalt an Pflanzen und Tieren sich hier einfindet, und wie schön und inspirierend Ihr kleiner Naturpark sein kann.
Überraschende Gaumenfreuden
Wir begeben uns dem kleinen Rinnsal entlang den Hügel hoch. Deutlich zu erkennen ist der markante Vegetationsunterschied, beidseitig dem Rinnsal entlang. Der üppig wachsende Bach-Nelkenwurz (https://de.wikipedia.org/wiki/Bach-Nelkenwurz) blüht gerade herrlich.
Oben in der Kalberweid angekommen, erwarten uns Silvia und Patrick Droz in ihrem Garten. Ein Dutzend essbare Pflanzen mit den passenden Beschreibungen sind auf dem Holztisch aufgestellt. Zur Begrüssung dürfen alle einen kühlen «Gold-Nessel-Drink» kosten. Die dunkle oliv-grüne Farbe besticht und der erfrischende, liebliche Geschmack begeistert. Silvia hat etwas kohlensäurehaltigen Süssmost beigegeben. «Man könnte auch Sekt untermischen, dann würde es noch stärker prickeln», meint sie. Zwischendurch werden Quarkbrötchen mit Wildkräutern serviert. (Mägis Quark mit Sauerklee und einigen Blättern Sauerampfer, Kräutersalz und Zitronenpfeffer und Lucias eingedicktes Joghurt, (Labneh) mit Girsch, Brennnesseln, Taubnesseln). Alles schmeckt wirklich vorzüglich.
Zuletzt dürfen wir den dunkelgrün gefärbten «Brennnessel-Risotto» von Patrick Droz geniessen. Die Brennnesselblätter wurden zuvor in der Pfanne angedämpft und dann dem Risotto beigemischt. Wegen dem starken Wind konnte Patrick Droz den Risotto nicht wie geplant im Garten zubereiten, sondern hat im Schuppen neben dem Haus eine Kochstelle aufgebaut.
Überall – rund um Haus und Garten – wird rege diskutiert und gefachsimpelt. Weit und breit sind nur zufriedene und positiv überraschte Gesichter zu erkennen. Auch die dritte BiodiversiTAT wird vielen Teilnehmenden als erkenntnis- und erlebnisreich in Erinnerung bleiben. Ein ganz herzliches Dankeschön an die drei Initianten von Teufens Aktion für Biodiversität (Lucia Andermatt, Mägi Bischof, Andreas Kuster) und natürlich an Silvia und Patrick Droz für die Gastfreundschaft auf der Kalberweid.