Die Ruhe im Sturm

14.08.2024 | Timo Züst

In der Feuerwehr-Sprache wird ein heftiges Unwetter ein «Mehrfachereignis» genannt. Der Name macht Sinn. Wenn das Wasser kommt, werden Feuerwehrleute plötzlich überall gebraucht. Wegen der Häufung von Starkregen und Hochwasser wurde ein Ausbildungskurs für solche Extremsituationen lanciert. Die TP war am Dienstag im Ausbildungszentrum Bächli dabei.

Die Schweiz schwitzt. Das ist im August nichts Neues. Wohl aber die regelmässigen «Wetterwarnungen» auf der Meteo-App. In der Nacht auf Dienstag hat sich die Spannung bereits einmal entladen. Die traurige Bilanz in Brienz BE: zwei Verletzte, 70 Evakuierte und grosse Schäden an Strassen, Gebäuden und Infrastruktur. «Solche Unwetter gab es schon immer. Aber es werden immer mehr.» Benno Högger ist Kommandant der Berufsfeuerwehr St. Gallen. Er weiss, was für eine Herausforderung heftige Unwetter darstellen. «Wir nennen so etwas ein ‘Mehrfachereignis’, weil es das aus unserer Perspektive eben genau ist: Wir stehen an mehreren Orten gleichzeitig im Einsatz.»

Um solche Szenarien geht es an diesem Dienstag im Ausbildungszentrum Bächli. Benno Högger leitet den Kurs «Einsatzführung Mehrfachereignis». Er wurde im vergangenen Jahr von den Ostschweizer Gebäudeversicherungen und Feuerwehren lanciert – als Reaktion auf die Häufung extremer Wetterphänomene. «Wir haben damit einen Nerv getroffen. Die Ausbildung ist sehr beliebt.» Sie richtet sich in erster Linie an Offiziere oder Personen, die im Falle eines Mehrfachereignisses eine Führungsrolle einnehmen könnten. Und führen bedeutet in diesem Fall vor allem: Die Übersicht behalten.

Streng nach Schema

Das Motto des Tages: Nimm mit, was du gebrauchen kannst. «Es macht keinen Sinn, ein ‘perfektes System’ zu predigen. Das gibt es nicht. Die Feuerwehren sind viel zu unterschiedlich. Wir zeigen einfach einen Lösungsansatz.» Auch Marcel Meier ist Feuerwehrmann in Münchwilen – und Übungsleiter. Am Nachmittag spielt er mit einer siebenköpfigen Gruppe ein Mehrfachereignis durch. Dafür verwandeln die Teilnehmenden das Sitzungszimmer «Eggli» in einen fiktiven Kommandoposten (KP). In den nächsten 1,5 Stunden wird die Einsatz-Koordination während eines heftigen Unwetters mit Hochwasser simuliert. Marcel Meier und sein Kollege Matthias Lieberherr (Regiwehr Heiden-Grub-Eggersriet-Wolfhalden) mussten sich dafür aber keine Alarmmeldungen ausdenken. «Das sind alles ‘scharfe’ Meldungen. Sie gingen bei der Feuerwehr Frauenfeld am 23. Juni 2021 alle in rund einer Stunde ein – 200 insgesamt.» Dabei handelt es sich vor allem um Hilferufe wegen Wasser; im Garten, im Keller, in der Tiefgarage, im Tunnel, in der Turnhalle.

Die Aufgabe der Kursteilnehmenden ist es nun, diese Alarmmeldungen eine nach der anderen zu bearbeiten. Dafür folgen sie einem strikten Ablauf: im Journal erfassen, auf der Lagekarte eintragen, Meldungen priorisieren, ein Reko-Team (rekognoszieren) losschicken, Rückmeldungen analysieren, Einheiten losschicken und die Alarmmeldung nach getaner Arbeit schliesslich archivieren. «Warum werfen wir sie nicht einfach weg?», fragt der Übungsleiter in die Runde. Die Antwort kommt schnell: «Wegen der Nachverfolgbarkeit. So wissen wir, wo wir waren und ob alles richtig abgelaufen ist.»

Wie agiert die TBG?

An diesem Ausbildungstag haben keine Angehörigen der Feuerwehr Teufen Bühler Gais teilgenommen. Aber Kommandant Dominik Krummenacher kann im Fall eines Mehrfachereignisses auf einige erfahrene Offiziere zurückgreifen. Und auch er selbst schätzt die Hilfsmittel, die an diesem Dienstag im Bächli präsentiert werden. «Die Übersicht ist alles. Man muss die Ruhe bewahren. Eines nach dem anderen. Wichtig ist, dass man richtig priorisiert. Und dass einem nichts durch die Lappen geht.»

Hilfe von nebenan

Es läuft gut. Die Meldungen erreichen den Übungs-KP via E-Mail von der Kantonalen Notrufzentrale (KNZ) – wie im Ernstfall. Von dort werden sie in das Journal (Excel-Tabelle) eingetragen und ausgedruckt. Gerade kam der fünfte Alarm wegen Hochwasser. Zeit für eine Zwischenbesprechung. «Und was macht ihr, wenn nun jemand vor dem Depot steht?» Kurze Besprechung. Man ist sich bald einig: Selber eine möglichst detaillierte Meldung erfassen und an die KNZ weiterleiten. «Richtig. So würden allfällige Doppelspurigkeit rasch entdeckt», sagt Übungsleiter Marcel Meier.

Deutlich mehr Gesprächsstoff bietet ein anderes Szenario. Eines, mit dem im Falle eines Mehrfachereignisses früher oder später jede Feuerwehr konfrontiert ist: Was tun, wenn das ganze Personal und alles Material im Einsatz ist? Dafür gilt: Bevor man keine Reserve mehr im Depot hat – schliesslich könnte es auch während eines Unwetters irgendwo brennen –, unbedingt die Zusammenarbeit mit anderen Feuerwehren suchen. «Ist der Fluss über die Ufer getreten, fragt ihr weiter flussaufwärts nach. Sind die auch im ‘Seich’, geht ihr ein Dorf weiter. Und am besten kennt man sich schon vor dem ersten richtigen Unwetter.» Das ist einer der Grundsätze, die die Übungsleiter den Teilnehmenden mitgeben: Mehrfachereignisse verlangen nach guter Vorbereitung. «Ein Meldungsformular kann noch so gut sein. Wenn der Drucker im Ernstfall kein Papier hat, nützt dir die Datei auf dem PC nichts.»

Strom und Smart-TV

«Ich bin ein Elektronik-Freak.» Für Kursleiter Benno Högger (Foto) wird die Neuauflage des Kurses im kommenden Jahr deshalb besonders attraktiv: Dann wird alles digital. «Viele Feuerwehren arbeiten schon so. Smart-TV statt Landkarten, Magnete und gedruckte Alarmmeldungen. Und kommuniziert wird untereinander sowieso meistens per WhatsApp oder Telegram.» Das hat zahlreiche Vorteile, die die analogen Varianten nicht bieten können. Aber Högger schiebt auch sofort nach: «Das sind nur Tools und dürfen auch nie mehr sein. Wir müssen immer mit einem Stromausfall rechnen. Während eines Unwetters sowieso. Deshalb animieren wir alle Feuerwehren, beide Varianten zu trainieren.»

Etwas kann aber mit keinem noch so gut durchdachten Szenario geübt werden: die emotionale Belastung der Feuerwehrleute während so eines Mehrfachereignisses. «Hier nehme ich eine Meldung über einen Öltank, der wegen des Wassers zu kippen droht, völlig gelassen entgegen. Im Ernstfall ist das ganz anders. Dieser Tank und die drohende Ölverschmutzung sind dann meine ganze Welt. Dieses Gefühl kann man nicht üben.»

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