Die Tunnel-Sehnsucht wecken

06.06.2024 | Timo Züst

Der Juni steht unter dem Thema Ortsdurchfahrt Teufen (ODT). Den Anfang machen die Tunnel-Befürworter von der «IG Tüüfner Engpass» und «Komitee Teufen mit Zukunft». Sie laden am Donnerstagabend zu einem Info-Abend mit Podiumsdiskussion in den Lindensaal. Dabei dreht sich (fast) alles um die Schweizer Eisenbahn-Geschichte, den Gotthard-Tunnel und deren weitreichende Auswirkungen. Vorgetragen von Escher-Biograf und Historiker Joseph Jung.

Hinweis: Die öffentliche Veranstaltung der Gemeinde mit inhaltlichen Updates zum Tunnel-Projekt findet am 20. Juni im Lindensaal statt. Hier gibt es weitere Infos.

Das mit dem Titel ist so eine Sache. Manchmal kennt man ihn schon vor dem Tippen der ersten Zeile. Manchmal findet sich auch nach stundenlangem Brainstormen keiner. Das war für diesen Anlass auch zu befürchten. Ein Info-Anlass der Tunnel-Befürworter mit dem Ziel, Parallelen zwischen dem Teufner Tunnel-Projekt und dem Monumentalbau am Gotthard aufzuzeigen? Das zu betiteln, könnte schwierig werden. Die Sorge war aber unbegründet. Rolf Brunner, Co-Präsident der IG Tüüfner Engpass (vor dem Anlass war MV), lieferte ihn nämlich bereits während der Begrüssung. In Form eines Zitats aus dem Klassiker «Der kleine Prinz»: «Wenn Du ein Schiff bauen willst, dann trommle nicht Männer zusammen (…). Sondern lehre sie die Sehnsucht nach dem weiten, endlosen Meer.» Darum geht es an diesem Abend also: In den Zuhörenden die Sehnsucht nach dem Tunnel zu wecken oder weiter zu befeuern. Und dafür haben die Gastgeber «IG Tüüfner Engpass» und «Komitee Teufen mit Zukunft» den perfekten Redner eingeladen: Prof. Dr. Joseph Jung, Historiker, Autor wichtiger Werke zur Schweizer Wirtschaftsgeschichte und Biograf des «Eisenbahn-Vaters» Alfred Escher (1819 – 1882). Aber der Reihe nach. Denn zuerst spricht Gemeindepräsident Reto Altherr.

Katze bleibt noch im Sack

Er habe nach der Einladung Abend gerne und rasch zugesagt. Aber mit einer wichtigen Bedingung: «Zum aktuellen Stand der Projektierung kann ich hier noch nichts sagen. Diese Informationen folgen dann am 20. Juni.» Entsprechend herausfordernd war die Aufgabe des Gemeindepräsidenten Reto Altherr. Wie über etwas referieren, über das man eigentlich nichts sagen darf? Seine Lösung: Eine Rückblende zu den jüngsten ODT-Abstimmungen – «Ja» zur Volksinitiative für ein Tunnelprojekt (15. Mai 2022) und «Ja» zum Projektierungskredit über 4.45 Mio. Franken (25. September 2022) – und ein Beschrieb der Projekt-Organisation. «Grundsätzlich gibt es drei grosse Stolpersteine: die Kommunikation, die Finanzen und die Zeit.»

Ersteres sei eine Herausforderung, weil hinter den Kulissen zwar sehr viel passiere, man das aber gegen aussen kaum kommunizieren könne. «Der 20. Juni stellt für mich deshalb eine grosse Erleichterung dar. Dann können wir die Katze endlich aus dem Sack lassen.» Bei den Finanzen geht es um zwei Fragen: Reichen die 4.45 Mio. Franken, und wie würde man einen allfälligen Tunnel finanzieren? «Bisher sind wir beim Projektieren kostenmässig voll auf Kurs. Und Mitte Mai hatten wir einen Termin beim Bundesamt für Verkehr (BAV) bezüglich Tunnel-Finanzierung.» Während der späteren Podiumsdiskussion wird Reto Altherr auf die Frage nach der Rückmeldung des BAV antworten: «Wir hatten ein sehr gutes Gespräch und konnten unseren Standpunkt darlegen. Ich bin und bleibe – das muss man als Politiker immer – also positiv.»

Und was ist mit der Zeit? Davon brauche es schlicht ziemlich viel. «Mir geht es manchmal auch etwas zu langsam.» In Jahreszahlen sieht die Prognose des Gemeindepräsidenten so aus: Abstimmung über den Tunnel-Kredit Ende 2026 oder Anfang 2027, Bewilligung durch das BAV ca. 1 Jahr danach, die Bereinigung von Einsprachen dauert mindestens 2 Jahre, die Bauzeit beträgt rund 3 Jahre. «Im allerbesten Fall wird die Bahn in zehn Jahren entweder durch einen Tunnel oder via Doppelspur durchs Dorf fahren. Vermutlich aber erst in 15.»

Die Helden von früher

Joseph Jung braucht keine PowerPoint-Folien. Oder Notizen. Er kennt die Wirtschaft-, Politik und vor allem Eisenbahn-Geschichte der Schweiz aus dem Effeff. Kein Wunder. Der Historiker ist schliesslich Autor von mehreren bedeutenden (Standard-)Werken über ebendiese Themen. Und Verfasser der Biografie von Alfred Escher mit dem Titel «Aufstieg, Macht, Tragik». Aber er weiss nicht nur viel, er ist auch ein begnadeter Redner. Als er sich mit dem letzten Satz für die Zeitüberschreitung entschuldigt, schlägt ihm tosender Applaus entgegen.

Es ist halt auch eine gute Geschichte, die Joseph Jung erzählt. Nämlich die von einem Land, das sich innerhalb weniger Jahrzehnte von einem «Schurkenstaat» (Zitat Graf Radetzky) zum fortschrittlichsten Land in Europa gemausert hat. «Die Schweiz in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts hat nichts mit der heutigen gemein. Damals gab es keinen Dienstleistungssektor, sondern hauptsächlich Landwirtschaft und Billiglohnarbeit in der Textilindustrie. Arbeitssuchende wanderten aus, nicht ein.» Die Schweiz war auf dem Papier eigentlich ein Entwicklungsland. Mit 22 fast voll-autonomen Kantonen, die eigene Währungen hatten und eigene Aussenpolitik betrieben. «Wie soll man da als Einheit wirtschaftlich erfolgreich sein? Das geht nicht.» Dazu kamen die vielen kriegerischen Auseinandersetzungen: Basel-Land und Basel-Stadt, das Unter- und Oberwallis oder der Sonderbundskrieg. «Wer glaubt, dabei ging es um die Konfession, liegt falsch. Es ging um die Frage: Welche Schweiz wollen wir? Eine geeinte oder aufgesplittete?»

Die Entscheidung fiel 1848 mit der modernsten Verfassung des Kontinents. An diesem Punkt von Joseph Jungs Vortrag kommt Alfred Escher ins Spiel. Er ist es, der im Jahr 1852 bei der «wichtigsten Entscheidung in der Geschichte des Parlaments» die Zügel in der Hand hält. Die Frage war: Wer soll Eisenbahnen bauen? «Hätte man das staatlich organisiert, wäre es nie vorwärtsgegangen. Stattdessen überliess man es privaten Eisenbahnunternehmen.»

Das Resultat: Gab es in der Schweiz 1849 noch nur 23 Eisenbahn-Kilometer (Zürich – Baden), verfügte das Land 1860 bereits über das dichteste Netz Europas. «Es geht immer um den Verkehr bei der Frage, ob ein Land abgehängt wird oder nicht. Denn da hängt alles dran.» Zum Beispiel die ETH, die 1854 aus der Taufe gehoben wird und an der Ingenieure für den Eisenbahn-Bau ausgebildet werden sollen. Oder die Schweizerische Kreditanstalt, die Alfred Escher 1856 gründet. Auch, um Bahnprojekte zu finanzieren. «Der Erfolg der Schweiz ist an die Eisenbahn gekoppelt. Und an den Gotthard.»

Die Bauarbeiten für dieses «Weltwunder» starteten im Herbst 1872 – Durchschlag war am 29. Februar 1880. «Dieses Projekt wurde von einer privaten Bahngesellschaft unter der Leitung von Alfred Escher realisiert. Und zum allergrössten Teil auch finanziert.» Zwar wurde Escher 1878 aus Angst vor Kostenüberschreitungen – diese betrugen schliesslich allerdings nur 10 bis 15 Prozent bei Gesamtkosten von 187 Mio. Franken – als «Direktionspräsident» abgesetzt. Aber: «Er hat nicht nur Pioniergeist und Weitsicht bewiesen. Er hat auch grosszügig geplant. Deshalb können beispielsweise die Kehrtunnels noch heute von internationalen Zugkompositionen befahren werden.»

Zum Schluss seiner Ausführungen macht auch Joseph Jung ein kurzes Resümee. Er fragt sich dafür: Welches waren die wichtigsten Erfolgsfaktoren jener Jahre? «Da war einerseits der Wirtschaftsliberalismus. Die Schweiz war eine repräsentative Demokratie. Das heisst: Es gab noch keine komplexen Bewilligungsprozesse wie heute. Und das Motto war: Man geht nur fürs Allernötigste nach Bern, um alles andere kümmern sich die Kantone. Auch wichtig war die Verflechtung von Wirtschaft und Politik. Die Schweiz ist zu klein für Vollzeit-Politiker und Vollzeit-Unternehmer.»

Und die Parallelen?

Der Abschluss des Abends – vom Apéro mal abgesehen – bildet die Podiums-Diskussion. Beim Gespräch von Rolf Brunner, Joseph Jung und Reto Altherr unter der Leitung von Moderator Philipp Landmark werden zwei Dinge rasch klar: Über das Teufner Projekt erfahren die Zuhörenden heute Abend wenig, und es gibt wenig Parallelen zwischen dem epochalen Gotthard-Tunnel und der Teufner Ortsdurchfahrt. Für Rolf Brunner bleibt der Tunnel aber das visionäre Zukunftsprojekt für Teufen. Und er sagt zum Abschluss: «Wir sind nicht gegen die Bahn. Aber wenn wir sie nicht mehr im Dorfzentrum haben, gewinnt Teufen unglaublich viel. Ziemlich sicher auch bald den Wakkerpreis.»

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