Dabei wurde schnell klar: Mit dem 70-jährigen «Herr Bo» könnte man nicht nur übers Schlafen reden. Nach einem «Studiumsmix» aus Biologie, Anthropologie und Neurobiologie – heute würde man wohl von Kognitionswissenschaft sprechen – absolvierte er die Ausbildung zum Gymnasiallehrer und stieg im Jahr 1982 in die Welt der Privatschulen ein. Das war bei der SBW, die sich in den darauffolgenden Jahren und Jahrzehnten stetig weiterentwickelte. Heute arbeiten für die SBW Haus der Lernens AG rund 400 Mitarbeitende, die über 2000 Lernende im Alter von 3 bis 20 Jahren begleiten. Dazu gehören auch drei «Talent Campuse» zur Förderung von Sport- und künstlerischen Talenten. Christoph Bornhauser hat diesen Prozess während vier Jahrzehnten mitgestaltet – in der Geschäftsleitung, als Mitbesitzer und Leiter der Entwicklungsabteilung, als Verwaltungsrat und vor allem als Lernbegleiter und -coach. Inzwischen ist er seit fünf Jahren pensioniert und in der Rolle des Botschafters. Dazu gehören auch seine Vorträge. Wie der von gestern Abend.

Mich scheint das Thema Schlafmangel gerade zu verfolgen. Gefühlt lese ich überall von Schlaftherapien und Tipps für besseren Schlaf. Sie haben nun gestern über Schlafmangel bei Kindern und Jugendlichen referiert. Schlafen eigentlich alle zu wenig?
Das weiss ich nicht. Aber bei den Jugendlichen sind es wirklich sehr viele.
Woher wissen Sie das? Gibt es da verlässliche Daten?
Das gibt es. Aber ich habe bei uns am Campus in Kreuzlingen auch selber eine Schlafstudie mit unseren 12- bis 19-Jährigen gemacht. Das Fazit: Niemand von ihnen kommt auf die empfohlene Schlafmenge oder -qualität.
Wie sind Sie da vorgegangen?
In meinem Fall ging es nicht um hochwissenschaftliche Datenerfassung. Ich wollte mit den Jugendlichen in einen Dialog treten und sie auch dazu bringen, über ihr Schlafverhalten nachzudenken. Beziehungsweise sie dafür zu sensibilisieren. Dafür haben sie ihr Schlafverhalten während 10 Wochen dokumentiert.
Es würde mich erstaunen, wenn Kinder früher deutlich mehr geschlafen hätten. Ich weiss auf jeden Fall, dass das auf mich nicht zugetroffen hätte (lacht).
Haben Sie dafür auf elektronische Hilfsmittel wie Fitnessuhren zurückgegriffen?
Nein. Ich hatte kurz darüber nachgedacht. Aber das hätte eine ganze Lawine von juristischen Stolpersteinen bedeutet – Datenschutz und so weiter. Stattdessen haben die Jugendlichen sozusagen «Buch geführt». Über die Länge und Qualität ihres Schlafes und die Rolle der Störfaktoren – an oberster Stelle steht das natürlich das Smartphone.
Darauf komme ich gleich zurück. Zuerst würde mich noch interessieren: Wissen wir denn, ob die Jugendlichen früher mehr geschlafen haben?
Mir ist nicht bekannt, dass es dazu verlässliche Daten gibt. Es würde mich aber auch erstaunen, wenn sie früher deutlich mehr geschlafen hätten. Ich weiss auf jeden Fall, dass das auf mich nicht zugetroffen hätte (lacht). Aber vielleicht haben sie besser geschlafen.
Weil es weniger Störfaktoren gab?
Genau. Noch vor wenigen Jahrzehnten war nach der Tagesschau Schluss mit Medien. Die 24-Stunden-Erreichbarkeit via Smarthone und Internet, Social Media oder Computerspiele stellen für die Schlafdauer und Qualität eine grosse Bedrohung dar.
Die Gefährdung der Dauer liegt auf der Hand. Warum leidet die Qualität?
Weil viele Jugendliche unter extremem Stress stehen. Nicht nur, weil sie in dieser Lebensphase damit beschäftigt sind, sich selbst und die Welt zu ordnen. Sondern auch, weil der Medienkonsum tiefe Ängste schürt und befeuert. Da geht es um Themen wie die anstehende Umweltkatastrophe oder den Krieg. Und wer mit solchen Gedanken im Kopf versucht gut zu schlafen, hat selten Erfolg.
Ist guter Schlaf in diesem Alter besonders wichtig?
Ich denke, das ist in jeder Lebensphase wichtig. Aber Jugendliche sind vermutlich die Altersgruppe, die am stärksten von Schlafmangel und schlechter Schlafqualität betroffen sind. Eben auch, weil sie selber kaum in der Lage sind, die Störfaktoren auszuschalten und mit ihnen umzugehen.
Ab 20 Uhr sollten Kinder und Jugendliche komplett auf Bildschirm-Zeit verzichten. Dann ist die Zeit der analogen Unterhaltung. Aber: Das gilt nicht nur für die Kinder.
Sie meinen, sie schaffen es kaum selber, das Handy oder den Controller wegzulegen?
Genau. Dafür brauchen sie die Hilfe der Eltern.
Ich nehme an, Sie haben eine konkrete Empfehlung für «Bildschirmzeit»?
Grundsätzlich würde ich den Kindern vor der Oberstufe kein Smartphone geben …
… sorry für die Unterbrechung. Aber da muss ich kurz fragen: Wären Sie denn auch für ein Verbot in der Schule?
Ein Verbot wäre wohl zu rigide. Es gibt durchaus Situationen, in denen Smartphones oder Tablets sehr wirkungsvoll eingesetzt werden können. Aber ich schlage schon vor, dass auf Primarschulstufe so wenig wie möglich mit Bildschirmen gearbeitet wird. Und privat würde ich den Kindern erst ab der Oberstufe ein Smartphone geben.
Und wann wäre am Abend Schluss?
Ab 20 Uhr sollten Kinder und Jugendliche komplett auf Bildschirm-Zeit verzichten. Dann ist die Zeit der analogen Unterhaltung. Aber: Das gilt nicht nur für die Kinder. Auch die Eltern sollten ihre Smartphones dann nicht mehr zur Hand und sich stattdessen Zeit für die Kinder nehmen. Für ein Feierabendgespräch zum Beispiel.
Was meinen Sie damit?
Ein ritualisiertes Gespräch, bei dem die Kinder erzählen können, was sie erlebt haben und was sie beschäftigt. Während des Abendessens oder danach. Das senkt ihr Stresslevel, lässt sie sich geborgen und sicher fühlen und sorgt so auch für einen deutlich besseren Schlaf.
Das klingt logisch und vernünftig. Aber ist vermutlich für viele nicht so einfach.
Das stimmt. Deshalb müssen viele Eltern auch erst bei sich selber hinschauen. Es ist wichtig, dass sie abends – am besten vor dem Abendessen – wirklich mit dem Arbeiten aufhören und sich danach bewusst Zeit für die Familie nehmen. Erst wenn die Erwachsenenstruktur stimmt, kann eine gute Familienstruktur entstehen. Das ist die Aufgabe der Eltern.
Die Fälle von psychischen Problemen bei den Jugendlichen nehmen massiv zu. Und das geht natürlich auch immer mit einer Schlafstörung einher.
Wer trägt sonst noch Verantwortung für die Schlafqualität der Kinder und Jugendlichen?
In erster Linie sie selbst. Sie sind es, die sich an die Regeln halten müssen. Wer wach bleibt, bis die Eltern eingeschlafen sind, sich dann sein Smartphone wieder zurückholt und die halbe Nacht zockt, darf sich am nächsten Tag nicht über Müdigkeit beschweren. Aber auch die Schule sehe ich teilweise in der Pflicht. Sie sollten wenigstens versuchen, die Chronotypen der Lernenden etwas zu berücksichtigen.
Das wären Morgen- und Abendmenschen?
Genau, die «Lerchen» und «Eulen». Die Schulzeiten sind aber so gelegt, als gäbe es per Definition nur Lerchen. Das ist für die Eulen sehr schlimm.
Was wäre eine Lösung?
Ich schlage begleitete Gleitzeiten am Morgen und am Abend vor.
Das wird vermutlich nicht so schnell umgesetzt. Aber nochmal zurück zum Thema Schlaf. Haben Sie das Gefühl, die Gesellschaft ist diesbezüglich heute sensibilisierter?
Die Eltern auf jeden Fall. Das hat vermutlich auch damit zu tun, dass die Fälle von psychischen Problemen bei den Jugendlichen massiv zunehmen. Und das geht natürlich auch immer mit einer Schlafstörung einher. Ob der schlechte Schlaf zuerst kam, das lässt sich oft nicht so genau sagen.
Und bei den Jugendlichen?
Da muss man ein gewisses Fingerspitzengefühl haben. Wer sie direkt fragt, ob sie genug schlafen, bekommt selten eine ernstgemeinte Antwort. Aber wenn man ihnen erklärt, was während des Schlafs passiert und wie wichtig er für ihre physische und psychische Leistungsfähigkeit ist, sind sie schon eher interessiert. Sie fragen mich dann beispielsweise auch Dinge wie: Wie weiss ich denn, ob ich gut geschlafen habe?
Und Ihre Antwort?
Das ist keine Hexerei. Ich bin übrigens auch kein Fan von diesen Fitnessarmbändern. Davon lässt man sich wohl eher unter Druck setzen und beeinflussen. Mein Ansatz ist: Wer sich auf den Tag freut und nicht gähnen muss, hat gut und genug geschlafen.
Was sollen denn Eltern machen, wenn es mit dem Schlaf beim Kind trotz Bildschirmverbot und genügend Familienzeit nicht funktioniert?
Dann wäre die erste Anlaufstelle der Kinderarzt. Aber ganz wichtig: Man sollte sich sicher sein, dass der Nachwuchs auch wirklich nicht «bescheisst». Kinder sind da erstaunlich kreativ …
Die wichtigsten Tipps für besseren Schlaf von Kindern und Jugendlichen
- Genügend Familienzeit am Abend – inklusive Feierabend-Gespräch
- Ab 20 Uhr keine Bildschirme (und Smartphones) mehr
- Abendessen nicht nach 19 Uhr
- Kein Zucker und Koffein am Abend
- Einmal pro Tag intensive Bewegung bzw. Sport