Der 38-jährige Stefan Merz beschäftigt sich täglich mit Energie-Fragen. Foto: tiz
Mit dem Beginn der Heiz-Saison drängen sich die Energie-Fragen wieder in den Vordergrund. Die TP hat dem Teufner Stefan Merz einige dieser Fragen gestellt. Er leitet ein Unternehmen, das auf Energie spezialisiert ist. Und er hat eine klare Vorstellung von der Zukunft.
Herr Merz, glauben Sie an die Energiewende?
Ich persönlich ja. Ich beschäftige mich täglich mit den gewaltigen technologischen Fortschritten in diesem Bereich und sehe auch, dass die Bevölkerung diese Entwicklung unterstützt. Die Herausforderungen liegen in der Politik und den gesetzlichen Rahmenbedingungen.
Tut die Politik zu wenig?
Ich will direkt sein: Mit den vorhandenen, politischen Strukturen werden wir die Wende nicht schaffen. Es passiert viel zu wenig. Deshalb nehmen Private und Unternehmen das Zepter selbst in die Hand und investieren in nachhaltigere Lösungen. Die Politik hinkt hinterher.
Fehlt es an Fördergeldern?
Nein, das ist nicht das Problem. Fördergelder stellt der Bund genügend und unkompliziert zur Verfügung. Wer auf erneuerbare Energien setzen will, erhält genügend Unterstützung.
Bräuchte es vielleicht mehr Peitsche und weniger Karotte?
Das sehe ich nicht so. Ich bin der Meinung, dass die Energiewende weder mit Fördergeldern noch mit Vorschriften vorangetrieben werden soll. Mit den aktuellen Kosten erreicht man attraktive Amortisationszeiten, auch ohne Fördergelder. Und der Zwang ist insbesondere deshalb das falsche Mittel, weil man damit keine positive Stimmung schafft. Gemeinsam, mit Verantwortungsbewusstsein und Begeisterung können wir die Energiewende erreichen. Man muss einfach wollen.
Können Sie etwas konkreter werden?
Unser Ziel muss ein System sein, in dem ich beispielsweise sagen kann: Mein Onkel hat im Welschland ein sehr cooles und nachhaltiges Projekt, das grünen Strom produziert. Genau diesen Strom will ich kaufen und in meinem Haushalt nutzen. Es geht in die Themen Strommarktliberalisierung, Blockchain, virtueller Eigenverbrauch, etc. rein.
Das wäre dann eine Art Energie-Zertifikat.
Es geht in diese Richtung, ja. Aber es braucht noch mehr. Wir müssen uns von der Idee verabschieden, dass es einige grosse Versorger gibt, die unseren Strom bereitstellen und verteilen. Stattdessen brauchen wir vermehrt regionale und dezentrale Stromproduktion.
Aber ich kann ja heute schon meinen überschüssigen Strom ins Netz einspeisen.
Natürlich. Aber dafür erhalten Sie nur eine kleine Vergütung. Viel effektiver wäre es, wenn jeder «seinen Strom» von «seiner favorisierten Quelle» beziehen würde. Könnte die Energiegenossenschaft Teufen beispielsweise irgendwann die Photovoltaik-Anlage bei der Umfahrungsstrasse realisieren, müsste der dort produzierte Strom 1 zu 1 an die Teufner Haushalte weitergegeben werden können. Sie sähen dann auf Ihrer Rechnung: 15 kWh zum Tarif von XX Rappen von der PV Anlage Umfahrung Teufen.
Wieso lässt sich das heute nicht umsetzen?
Weil Stromversorger und Politik an einem Geschäftsmodell festhalten, mit dem sie seit 100 Jahren grossen Erfolg haben. Sie betreiben das Netz, verkaufen Strom und verdienen damit gutes Geld. Der Gedanke, dass Strom plötzlich überall produziert und frei gehandelt werden kann, gefährdet diese Realität.
Projekte und Ideen für die Produktion von erneuerbarer Energie gibt es genug. Oft scheitern sie an der Investoren- Suche. Wäre das in einem vollständig liberalisierten Strommarkt anders?
Auf jeden Fall! Dann «räblets» nur noch. Heute sind die Gestehungskosten für erneuerbaren Strom so niedrig, dass sich ein Investment sehr schnell auszahlt. Und ich bin überzeugt: Wenn ein Teufner zwischen einer kWh für 18 Rappen aus dem AKW und einer kWh für 20 Rappen vom Dach des nächsten Bauernhauses wählen kann, entscheiden sich sehr viele für den regionalen Strom.
Den Strom zu produzieren und gleich zu verbrauchen, ist aber eigentlich nicht die grosse Kunst. Ihn zu speichern schon. Auch dafür gibt es immer bessere Lösungen. Auf Ihrer Website habe ich eine Tesla-Batterie gesehen.
Diese Art von Stromspeichern mit Lithium-Ionen- Batterien eigenen sich sehr gut als kurzfristige Stromspeicher. Damit lässt sich der Überschuss an Energie, der von der PV-Anlage während des Tages produziert wurde, in die Nacht verschieben. Er kann dann am Abend und in der Nacht genutzt werden.
Batterien haben aber nicht unbedingt den besten Ruf.
Natürlich hat man einen gewissen Umwandlungsverlust von der Produktion hin zur Speicherung und wieder zur Abgabe der Energie. Aber wo hat man die nicht? Ausserdem hält so eine Batterie 20 Jahre. Und dann sollten wir auch in der Lage sein, sie vollständig zu recyclen und Batterien ohne den Gebrauch seltener Erden herzustellen.
Damit liefern Sie eine Lösung für Einfamilien- oder Mehrfamilienhäuser. Aber wie lösen wir das Speicher-Problem für das gesamte Stromnetz?
Dafür gibt es mehrere Ansätze. Ein für mich überzeugender ist Wasserstoff. Wenn wir zu viel Strom haben, können wir damit Wasserstoff produzieren, der sich saisonal lagern lässt. Damit können dann beispielsweise Autos oder Heizsysteme betrieben werden. Schon heute setzen grosse Unternehmen wie die AVIA Osterwalder AG aus St. Gallen auf diese Technik. Die Vorteile sind offensichtlich. Wenn wir Autos oder LKWs mit Wasserstoff tanken können, den wir wenige Kilometer entfernt produzieren, werden wir deutlich unabhängiger von fossilen Treibstoffen. Und die langen Transportwege
Das klingt alles sehr spannend und ermutigend. Oft kommt dann aber die Ernüchterung, wenn man sieht, wie viel Energie wir verbrauchen und wie viel heute noch auf herkömmliche Weise gewonnen wird. Lässt sich dieser Wandel wirklich realisieren?
Klar. Deutschland hat es vorgemacht. Sie produzieren zeitweise so viel Energie aus erneuerbaren Quellen, dass sie die Bandlast aus Atom- und Kohlekraftwerken stark herunterregulieren müssen. Das ist ein Riesenerfolg. Aber nach dem Abschalten der AKWs ist Deutschland auch wieder von der Kohle abhängig. Das lässt sich meiner Ansicht nach mit der skandalösen CO2-Regelung und Falschförderung von Kohlekraftwerken erklären. Dieses Thema ist aber sehr komplex.
Auch PV-Anlagen haben nicht nur Freunde. Insbesondere die grosse Energieleistung für die Produktion und das Recyclieren werden kritisiert.
Diese Herausforderungen sind heute gelöst. Diese sogenannte «graue Energie» ist im Vergleich zu anderen Energiequellen bereits nach zwei Jahren wieder egalisiert. Und die heutigen Zellen haben eine Lebensdauer von mindestens 35 Jahren.
Und wie steht es um die Wirtschaftlichkeit?
Die PV-Anlagen waren der erste Schub. Im Jahr 2008 gab es noch mehr Kritiker als Befürworter. Sie sagten: Diese Anlagen werden nie rentieren, sie sind viel zu teuer. Viele glaubten nicht an das Potenzial dieser Technologie. Dann machte sich die Industrie an die Arbeit und schaffte es, die Produktionskosten massiv zu senken. Heute zahlt man für eine Zelle noch ein Zehntel von dem, was sie vor zwölf Jahren gekostet hat. Diese Entwicklung wird sich fortsetzen – das gilt auch für andere Systeme.
Bei diesen grossen Sprüngen in der Technik ist der richtige Zeitpunkt für den Ersatz der Ölheizung gar nicht so einfach zu wählen.
Bei solchen Umstellungen muss man einfach vorsichtig sein. Jedes Haus und jede Heizung ist anders. Es macht beispielsweise keinen Sinn, den Lebenszyklus einer bereits installierten Ölheizung zu unterbrechen und sie einfach wegzuwerfen. Da wartet man mit der Umstellung besser, bis zum «End of Life» der bestehenden Heizung. Aber dann kann man guten Gewissens eine PV- mit Speicher-Anlage installieren. Die Technik ist in diesem Bereich mittlerweile sehr ausgereift.
Zum Abschluss vielleicht noch eine Zukunftsvision: Wie leben wir in 10, 20 Jahren?
Wie ich mir den Strommarkt vorstelle, habe ich ja bereits geschildert. Ganz grundsätzlich gehe ich davon aus, dass sich unsere Einstellung gegenüber dem persönlichen Besitz stark verändern wird. Das sieht man heute schon bei den jüngeren Generationen. Sie sagen sich: «Warum sollte ich mir ein Auto kaufen? Ich kann es ja einfach mieten, wenn ich eins brauche.» Wir werden uns anders bewegen und viel mehr auf Sharing-Modelle setzen. Das wiederum wird auch den Energieverbrauch verändern. tiz
Person und Unternehmen
Der 38-jährige Stefan Merz lebt mit seiner Frau und ihrem einjährigen Sohn in Teufen. Nach der Berufsmittelschule, der technischen BMS und drei Semestern Wirtschafts- Informatik-Studium stieg er in das Familienunternehmen «merz+egger» ein. Damit ist er die fünfte Generation des Gebäudehülle-Unternehmens. Seit zehn Jahren leitet er nun die dafür gegründeten solarmotion gmbh und die optiziser ag. Das Unternehmen ist spezialisiert auf Photovoltaik- und Stromspeicher-Anlagen sowie Energiemanagement. Stefan Merz ist zudem Mitglied der Energiegenossenschaft Teufen und Architekt der Idee, die Umfahrung-Stützmauer als grosse PV-Anlage zu nutzen.